Das große Sesselrücken im EU-Ei
ORF.at/Peter Prantner
Im Ringelreihen ganz vorne
Immer am 1. Jänner und 1. Juli findet in der Union ein großes Sesselrücken statt: Die Regierungs- und Staatschefs und -chefinnen rutschen im Uhrzeigersinn um einen Sessel weiter und bewegen sich so langsam reihum - anders als beim Spiel „Reise nach Jerusalem“ freilich ohne Risiko, keinen Platz mehr zu finden. Es sei denn, man entscheidet sich, wie das Vereinigte Königreich, für den Austritt. Auch mit der turnusmäßigen Übernahme des Ratsvorsitzes durch Österreich ab 1. Juli verändert sich die Sitzordnung erneut.
Und mit den Regierungs- und Staatschefs bewegen sich auch alle Ministerinnen und Minister bei den verschiedenen Ratstreffen um je einen Platz weiter im Kreis der noch 28. Dasselbe Szenario wiederholt sich auch auf allen anderen Ebenen - von den wöchentlichen Sitzungen der Botschafterinnen und Botschafter bis hin zu den Treffen der mehr als 150 mit Fachpersonen besetzten Arbeitsgruppen. Nur zwei Ausnahmen gibt es - die sind aber höchst prominent: der Außenministerrat und der Gipfel der Regierungschefs. Doch dazu etwas später.
Vorbild Rheinschifffahrt
Bereits in der ersten Internationalen Organisation, der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt, gab es einen Vorsitz, der alle zwei Jahre wechselte. Gegründet wurde die Organisation beim Wiener Kongress 1815, um die freie und sichere Schifffahrt auf der wirtschaftlich wichtigen Wasserstraße zu sichern.
Bereits in der ersten Internationalen Organisation, der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt, gab es einen Vorsitz, der alle zwei Jahre wechselte. Gegründet wurde die Organisation beim Wiener Kongress 1815, um die freie und sichere Schifffahrt auf der wirtschaftlich wichtigen Wasserstraße zu sichern.
Idee viel älter als EU
Vorbild für die rotierende Präsidentschaft ist der Völkerbund - die nach dem Ersten Weltkrieg gegründete Vorläuferorganisation der heutigen UNO. Im Rahmen des Völkerbunds wurde vom damaligen französischen Außenminister Aristide Briand 1930 der nach ihm benannte Briand-Plan präsentiert, der als eine der wesentlichen Grundlagen für die spätere Entwicklung der Europäischen Union gilt. Briands Plan sah auch bereits eine wechselnde Präsidentschaft vor, die dann 1958 mit Inkrafttreten der Römischen Verträge und der Bildung der Europäischen Gemeinschaften verwirklicht wurde. Belgien hatte von den damals sechs Mitgliedern als erstes die Präsidentschaft inne, gefolgt von Deutschland, Frankreich und Italien
Ferrero-Waldner: „Selbstverständlich wichtig“
Sichtbar gemacht wird mit der Sitzordnung die Hierarchie von Staaten, und das ist zentraler Bestandteil des diplomatischen Protokolls. Was im 21. Jahrhundert auf den ersten Blick überholt wirken mag, hat gute Gründe und bis heute Gültigkeit, betonen sowohl die frühere Außenministerin und EU-Kommissarin Benita Ferrero-Waldner als auch der erfahrene Botschafter und Leiter der Diplomatischen Akademie, Emil Brix, gegenüber ORF.at.
„Selbstverständlich“, sagt Ferrero-Waldner, die früher auch Protokollchefin der UNO war, sei das Protokoll noch wichtig. Denn es gehe darum, „mit Höflichkeit, mit Respekt und mit Aufmerksamkeit gegenüber dem anderen ein positives Gesprächsklima zu schaffen“. Und Brix ergänzt: Ziel sei es, mit Hilfe des Protokolls möglichst viele Konflikte, die sich bei Verhandlungen ergeben könnten, auszuschalten. Und diese Funktion habe sich nicht erübrigt.