Fotografin Nan Goldin in New York
Nan Goldin / Viennale
„All the Beauty and the Bloodshed“

Eine Fotolovestory für Nan Goldin

Nan Goldin hat die Kunst- und LGBTQ-Szene New Yorks von den 70ern an dokumentiert wie keine Zweite. Ihre Fotos sind scheinbar ephemer, auf den zweiten Blick aber ästhetisch und emotional. Ihrem Leben, das neben Kunst vor allem von ihrer Opiatabhängigkeit und ihrem Kampf gegen die Auslöser der Opioidkrise geprägt ist, widmet sich „All the Beauty and the Bloodshed“.

Goldin, mit verschwollenem Gesicht, die Augen von dunkelschwarzen Blutergüssen gerahmt: Ohne Gnade, auch nicht sich selbst gegenüber, hält sie mit ihrer Kamera fest, was ist; auch, als ihr Partner sie so verprügelt, dass sie mehrere Tage im Krankenhaus verbringen muss. Die Fotoserie geht um die Welt und macht Frauen Mut, aufzubegehren. Sie fühlen sich gesehen. Und so ist es oft mit Fotos der Künstlerin.

Während in Andy Warhols Factory das Leben zur Kunst stilisiert und Karrieren zwischen 15 Minuten und lebenslangem Ruhm aufgebaut wurden, hauste die bisexuelle Goldin in einer dreckigen, stets unordentlichen WG mit einem Freund, der abends als schillernde Dragqueen auf der Bühne glänzte und untertags am Leben und an den Lebensumständen scheiterte, in einer Zeit, als LGBTIQ-Menschen noch von Polizisten auf der Straße geprügelt, abgemahnt oder gar angezeigt wurden.

Widerstand bis in den Tod

Eine gemeinsame Ausstellung im Freundeskreis wird von der Polizei gestürmt. Und als es wirkt, als würden die Künstlerinnen und Künstler und die LGBTIQ-Community New Yorks endlich halbwegs in Ruhe gelassen, wütet Aids in der Szene. Fast alle, die Goldin geliebt und bewundert hat, Poetinnen, Schriftsteller, Fotografinnen, bunte Figuren des Nachtlebens, sterben binnen weniger Jahre. Der Tod, heißt es in der Doku, war zur Routine geworden.

All das findet sich in Goldins Fotos – aber nicht als schockiertes Abfeiern einer sozialpornografischen Tristesse, sondern als Dokumentation der Würde und des Stolzes einer Gruppe von Outcasts, die sich weigern, dem System nachzugeben – und koste es ihnen das Leben. Goldin selbst hätte auch um ein Haar das Leben verloren, allerdings nicht wegen Aids, sondern wegen der Überdosis eines opioidhältigen Medikaments.

Filmhinweis

„All the Beauty and the Bloodshed“ spielt es bei der Viennale noch am Montag um 15.30 Uhr im Gartenbaukino.

Opfer einer Epidemie

Dem Kampf gegen dieses Medikament, Oxycontin, und vor allem gegen die Pharmafamilie Sackler, die mit der grassierenden Opioidepidemie in den USA ihren Reichtum in astronomische Höhen katapultiert hat, hat Goldin fortan ihr Leben gewidmet. Die Doku „All the Beauty and the Bloodshed“ ist nach dem Reißverschlusssystem aufgebaut. Auf eine Passage über ihre Vergangenheit im wilden Biotop New York folgt eine über den Aktivismus von Goldin und ihrer Truppe.

Sie allesamt waren entweder selbst abhängig oder haben nahestehende Personen an die legale Droge verloren. Zäh sind sie, festentschlossen, den Sacklers das Handwerk zu legen. Ob ihnen das gelingt, oder wenigstens ein bisschen, daraus nährt sich der Spannungsbogen der Doku. Ein besonderer Dorn im Auge ist der aktivistischen Gruppe, dass die Sacklers wegen ihrer Spenden und Förderungen quer durch amerikanische Kunst- und Uniinstitutionen mit Tafeln und Patenschaften gewürdigt werden.

Wild entschlossener Kampf

Deshalb spielt sich ein guter Teil der Doku in Häusern wie dem Guggenheim-Museum in New York ab, wo man Goldin und ihre Mitstreitenden dabei beobachten kann, wie sie mit leeren Pillendosen um sich werfen, gefälschte Verschreibungen vom Plafonds regnen lassen und lautstark Sprüche gegen die Sacklers skandieren. Von diesen Szenen hätten zwei gereicht – auch von den Wortspenden der vielen Aktivistinnen und Aktivisten wäre weniger mitunter mehr gewesen.

Aber abgesehen davon ist die Doku ähnlich wuchtig wie die Bilder Goldins, von denen viele zurecht in die Kader von „All the Beauty and the Bloodshed“ gerückt werden. Beim ersten Screening der Viennale wurde lautstark und lange applaudiert. Und Regisseurin Laura Poitras gewann mit der Doku schon bei ihrer ersten Wettbewerbsteilnahme den Goldenen Löwen, den Hauptpreis des Filmfestivals von Venedig.