Ansicht des Forum-Kinos
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60. Viennale

Als Wien von der Welt träumte

Wenn die Viennale in diesem Jahr ihre 60. Ausgabe begeht, dann feiert man auch eine Form der Kulturgeschichte: einer Öffnung Wiens und Österreichs hin zum internationalen Filmterrain sowie zu einem neuen Selbstverständnis des Landes. Und man feiert eigentlich auch große Kultureinrichtungen, die teils, wie etwa das legendäre Forum Kino, vom Boden der Stadt verschwunden sind.

Einen Fußballteamchef, einen Staatsoperndirektor oder eine künstlerische Viennale-Leiterin unterscheidet grundsätzlich manches. Gemein ist allen Funktionen: Sie werden immer umstritten sein. Und der Streit um eine Funktion und deren Handschrift ist wohl das Salz in der Suppe für die Charakterhandschrift der Arbeit. „Pflege, was man dir vorhält“, sagte der zu früh verstorbene Viennale-Chef Hans Hurch einmal – und traf damit den Kern, wie man auf dem Terrain der Positionierung im Kulturbereich ein erkennbares Profil behält. Solange man seine Kritikerinnen und Kritiker nicht fürchtet.

Forum-Kino innen 1950er
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Ein Kinobesuch im Österreich der 1950er Jahre: auf jeden Fall mit Hut. Hier das Innere des Forum Kinos in der Stadiongasse

In diesem Kontext ist auch die Geschichte der Viennale, jenes Filmfestivals der Stadt Wien, das zwischenzeitlich auch den sinnigen Namen „Festival der Heiterkeit“ trug, die Geschichte eines Wachrüttelns – von Wien, Österreich, aber auch einer Filmlandschaft, die lange Zeit die Filme eines Franz Antels als das Maß der Dinge vor Augen hatte. Als man 1960 im Umkreis der Autoren bzw. Journalisten Siegmund Kennedy und Edwin Zbonek das Projekt mit dem umständlichen Titel „Internationale Festwoche der interessanten Filme des Jahres 1959“ ins Leben rief, da war der bildungspädagogische Ansatz groß. Kennedy, der als Siegmund Kanagur Österreich 1938 verlassen hatte und 1945 als Soldat der US-Arme in seine einstige Heimat zurückgekehrt war, sah den Film als Bildungsanstalt in einem Land, das seit dem Abzug der Alliierten sehr in seinem eigenen Saft und eigenen kulturkonservativen Befindlichkeiten dahinschmorte.

Viennale: Wien wird zur Filmhauptstadt

Vor über 60 Jahren hat sich Wien erstmals ein eigenes Filmfestival geschenkt, aus dem rasch die Viennale werden sollte.

„Disparate Positionen unter einem Dach“

Zbonek wiederum war als Filmkritiker der „Arbeiter Zeitung“ deutlicher an den künstlerischen Aspekten von Film interessiert. Gemeinsam zeigten sie jedenfalls acht Langfilme und zehn Kurzfilm aus insgesamt 17 Ländern. „Damals“, so schreibt der Cineast und Kulturkritiker Thomas Miessgang, „ließen sich disparate Positionen noch unter dem Dach einer gemeinsamen Begeisterung für den Film vereinen.“ Das mediale Echo der damaligen Zeit ließ sich klar umreißen: Die Macher der ersten Ausgaben des Filmfestivals schrieben selbst über die Filme in ihren jeweiligen Medien.

Urania zur Viennale 1966
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„Lupin“ gab es schon 1966 in Wien im Rahmen der Viennale zu sehen, hier im Urania Kino

Ein Festival im Ost-West-Konflikt

Als Brückenkopf zwischen Ost und West wollte sich die Viennale am Anfang sehen, ein Umstand, der sie auch recht rasch, wie Miesgang erinnert, in die Schusslinie der damals heftige geführten Debatten um Antikommunismus und Ostbegeisterung, wie sie auf allen Ebenen der Kultur geführte wurden, brachte. Doch die Stadt Wien, aber auch das Unterrichtsministerium, hatten ein Auge auf die Entwicklung des Festivals genommen, dessen Name ja tatsächlich der verkürzten Bezeichnung durch den damaligen Wiener Bürgermeister und späteren Bundespräsidenten Franz Jonas zu verdanken ist.

Seitens der Bundespolitik wachte der damalige Unterrichtsminister Heinrich Drimmel als Schutzherr mit einem Auge über das Festival. Internationalisierung, aber mit Augenmaß, so kann man die vorsichtigen Bemühungen dieses Hüters traditioneller Kulturauffassungen nennen, der schon mal mit Thomas Bernhard am Rand einer Preisverleihung zusammenkrachen sollte. Als „Zerrissener“ (Hubert Feichtlbauer) hatte er dennoch so etwas wie die Begegnung des Landes mit der Moderne im Sinn, als er etwa dem Kunsthistoriker Werner Hofmann als Direktor des 20er Hauses die Möglichkeit einräumte, für die Republik repräsentative Werke der Moderne zu erwerben.

Schlangestehen für die Viennale 1974
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Schlangestehen musste man für die Viennale-Karten immer schon – hier ein Bild aus 1974

„Antels gibt es überall“

Die Durchsetzung des modernen Filmschaffens, unabhängig von der Herkunft der Arbeiten, war alles andere als ein leichtes Unterfangen. Seit jeher warf sich die Kritik mit Häme auf die Auswahl mancher Filme, etwa, als man in der „Presse“ über den ägyptischen Film „Meine 13. Frau“ herzog, der ja nur beweise, „dass es die Antels überall gibt“.

In der Kreisky-Zeit war die Kernzielgruppe des Festivals „die Jugend“, wie es damals überall hieß. Otto Wladika, Filmreferent des Wiener Kulturamtes, hatte nach dem Tod Kennedys 1967 das Festival übernommen und den vorsichtigen Spagat zwischen Internationalisierung und einer nicht zu starken Liberalisierung gewagt. Nie, so liest man, solle die Viennale im Schatten von Studierendenbewegung und Anti-Vietnam-Protest von zu radikalen politischen Haltungen unterwandert werden.

Vier erfolgreiche österreichische Regisseure 1987 bei der Viennale: Wolfgang Glück, Niki List (Österreichischer Filmpreis 1986 für „Müllers Büro“), Axel Corti und Wolfram Paulus
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Vier erfolgreiche österreichische Regisseure 1987 bei der Viennale: Wolfgang Glück, Niki List, Axel Corti und Wolfram Paulus. List bekam den Österreichischen Filmpreis für „Müllers Büro“.

Internationalisierung und innerösterreichische Debatten

Die Viennale habe sich, so erinnert Miesgang, in den frühen 1970er Jahren dennoch zu einem Forum für filmpolitische Anliegen in Österreich entwickelt. Charakteristisch seit damals sind die laufenden Debatten um Fragen der Filmförderung, gerade im Schatten dieses Festivals. Kooperiert wurde mit dem Filmmuseum, also auch eine filmhistorische Begleitung des alljährlichen Programms ermöglicht. Und mit dem Forum Kino, dem großen Filmpalast der Stadt am Ende der Stadiongasse, hatte man ein Kino aus den 1950er Jahren mit über 1.100 Plätzen zum Präsentationsort für ein Festival gewählt.

Gartenbau bei der Viennale 1973
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Viennale im Gartenbau 1973

Damit wurden auch symbolisch die Ansprüche an eine größere Strahlkraft gebracht. Die Viennale schaffte die Aufnahme in die Federaton Internationale des Associations des Producteurs de Films. Mit dem Gartenbaukino, einer anderen Ikone für Filmkultur, genau an der Schwelle von den 1950ern zu den 60ern erbaut, hatte man zudem eine neue Zentralstätte für das Festival, nachdem das Forum 1974 abgerissen worden war.

Als die Genregrenzen fielen

Ab den 1980ern wurde die Viennale tatsächlich zu einem Standortfaktor im Kulturbetrieb der Stadt, nicht nur, weil sich auch die Politik gerne mit den Größen des internationalen Kinos in Szene zu setzen wusste. Als man nach der Zeit von Helmut Dimko eine Doppelspitze von Werner Herzog und Reinhard Pirker installierte, wollte man den internationalen Traum noch eine Spur größer träumen. Nicht umsonst balancierte ein Seiltänzer öffentlichkeitswirksam vom Apollo Kino zum damaligen Festivalzentrum am Esterhazypark-Flakturm. „Kino als magischer Ort“ war ein Versprechen Herzogs – und eine Aufstockung des Budgets brachte tatsächlich eine Vertiefung des Programmangebots und neue Angebotsfeatures.

Der deutsche Schauspieler und Produzent Werner Herzog und die italienische Schauspielerin Gina Lollobrigida bei der Viennale. 1991. Wien. Photographie.
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Werner Herzog und Gina Lollobrigida 1991 bei der Viennale

Zwei prägende Sturköpfe

Die für die Viennale aber wahrscheinlich prägendsten Zeiten waren die Direktionen von Alexander Horwath und Hans Hurch. Während der unerschrockene Filmkritiker Horwath die Barrieren zwischen Genre- und Massenkino niederriss, fürchtete sich Hurch nicht, mit dem elitären Cineastenprogramm auf der ganz großen Leinwand anzufahren. Mit Hurch war das gefunden, was man offenkundig im Schatten der Lehren eines Peymanns am Theater auch für ein Festival brauchte: ein Reibebaum, der nicht zuletzt gegen die Politik, aber auch die eigene Szene austeilte.

Hurchs früher Tod in Rom riss ein Loch in diese Form der Erwartung an die Viennale. Insofern brachte die Positionierung mit Eva Sangiorgi bis zur Gegenwart ein Andocken an die weitere Internationalisierung des Festivals – verbunden mit einer Standortbestimmung dessen, was Kino in Zeiten von Streamingplattformen sein kann. Und das ist vielleicht dann doch wieder der magische Ort und der Platz eines Gemeinschaftserlebnisses, das eine Wohnzimmercouch nicht bieten kann.

Die Leiter und Leiterinnen der Viennale

  • 1960–1968: Sigmund Kennedy
  • 1968–1973: Otto Wladika
  • 1973–1981: Edwin Zbonek
  • 1981–1986: Edwin Zbonek und Helmuth Dimko
  • 1986–1988: Helmuth Dimko
  • 1988–1990: Helmuth Dimko und Veronika Haschka
  • 1990–1993: Werner Herzog und Reinhard Pyrker
  • 1993–1995: Wolfgang Ainberger und Alexander Horwath
  • 1995–1997: Alexander Horwath
  • 1997–2017: Hans Hurch
  • 2017–2018: Franz Schwartz (interimistisch)
  • seit 2018: Eva Sangiorgi