Mann liegt auf Fliesenboden, Szene aus Una película de policías, A Cop Movie
Viennale
„Una pelicula de policias“

Verletzlich auf Mexiko-Stadts Straßen

Unterfinanziert, schlecht ausgerüstet und zu einem Großteil aus armen Familien rekrutiert: Es ist eigentlich kein Wunder, dass die Fußsoldaten des Polizeiapparats in Mexiko-Stadt gewohnheitsmäßig korrupt sind. Alonso Ruizpalacios Hybrid-Doku „Una pelicula de policias“ porträtiert zwei von ihnen.

Schlägereien, ein Diebstahl, Rangeleien. Die Codes in den Funksprüchen auf der Tonspur sind nur zur Hälfte verständlich, während das Polizeiauto durch die nächtlichen Straßen von Mexiko-Stadt cruist, der Blick der Kamera immer auf die Straße gerichtet. Noch ein Funkspruch: Ein Individuum wehrt sich gegen eine Festnahme, die Kollegen haben die Lage im Griff. Und dann, mitten in einem ärmlichen Wohngebiet, stehen plötzlich zwei Männer mitten auf der Straße, sehen zornig aus.

Die Polizistin am Steuer schreit, „Machen Sie die Straße frei!“, der eine greift nach hinten in seinen Hosenbund, zieht er eine Waffe? Nein, nur ein Telefon. Sie steigt aus, geht zu den Männern, fragt was los ist. Ein Überfall? Die beiden reagieren ungehalten. Nein, sie haben die Rettung gerufen, vor Stunden schon, eine Frau liegt in den Geburtswehen. Die Polizistin greift ins Handschuhfach, holt Gummihandschuhe raus, die Kamera folgt ihr ins Haus hinein. Die spontane Geburtshilfe kommt gerade noch rechtzeitig.

Irreführung zu Beginn

„Una pelicula de policias“ von Regisseur Ruizpalacios beginnt mit einer Irreführung: eine Situation, aus tausend Cop-Movies vertraut, die filmische Erwartungen zunächst genau bedient, unterlegt mit Musik wie aus Heist-Movies der Siebziger Jahre, und dann auf den Kopf stellt. Niemand wird in dieser Nacht erschossen, ein Kind wird geboren, nicht weniger existenziell. Für den Schnitt des Films wurde Cutter Yibran Asuad bei der Berlinale mit dem Silbernen Bären für seine herausragende Künstlerische Leistung ausgezeichnet.

Zuletzt war Ruizpalacios 2018 mit seinem zweiten Spielfilm „Museo“ über einen Kunstraub bei der Viennale vertreten, dort schilderte er ausgehend von der sympathischen Gaunertruppe vielschichtige Implikationen von kulturellem Erbe, Rassismus, Freundschaft und Kolonialismus. Für Netflix hat er die Drogenkartellserie „Narcos: Mexico“ (2018) realisiert.

Diesmal wollte er eine Doku über den korrupten, kaputten, notorisch unterfinanzierten Polizeiapparat von Mexiko-Stadt drehen, über die Beamten in Uniform, die zu einem Großteil aus unterprivilegierten indigenen Familien stammen und sich mit ihrem Gehalt kaum über Wasser halten können.

Unterwegs mit der „Love Patrol“

Gemeinsam mit verschiedenen NGOs und einem Team aus Expertinnen und Soziologen hatte sich der Regisseur auf den Film vorbereitet, hunderte Interviews gemacht. Und war dann auf Teresa gestoßen, eine Polizistin, deren Vater schon den selben Beruf hatte. Wie sie über ihre Arbeit spricht, wie sie ihren Alltag lebt, ihre Uniform mit der Hand schrubbt, die Eier für ihre Jause kocht, und wie sie dann unterwegs ist, nachts, war der Ausgangspunkt für den Film.

Gegenüber ORF.at sagt Ruizpalacios: „Sie war einfach faszinierend von Beginn an. Sie ist so vital und witzig, wie sie ihre Geschichten erzählt – Polizistin zu sein ist ja auch ein sehr aufregender Beruf, sie steckt voller Erlebnisse, vieles ist arg, aber sehr viel auch sehr unterhaltsam.“ Außerdem ergab der Zufall, dass Teresa mit ihrem Kollegen Montoya zusammen ist und mit ihm auch auf Patrouille geht, die „Love Patrol“ nannte man sie auf dem Revier.

Filmhinweis

„Una pelicula de policias“ startet unter dem Titel „Ein Polizei-Film“ am 5.11. auf Netflix.

„Dazu kommt noch die Tatsache, dass Teresa eine Frau bei der Polizei ist, und erzählt, was man da alles mitmachen muss. Sie sagt einmal, über 90 Prozent ihrer Kolleginnen sind Alleinerzieherinnen, sie müssen das also neben dem Job auch noch schaffen – in welcher Lage finden die sich wieder? Und dann ist da auch noch diese wahrhaftige Liebesgeschichte zwischen den beiden – ich hätte das nicht besser erfinden können“, so der Regisseur.

Alle spielen eine Rolle

Doch weil die viele alltäglichen, ununterbrochenen kleinen Akte der Korruption nicht einfach mit der dokumentarischen Kamera begleitet werden können, entschloss sich Ruizpalacios für einen hybriden Film: Teresa und Montoya werden im Film von Monica Del Carmen und Raul Briones dargestellt, ihr häuslicher Alltag und die gesamte Polizeiarbeit sind nachinszeniert.

Polizistin sitzt in einem Wagen, Szene aus Una película de policías, A Cop Movie
Netflix
Teresa (gespielt von Monica Del Carmen) als Teil der „Love Patrol“

Zunächst ist das im Film nicht klar, etwa nach der Hälfte wird die Illusion jedoch gebrochen: Del Carmen und Briones werden gezeigt beider Vorbereitung auf ihre Rolle, körperlich und inhaltlich, bei der Beschäftigung mit dem Job der Polizei, mit dem Darstellen eier Rolle und dem Darstellen von Autorität. Gegenüber ORF.at sagt Ruizpalacios: „Wir wollten nicht einfach Ereignisse rekonstruieren, sondern darüber hinausgehen. Je besser wir den Polizeiapparat verstehen lernten, desto deutlicher wurde mir: Alle spielen hier eine Rolle.“

Tödlicher Job

Die Schauspielerin Del Carmen sagt im Film, „Mir ist klar geworden, dass die Polizisten unglaublich verletzlich sind, weil sie die Rolle einer starken Autoritätsfigur spielen müssen, aber dafür eigentlich unglaublich schlecht ausgerüstet sind.“ Dieses Konzept der Repräsentation wird zum Dreh- und Angelpunkt des Films, so Ruizpalacios: „Der Film handelt nicht nur von der Polizei, sondern generell vom Akt des Repräsentierens. Daher haben wir die Schauspieler hineingeholt.“

Auf die Frage, was er von der Schauspielerei hält und ob die nicht auch zum Polizistsein gehört, antwortet der echte Montoya auf der Tonspur: „Ja, wir spielen jeden Tag, wir ziehen diese Uniform wie ein Kostüm an und spielen damit eine Autoritätsfigur. Aber während Schauspieler im geschützten Raum spielen, spielen wir in der Wirklichkeit, für uns kann es tödliche Konsequenzen geben.“ Tatsächlich überleben nicht alle Kollegen von Teresa und Montoya die Einsätze im Film.

Zwischen Überforderung und Unterfinanzierung

Ruizpalacios sagt: “Es war sehr interessant, über diese Parallelen zwischen den beiden Berufen zu sprechen, und was es mit sich bringt, eine Uniform zu tragen und Autorität darzustellen, wenn man eigentlich schlecht ausgerüstet ist.“ Was von der Überlegung her Sinn ergibt und auch aufschlussreich ist, bekommt im Film dann aber sehr viel Platz, die Nabelschau des Schauspielduos ist eigentlich wesentlich weniger aufregend als das, was die echte Teresa und der echte Montoya zu sagen haben.

Was dem Film in seinen besten Momenten nämlich gelingt, ist viel spannender: die furchterregende Verletzlichkeit der Polizistinnen und Polizisten zu porträtieren, diesen Zwiespalt zwischen einem Beruf mit Potenzial zu enormer Gewalttätigkeit und enormer Willkür und ganz schlichten, zerbrechlichen Privatleben, die Unterfinanzierung und Überforderung, die konstruierte Feindseligkeit zwischen Polizei und Bevölkerung und das Dilemma, der Korruption schlicht nicht ausweichen zu können. So atemberaubend, warmherzig und intim wurde Polizistinsein noch selten im Kino erzählt.