Szene des Films „Suzanna Andler“
Christophe Beaucarne, Les Films du Lendemain
„Suzanna Andler“

An der Riviera mit Charlotte Gainsbourg

Im Mai 1968 hat die Autorin und Filmemacherin Marguerite Duras das Theaterstück „Suzanna Andler“ veröffentlicht. Im Mittelpunkt steht eine 40-jährige Millionärsgattin, die sich als die „meistbetrogene Frau der französischen Riviera“ sieht. Duras’ ehemaliger Regieassistent Benoit Jacquot nahm sich mit Charlotte Gainsbourg einer Verfilmung des Stoffes an, die einer Verbeugung vor seiner Mentorin gleichkommt.

Wenn sich in der Prachtvilla am Meer die großen Türen auf eine imposante Terrasse öffnen und Suzanna Andler (Gainsbourg) am Planen ist, wer von ihrer Familie welches Zimmer bewohnen kann, ist man durchaus von der Luxusidylle überwältigt. Die zwei Millionen Francs, die das Anwesen im Monat als Miete kosten soll, bleiben einem dennoch im Ohr, denn selbst für südfranzösische hochpreisige Immobilien erscheint das als Fantasiesumme.

Noch dazu im Jahr 1968, wenn man davon ausgeht, dass der Film auch zur Zeit des Erscheinens des Theaterstücks spielt. Weniges weist darauf hin, denn das Minikleid und die Plateaustiefel, die Gainsbourg in ihrer Rolle trägt, könnten auch heute angesagt sein. Einzig das Festnetztelefon mit dem leicht klickenden Geräusch der rotierenden Wählscheibe spricht eine sentimentale Sprache und führt in eine Zeit, als man noch im Haus auf Anrufe warten musste, wie hier auch Suzanna.

Das Rendezvous verschlafen

Bereits der Makler (Nathan Willcocks) macht eine Andeutung, dass Suzanna am Vorabend gesehen wurde, als sie ein Hotel verließ. Das scheint sie nicht weiter zu belasten, gleichsam als Rechtfertigung erklärt sie, dass sie die „meistbetrogene Frau der französischen Riviera ist“. Der Makler bekundet sein Mitleid, als Suzanna gegenfragt, tut er die Problematik aber ab: „Das bedeutet ja gar nichts“.

Suzanna pflichtet ihm bei: „Ja, vielleicht, nach all den Jahren.“ Und damit ist das Thema vom Tisch. Sie möchte die Räume in Ruhe sondieren und schickt den Makler weg. Doch schläft sie auf dem Sofa im Wohnzimmer ein und verpasst damit das Treffen mit ihrem jungen Liebhaber, dem Journalisten Michel Cayre (Niels Schneider). Der steht plötzlich im Raum und nun beginnt ein Kammerspiel, das durchaus versucht, Licht in die Beweggründe des Beginnens und Beendens von Beziehungen zwischen Mann und Frau zu bringen. Oder warum man beides nicht schafft.

„Denk ja nicht, dass das Leidenschaft ist.“

Zu Beginn einer Beziehung kann ein Satz wie dieser entweder nur scherzhaft gemeint sein, oder nichts Gutes verheißen: „Denk ja nicht, dass das Leidenschaft ist.“ Und doch hat Michel ihn zu Beginn der Affäre ausgesprochen, am Ende der knapp eineinhalb Stunden Film wird er Suzanna sagen, dass er sie liebt. Dazwischen kann der Film nicht verleugnen, dass er seinen Ursprung in einem Theaterstück hat.

Filmhinweis

„Suzanna Andler“ wird im Rahmen der Viennale am 29.10. um 18.30 Uhr in der Urania sowie am 30.10. um 11.30 Uhr im Gartenbaukino gezeigt.

Die Konversation ist hier das Wichtigste, es geht um Feinheiten, die ein Liebespaar verbal austauscht. Suzanna: „Du hast letzte Nacht gesagt, dass du verstehst, dass jemand mich liebt, und dann plötzlich nicht mehr liebt.“ Michel antwortet: „Nein, dass er dich plötzlich fallen lässt.“

Das „getrennteste Paar überhaupt“

So nennt Michel Suzanna und ihren Mann Jean. Er kennt Jean, dieser hat ihm Suzanna sogar vorgestellt. Der Hauptteil der Verfilmung bewegt sich nun örtlich zwischen dem Wohnzimmer des Luxusanwesens und der daran angrenzenden Terrasse. Das Sofa im Wohnzimmer, daneben das wunderbare schon erwähnte Vintage-Festnetztelefon und die Brüstung, die die Terrasse begrenzt.

Zwischen diesen Punkten spielen sich die Überlegungen und Analysen des Paares ab. Pragmatisch-gelangweilte Planungen bezüglich naher und ferner Zukunft wechseln einander mit präzisen Beziehungs-Erfahrungswerten ab, zum Beispiel: Dass zu Beginn einer Beziehung sehr vorsichtig damit umgegangen wird, was man dem jeweils anderen erzählt. Und nach gar nicht allzu langer Zeit werden Dinge ungefiltert und ungeniert ausgesprochen, die dann noch dazu kaum eine Stunde später schon wieder vergessen sind.

Szene des Films „Suzanna Andler“
Christophe Beaucarne, Les Films du Lendemain
Suzanna Andler (Gainsbourg) und Michel Cayre (Niels Schneider) führen vor der Kulisse der französischen Riviera ein mondänes Kammerspiel der Gefühle auf

Festung der Gefühle

„Das ist ja wie eine Festung hier“, meint Michel über die luxuriöse Villa, in der Suzanna mit ihrer Familie den Sommer verbringen soll. Falls Jean zustimmt, denn das Geld kommt von ihm, und Suzanna gibt offen zu – oder sie kokettiert damit –, dass Jean eben Michel gegenüber diesen Vorteil hat: Geld. Und es für sie ausgibt, wann immer sie will. Michel allerdings mutmaßt, dass Jean ohnedies den ganzen Sommer nicht auftauchen wird, und regt an, dass Suzanna ihm dessen neuen Porsche ausleiht, er würde ihn gerne fahren. So ungeniert auf der einen Seite gesprochen wird, wird andererseits Feingefühl vorgeschoben: „Ich sollte gehen. Wenn ich bleibe, werde ich Fragen stellen, die ich nicht fragen möchte“, sagt Michel.

Es gibt eigentlich nur zwei Unterbrechungen der Gespräche mit Michel: Ein Telefonat mit Jean, der Suzannas Abwesenheit und die damit einhergehende Verpflichtung, sich um die Tochter zu kümmern, ganz entspannt sieht. Ebenso, dass Suzanna nicht alleine ist, was sie freimütig zugibt. Und ein weiteres Mal, wenn Suzanna am Strand mit ihrer Freundin Monique (Julia Roy) plaudert, die ihr erzählt, dass sie ein Verhältnis mit Jean hatte, welches jedoch von keinerlei Bedeutung war. Als Suzanna meint, dass Monique wegen Jean sogar segeln lernte, repliziert diese, dass sie alles für ihn getan hätte. Soviel zur Bedeutungslosigkeit.

„Elle ne pense rien, Suzanna Andler“

Duras sagte über den von ihr geschaffenen Charakter: „Das ist eine Frau, die sich versteckt: Hinter ihrer gesellschaftlichen Stellung, hinter ihrem Reichtum, hinter der Übereinkunft mit all den Gefühlen und Anregungen, die ihr zuteil geworden sind. Sie denkt nicht, diese Suzanna Andler. Aber ich habe versucht, sie loszulassen. Ihr eine Freiheit zurückzugeben.“

Die angesprochene Figurenzeichnung ist kein einfaches Unterfangen, die Kamera versucht die Statik der Inszenierung mit schwebender, sanfter Bewegung etwas aufzubrechen. Wer jedenfalls Einblick in die große Welt der Beziehungsproblematik gewinnen möchte, die hier im schmalen Rahmen eines Kammerspiels geboten wird, braucht eine gute Portion Durchhaltevermögen, das immer wieder häppchenweise belohnt wird. Wenn man zusätzlich auch Charlotte Gainsbourg und Niels Schneider schätzt, ist man gut beraten, noch rasch die Viennale aufzusuchen.