*** Local Caption *** Verdens verste menneske, The Worst Person in the World, Joachim Trier, Norwegen/Frankreich/Schweden/DŠnemark 2021, V’21 Features
© Viennale
„The Worst Person In The World“

Ein Aufbruch zum Viennale-Abschluss

Die 30-jährige Julie sucht, altmodisch ausgedrückt, nach dem Sinn des Lebens. Der norwegische Regisseur Joachim Trier hat daraus mit „The Worst Person in the World“ („Verdens verste menneske“) einen leichtfüßigen Film mit Tiefgang geschaffen, der in jeder Hinsicht auf der Höhe der Zeit ist; eine uneingeschränkte Empfehlung für den Abschlussfilm der heurigen Viennale.

Der Film lief in Cannes im Wettbewerb, hat zwar dort nicht, dafür aber bei anderen, kleineren Festivals Preise gewonnen. Unter anderem einen für die beste Kamera – und der ist verdient. In Kombination mit der Musik wurden im Schnitt Bilder zusammengestellt, die in die Richtung weisen, wie massentaugliche Kinokunst heute aussehen kann: ungewöhnliche Blickwinkel, die kein Selbstzweck sind, nach zeitgemäßen Songs getaktete Bilder, satte Farben ohne Insta-Überkolorierungsgefahr, schnelle, aber nicht gehudelte Schnitte.

In zwölf Kapitel hat Trier seinen Film unterteilt. Er mag Kurzgeschichten, sagte er unlängst in einem Interview. Klar strukturierte Informationen sind heute gefragt, serielle Formate vom Journalismus auf Social Media bis zu Netflix die Norm. Dass nur noch oberflächliche Häppchen konsumiert werden, sagen Kulturpessimisten, die alles Neue ablehnen. Trier liefert den Gegenbeweis. Schicht für Schicht dringt er mit jedem Kapitel tiefer ein in Julies (Renate Reinsve) Leben, bis hin zur philosophischen Betrachtung darüber, was von uns bleibt, wenn wir nicht mehr sind.

Wie ein Bambi auf dem Eis

Doch zurück zum Anfang: Julie ist intelligent und strebsam, sie kann alles schaffen, was sie will. Das Medizinstudium geht ihr leicht von der Hand. Aber nur weil man’s kann – das ist kein Argument. Also wechselt sie zu Psychologie, auf der Suche nach der Eigentlichkeit. Wenig überraschend ist das unbefriedigend. Vielleicht die Fotografie? In Bildern intuitiv einfangen, was Worte nicht sagen können?

An einer Stelle wird sie kritisieren, dass man immer alles, was man fühlt, in Worte packen muss. Sie aber will einfach nur fühlen. Und wenn stark sein heiße, alles analytisch in Worte fassen zu können, dann möchte sie lieber so unsicher sein wie ein Bambi auf dem Eis. Und genauso stolpert und rutscht sie durchs Leben, von der Karriere bis hin zur Suche nach einem Partner, der der Partner fürs Leben sein könnte.

Filmhinweis

„The Worst Person in the World“ läuft auf der Viennale als Abschlussfilm im Gartenbaukino am Sonntagabend um 18.30 Uhr (geschlossene Veranstaltung) und um 22.30 Uhr.

Die, die immer alles richtig machen

Dabei landet sie bei Aksel, der mit 45 satte 15 Jahre älter ist als sie, an einem ganz anderen Punkt im Leben steht, als Zeichner mit zotigen U-Comics erfolgreich ist und weiß, was er will: eine Familie mit Kindern, inmitten der Community seiner Freunde, die auch alle Familien mit Kindern haben. Er ist stark, er analysiert alles mit Worten. Julie fühlt sich fremd in seiner Welt und in ihrem eigenen Leben, in dem sie nur eine Nebenrolle zu spielen scheint.

Doch dabei bleibt die Story längst nicht stehen. Kein gesellschaftlicher Bereich bleibt unausgeleuchtet. Die schwierige Beziehung zu den eigenen Eltern. Moralische Debatten rund um Konsum und Nachhaltigkeit. Sex. Die Selbstpräsentation jener, die immer alles richtig zu machen scheinen und dabei auf Social Media auch noch sexy ausschauen. Klingt nach viel zu viel, präsentiert sich nebeneinander aber so automatisch und selbstverständlich wie im eigenen Leben.

   *** Local Caption *** Verdens verste menneske, The Worst Person in the World, Joachim Trier, Norwegen/Frankreich/Schweden/DŠnemark 2021, V’21 Features
© Viennale
Renate Reinsve als Julie, Anders Danielsen Lien als Aksel

Es wäre auch besser gegangen

Abgesehen von den Bildern, der Geschichte und dem Storytelling ist auch die Schauspielleistung außergewöhnlich. Reinsve wird für die Darstellung der Julie zu Recht quer durch die internationale Presse gefeiert. Aber auch Anders Danielsen Lien in der Rolle des Aksel gibt seiner Figur viel Tiefe, sie verkommt an keiner Stelle zum Klischee des älteren Mannes, der eine jüngere Frau als hübsches Püppchen in sein Lebenskonzept pressen will.

Der Film ist eine nachdenkliche Betrachtung über das Leben in einer Zeit, in der junge Menschen in reichen Ländern scheinbar alles machen können, was ähnlich problematisch ist wie das Gezwungensein in ein vorgefertigtes Muster. Wer auf der Suche nach dem richtigen Partner im richtigen Leben ist, weiß immer: Da draußen hätte es irgendwo den noch besseren Partner und das noch bessere Leben gegeben. Also hat man versagt.

„Matrix“ und Woody Allen

All diese Schwere merkt man dem Film nicht an. Er ist witzig, spannend und auf lockere Weise experimentell (die „Matrix“-artige Stillstandszene, während eine Beziehung beendet wird!). Wäre Woody Allen heute ein junger Filmemacher, vielleicht würden seine Filme so ausschauen wie „The Worst Person in the World“ – der übrigens der dritte Teil einer Trilogie ist, die aber inhaltlich nicht zusammenhängt.