Szene aus Eismayer zeigt Männer im Bundesheer
Viennale
„Eismayer“

Die zärtliche Seite des Vizeleutnants

Eine wilde, wahre Geschichte voller Wendungen ist der stilsichere Debütfilm „Eismayer“: Titelantiheld ist ein gefürchteter Ausbilder beim österreichischen Bundesheer, dessen vollmetallummanteltes Herz am Lächeln eines Rekruten irgendwann einfach zersplittert. In Venedig wurde der Film preisgekrönt.

Es gibt da die Geschichte mit der Kuh, die der Eismayer mit einer Panzerfaust gesprengt haben soll. Die soll wirklich passiert sein. Und dann gibt es die Geschichte mit dem Rekruten, den der Eismayer unter der kalten Dusche so lange Liegestütze hat machen lassen, bis der Bursch zusammenbrach. Der soll dann gestorben sein. Die Schauergeschichten mit den Brutalmärschen, mit maximalem Gepäck bei extremer Hitze oder Kälte, die stimmen ganz sicher. Mit Eismayer legst du dich besser nicht an, so viel ist fix.

Beim Bundesheer sein ist kein Spaß. Als Rekrut Mario Falak (gespielt von Luka Dimic) einrückt, ist er auf einmal nicht mehr der Mario, sondern nur mehr der Falak, bestenfalls. Und als er in der Grundausbildung auf Vizeleutnant Charles Eismayer (Gerhard Liebmann) trifft und bei der Spindkontrolle grinst, heißt er überhaupt nur noch „der Tschusch“. Frech sein und Migrationshintergrund haben ist beim Bundesheer eine schlechte Kombination, in „Eismayer“ unter der Regie von David Wagner.

Szene aus Eismayer zeigt zwei Männer in der Dusche
Viennale
Nackt unter der Dusche auf Augenhöhe: Charles Eismayer (Gerhard Liebmann) und Mario Falak (Luka Dimic)

Das Chaos überschreien

Der als „Schleifer“ berüchtigte Eismayer ist nicht nur der härteste Ausbilder des österreichischen Bundesheeres, einer, der derb brüllt, gern auch rassistisch und homophob, der die ganze Kompanie mit brutalem Drill für das Fehlverhalten Einzelner bestraft, und der deswegen von seinen Vorgesetzten regelmäßig ermahnt wird: „Genau wegen so Schleifertypen wie Ihnen will niemand mehr zum Bundesheer.“

Der Eismayer hat auch eine andere Seite. Wenn der gefürchtete Vizeleutnant heimgeht, kritzelt dort sein kleiner Sohn die Wand voll, ohne auf Papas Schimpfen zu hören. Das Chaos in der Wohnung nimmt überhand, und seine Frau Christina (Julia Koschitz) ist grau vor Müdigkeit und Enttäuschung. Kein Wunder, dass Eismayer in der Kaserne glücklicher ist. Dort lässt sich auch sein Geheimnis am besten verstecken, denn niemand würde je ahnen, dass Eismayer schwul ist. Niemand weiß das, nur die Männer, mit denen er sich manchmal auf Parkplätzen trifft.

Es drängt sich der Verdacht auf: Die unerträgliche Schreierei des Vizeleutnants dient weniger zur Disziplinierung von Grundwehrdienern, sondern eher zum Überbrüllen des Durcheinanders im eigenen Hirn. Das geht nun schon viele Jahre gut. Doch jetzt ist da dieser Rekrut Falak, der es immer noch wagt, manchmal zu grinsen. Der ist nämlich ebenfalls schwul, aber schämt sich nicht dafür, sondern macht Witze, wenn andere homophob reagieren. Falak ist eine wandelnde Provokation.

TV-Hinweis

„Thema“ am Montag um 21.10 Uhr in ORF2 hat den echten Charles Eismayer besucht und erzählt seine Geschichte – mehr dazu in tv.ORF.at.

„Unfreiwillig lustig“

Der Eismayer klingt wie erfunden, doch den Vizeleutnant Charles Eismayer gibt es wirklich, auch wenn er mittlerweile in Pension ist. Wer in Österreich beim Bundesheer war, hat vermutlich von ihm gehört, ihn womöglich sogar selbst erlebt. Auch Regisseur Wagner kannte die „Horrormärchen“ aus seiner Zeit beim Bundesheer, wie er gegenüber ORF.at sagt, „aber ich hab’ immer gedacht, der sei nur ein G’schichtl. Aber dann hab’ ich den Artikel gelesen und dachte mir: Oha, den gibt’s wirklich!“

Der angesprochene Artikel ist ein Bericht aus dem Jahr 2014 (weiter unten verlinkt, Achtung: Er nimmt den Ausgang des Films vorweg), der für Wagner Anlass war, einige Jahre später mit dem echten Eismayer Kontakt aufzunehmen, um aus dessen Geschichte einen Film zu entwickeln. „Wir haben uns ein paarmal getroffen und viele Stunden geredet. Und dann hat er gesagt: David, du bist leiwand. Wenn du den Film machst, vertrau’ ich dir.“

Szene aus Eismayer zeigt eine Frau vor einem Lenkrad sitzend
Viennale
Christina Eismayer (Julia Koschitz) dämmert, warum ihre Ehe so lieblos ist

Der Film sei ein Mix aus Soldatenfilm und RomCom, so Wagner, die komödiantischen Elemente seien für ihn unvermeidbar gewesen: „Beim Bundesheer passieren selbst in den schlimmsten Situationen immer wieder Dinge, die in einem zivilen Leben völlig unvorstellbar wären – und das ist oft einfach unfreiwillig lustig.“ Andere Sequenzen sind vor allem bedrückend. „Das spiegelt stark wider, wie ich mich gefühlt habe, als ich eingerückt bin. Das war schon eine sehr heftige Zeit“, so der Regisseur.

Ohne Unterstützung des Bundesheers nicht möglich

Wagner drehte auf Originalschauplätzen, in Kasernen und auf Truppenübungsplätzen. Auch die Ausstattung – von den Uniformen bis zu den Waffen – stellte das Bundesheer der Filmproduktion zur Verfügung, „anders hätten wir uns das nie leisten können. Ohne das Bundesheer wäre der Film nicht machbar gewesen.“ Die Bundesheerszenen sind auch die stärksten im Film, in ihrer Absurdität schaurig realistisch.

Filmhinweis

„Eismayer“ wird im Gartenbaukino am 23.10. um 18.00 Uhr und in der Urania am 24.10. um 13.30 Uhr gezeigt.
 
Der im Rahmen des ORF-Film-/Fernsehabkommens geförderte Film startet am 28. Oktober in den österreichischen Kinos.

Wo es schwierig wird, sind die privaten Momente mit Eismayers Frau Christina: Nachdem er ihr schließlich von seiner Homosexualität erzählt, wird die Familie fast grußlos aus dem Film entsorgt. Eine spätere versöhnliche Szene mit dem kleinen Sohn macht das nur unzureichend gut. Doch eine ökonomische Erzählweise – nur knapp anderthalb Stunden braucht Wagner für die Wandlung des Vizeleutnants – bedingt eine klare Konzentration auf wenige Konflikte. Dafür ist der Film an anderer Stelle nicht nur hochromantisch, sondern auch erotisch.

Der bisherige Erfolg des Films gibt Wagner jedenfalls recht: In der „Settimana della Critica“ bei der Weltpremiere in Venedig war „Eismayer“ als bester Film geehrt worden, die internationalen Kritiken überschlagen sich mit Lob. „Aber ich bin ziemlich nervös, wie das jetzt bei der Viennale wird“, so Wagner. Nicht wenige Männer, die den echten Eismayer als junge Grundwehrdiener erlebt haben, reagieren zornig auf die Ankündigung des Filmes.

„Ich glaube, es wird ein bisschen so wie bei den YouTube-Kommentaren unter dem Trailer. Da ist von ‚Der Typ ist eine Legende, beste Zeit meines Lebens‘ über ‚Ist Homosexualität jetzt schon normal, oder was?‘ bis zu ‚Boykottiert den Film, dem darf man keine Bühne bieten‘ alles dabei.“ Was „Eismayer“ bei Teilen des österreichischen Publikums auslösen könnte, wird auf jeden Fall noch spannend.