Filmszene aus „Power of the dog“
Viennale/Netflix/Kirsty Griffin
„The Power of the Dog“

Cowboy Cumberbatch spielt Radetzkymarsch

Wildromantisch und doch wenig idyllisch ist jene Ranch im US-Bundesstaat Montana, die Schauplatz von Jane Campions „The Power of the Dog“ ist. Was auf den ersten Blick wie ein Bruderzwist in einer Zeit zwischen Pferd und Auto aussieht, ist letztendlich weniger Western als Thriller. Benedict Cumberbatch spielt einen überzeugenden Supermacho mit Cowboyhut – der dem Radetzkymarsch auf seinem Banjo einen bedrohlichen Unterton gibt.

Das Brüderpaar Burbank, Phil (Cumberbatch) und George (Jesse Plemons), könnte kaum unterschiedlicher sein: Phil ist ein Cowboy aus dem Lehrbuch – kräftig, schroff, oft ungewaschen und praktisch eins mit der Weite der Landschaft. George steht hingegen für die Folgen der Industrialisierung, er fährt mit dem Auto in den nächstgelegenen Ort, trägt Anzug und Mascherl und ist sanft im Umgangston.

Trotz aller Unterschiede sind die beiden unzertrennlich – in der Nacht teilen sie sich ein Bett, seit Jahren kümmern sie sich gemeinsam um ihre Ranch. Sichtlich mit Erfolg: Sie engagieren Dienstmägde ebenso wie Cowboys, um den Alltag zu bewerkstelligen, einmal kommt gar der Gouverneur bei den zwei wohlhabenden Besitzern zu Besuch.

Montana in Neuseeland

Die Neuseeländerin Campion, die 1993 in „Das Piano“ Regie führte, holt das Montana der 20er Jahre zu sich in die Heimat und vermittelt mit ihren Bildern eindrucksvoll das Gefühl der Leere, das die Gegend mit sich bringt. Hier überlebt nur, wer stark ist – und Phil geht in dieser Rolle auf, umso mehr etwa in einer Szene, in der er einen Bullen mit bloßen Händen kastriert. Seinen Bruder nennt er „Fatso“ („Dickwanst“) und lässt damit keine Zweifel, wer bei den Burbanks den Ton angibt.

Fotostrecke mit 4 Bildern

Filmszene aus „Power of the dog“
Viennale/Netflix/Kirsty Griffin
Phil (Benedict Cumberbatch) gibt auf der Ranch den Ton an
Filmszene aus „Power of the dog“
Viennale/Netflix/Kirsty Griffin
Der Cowboy ist in der Natur zu Hause – ganz im Gegensatz zu seinem Bruder George
Filmszene aus „Power of the dog“
Viennale/Netflix/Kirsty Griffin
Rose (Kirsten Dunst) kann sich unterdessen kaum mit dem Leben auf der Ranch anfreunden
Filmszene aus „Power of the dog“
Viennale/Netflix/Kirsty Griffin
Auch ihr Sohn Peter (Kodi Smit-McPhee) kommt mit dem neuen Daheim nicht zurecht

Eine klischeehafte Wendung stellt die ganz auf Routine ausgelegte Symbiose jedoch auf die Probe: George lernt Rose (Kirsten Dunst) kennen, die beiden heiraten – sehr zu Phils Unmut, der an den Motiven der verwitweten Frau, deren Mann Suizid beging, zweifelt. Rose bringt ihren Sohn im Teenager-Alter, Peter (Kodi Smit-McPhee), mit in die Ehe – der schlaksig wirkende, lispelnde Bursch wird schnell zum Ziel des Gespötts von Phil und seinen Cowboykollegen, die ihn bei jeder Gelegenheit schikanieren.

Vom Landidyll zur Alkoholsucht

Der Film ist in mehrere Kapitel unterteilt und basiert ursprünglich auf einem Westernroman des US-Autors Thomas Savage – bis zum dritten Teil ist nichts mehr übrig vom ursprünglichen Landidyll. Stattdessen sind Rose und Peter in einem Alptraum gefangen: Die Mutter ertränkt ihre Sorgen im Alkohol, während ihr Sohn, der eigentlich geschworen hatte, seine Mutter für immer zu schützen, auf der Ranch als „Miss Nancy“ und als „Schwuchtel“ bezeichnet wird und kaum mit dem Leben am Rand der Zivilisation zurecht kommt.

Die Hoffnungslosigkeit schlägt sich dabei nicht nur in den Bildern nieder, auch der Soundtrack von Radiohead-Gitarrist Jonny Greenwood leistet einen ganz wesentlichen Beitrag dazu. Er ist oft nicht bloß Begleitung, sondern fast schon Kommentar, wie in einem Stummfilm. Ausgerechnet der Radetzkymarsch wird zum Leitmotiv – einmal von Rose auf dem Piano geklimpert, einmal von Phil auf dem Banjo gespielt und später auch gepfiffen – stets mit einem unbehaglichen Unterton. Auch in dem Moment, als Phil und Peter einen zweiten Anlauf wagen, lässt die Musik jedenfalls keine Zweifel daran, dass ein Happy End keine Option ist.

Kein typischer Western

An der Oberfläche mag „The Power of the Dog“ zwar wie ein Western aussehen – und Campion spielt bewusst mit klassischen Motiven, um im gleichen Atemzug typische Männlichkeitsbilder zu hinterfragen. Doch der Film entwickelt sich zunehmend in eine ganz andere Richtung – und rückt dabei auch andere Figuren in den Fokus.

Denn war es anfangs das Brüderpaar, das im Mittelpunkt stand, wird der Film über die zweite Hälfte vor allem von Phil und Peter getragen. Filmisch geht diese Entscheidung voll auf: Den Engländer Cumberbatch und den Australier Smit-McPhee würde man auf den ersten Blick beide nicht in einem Westernsetting erwarten, da sie ganz eigene Typen sind, fast zu markant für das Genre, das seine goldene Zeiten in den 50er Jahren feierte.

Doch gerade davon profitiert „The Power of the Dog“ enorm: Cumberbatch ist nämlich mehr als der typische Westernbösewicht – ein vielschichtiger Charakter, der trotzdem Antagonist bleibt. Und auch Smit-McPhee ist nicht „Miss Nancy“, eine Person, die nach der Ansicht Phils nie in das Anforderungsprofil einer Ranch passen wird, sondern mindestens so missverstanden wie Norman Bates in Alfred Hitchcocks „Psycho“.

Ein Netflix-Beitrag für die großen Preisverleihungen

Der Netflix-Film wird wohl Cumberbatchs großes Eintrittsticket für die bevorstehende Jahreszeit der Preisverleihungen sein, seine Performance sticht in einem hochkarätig besetzten Film besonders hervor. Doch auch das Gespür Campions und ihrer Kamerafrau Ari Wegner für Landschaftsaufnahmen, für die Panoramen, die die Story mitprägen, sind eine Ansage für die kommenden Monate.

„The Power of the Dog“, angelehnt an einen Psalm („Du aber, Herr, halte dich nicht fern! / Du, meine Stärke, eil mir zu Hilfe! / Entreiße mein Leben dem Schwert, / mein einziges Gut aus der Gewalt der Hunde!“), ist für Campion der erste Spielfilm seit 2009, in dem sie Regie führte. In Venedig bekam sie dafür einen Silbernen Löwen – Applaus gab es auch nach der Premiere bei der Viennale im Wiener Gartenbaukino. Der rund zweistündige Spagat zwischen den Genres gelingt – trotz der viel gezeigten Weite des Landes –, ohne langatmig zu werden.