Wohin steuert Frankreich?
Macron gegen Le Pen - dieses Match um den Elysee-Palast sagen die Umfragen voraus. Lange hieß es, Macron werde eine Stichwahl überlegen gewinnen. Doch immer mehr Medien warnen seit „Brexit“ und der Donald-Trump-Erfahrung: Noch sei nichts entschieden, viele Wählerinnen und Wähler sind noch auf unentschieden. Das hat viel mit dem Niedergang der etablierten Parteien links und rechts der Mitte zu tun.
Die Lager der in Frankreich so lange regierenden Sozialistischen Partei (PS) und der einstigen Neogaullisten (früher RPR, später UMP, nun Republicains) sind geschrumpft. Benoit Hamon für die Sozialisten und mittlerweile auch dem einstigen konservativen Ex-Premier Francois Fillon könnte nur ein Wunder helfen, um nach der ersten Runde am 23. April das Ticket für die Stichwahl zu lösen.
Dabei galt Fillon, der sich im parteiinternen Rennen immerhin gegen so etablierte Kaliber wie Alain Juppe und auch gegen Ex-Präsident Nicholas Sarkozy durchgesetzt hatte, als aussichtsreicher Kandidat, um mit der patriotischen Stimmung, die sich gerade im Land breitmacht, Richtung Elysee zu ziehen. Doch auch für französische Verhältnisse hat Fillon mittlerweile eine Spur zu viele Skandale und Verfahren am Revers seiner - mitunter geschenkten - Maßanzüge kleben.
Drei Fragen an ORF-Korrespondentin Eva Twaroch
Erste Indizien bereits bei Vorwahlen
Dass diese Wahl deutlich anders ablaufen wird als alles bisher Gekannte, das habe sich, so die Leiterin des ORF-Frankreich-Büros, Eva Twaroch, schon in den Vorwahlen abgezeichnet. Alle etablierten Kandidaten hätten dabei das Nachsehen gehabt. Nun sehe es so aus, als würden auch die etablierten Parteien insgesamt im Zuge der Wahlauseinandersetzung unter die Räder kommen, so ihr Befund.
„Die Leute haben die Nase voll“
„Es gibt sehr viele Leute, die die Nase voll haben, die bemerkt haben, dass mit Francois Hollande nicht viel passiert ist“, beschreibt der Politologe Jerome Segal gegenüber ORF.at die Ausgangslage in seinem Heimatland. „Die Arbeitslosigkeit ist immer noch so hoch, obwohl ihre Bekämpfung oberste Priorität war.“ Viele wollten etwas Neues – und dafür stünden nun Le Pen und auch Macron. Dieser komme zwar aus dem politischen Establishment und habe wie so viele den Abschluss der elitären Verwaltungshochschule ENA vorzuweisen, „doch Macron will über diesen Teil seiner Geschichte nicht so gerne reden“, erinnert Segal.
Fünf Fragen an den Politologen Jerome Segal
Ob er links oder rechts ist, weiß man beim Überraschungsmann der Stunde nicht so recht. Was er besetzt, sind jedenfalls für Frankreich ungewöhnliche Positionen – oder Ansätze, mit denen schon manch anderer in der überregulierten „Grande Nation“ am Widerstand der Straße gescheitert ist: Liberalisierung des Arbeitsrechts, Angleichung der unterschiedlichen Pensionssysteme, weniger Staatsanteil am Bruttoinlandsprodukt, 60 Milliarden Steuereinsparungen.
„Bla-bla-Land“: Was bringt Macron?
Als „Bla-bla-Land“ verspottete ein konservativer Abgeordneter in Anspielung auf den neuen Filmhit „La La Land“ Macrons Programm – und auch in den Medien fragt man sich, wie viel bei Macron und seiner neuen Bewegung En Marche! rhetorische Fassade ist und wie viel an Substanz umsetzbar sein wird. Sein Programm trage „die Handschrift eines Politikers, der überall leichte Retuschen ansetzen, aber niemandem wehtun und schon gar nicht den Bruch mit der sozialistischen Orthodoxie wagen will“, schrieb die „Neue Zürcher Zeitung“ über ihn nach der Programmvorstellung. Beachtlich aber ist, wie viele Menschen derzeit für En Marche! tatsächlich auf der Straße sind und für ihren Hoffnungsträger im Von-Haus-zu-Haus-Wahlkampf Klinken putzen.
Le Pen: „Die EU wird sterben“
„Macron ist nie links oder rechts gewesen, er versucht immer alle zu sich zu holen“, skizziert Segal den Umstand, dass beide Überraschungsfavoriten für die zweite Runde in allen Lagern fischen. Le Pen tut das ja, wie der Kulturwissenschaftler Didier Eribon in seinem Bestseller „Rückkehr nach Reims“ beschrieben hat, sogar im einstigen Arbeiterlager in den Banlieues der Städte, also Zonen, in denen man früher durchaus kommunistisch eingestellt war. „Marine Le Pen tut dies immer populistisch und gegen das Establishment“, so Segal, „sie ist gegen das System.“ Macron, der ehemalige Banker und spätere Wirtschaftsminister, komme aus diesem, versuche das aber vergessen zu machen.
Grande Nation der Ämterhäufung: In wenigen Ländern gibt es im Parlament eine so große Zahl an Abgeordneten, die noch eine andere hohe politische Funktion ausüben. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hatten 91 Prozent der Abgeordneten eines oder mehrere lokale politische Mandate; meist war man noch Bürgermeister einer Kommune. 2007 waren nur 18,5 Prozent der Abgeordneten Frauen, nur 13,2 Prozent der Volksvertreter waren unter 45 Jahre alt.
Harte Bandagen im Wahlfinale
Seit den ersten beiden TV-Duellen, die bisher in einer Fünfer- und nach Kritik in einer Elferrunde ausgefochten wurden, ist die Zeit der harten Bandagen im Wahlkampf da. 40 Prozent der Franzosen waren nach dem ersten Duell unentschlossen, und gerade jene Kandidaten, die in den Umfragen zurücklagen, versuchen sich mit bemerkenswerten Ansätzen in die Arena der Aufmerksamkeit zurückzukatapultieren: Fillon ist da schon einmal für die Wiedereinführung von Schuluniformen, Hamon schlägt seinen Landsleuten vor, sie mögen doch einmal überlegen, welches Volk sie sein wollen, bevor man ihn frage, welcher Präsident er sein wolle. Und Le Pen will sowieso vor allem eines: die Souveränität über das Land retour und nicht die „Vizekanzlerin von Angela Merkel“ sein. Eine „Serienkillerin der französischen Kaufkraft“ nennt Fillon sie - Courtoisie in der politischen Arena sieht zweifellos anders aus.
Macron: „Die Versuchung ist groß, sich abzuschotten“
Macron auf der Suche nach den Konservativen
Sah die Auseinandersetzung lange nach dem Muster alle gegen Le Pen aus, so las man zuletzt zunehmend die Headline: alle gegen Macron. Dem kamen in seiner proeuropäischen Haltung vielleicht doch zu viele Unterstützer aus dem sozialdemokratischen Lager ins Gehege. Jetzt wirkt er bemüht, ausreichend lockende Signale an das konservative Lager auszusenden. So holte er eine Sarkozy-Beraterin in sein Team - und traf medienwirksam bekannte Prominente aus dem konservativen Lager. Macron benötigt einen Spagat, will er die Stichwahl für sich entscheiden.
Kann Le Pen die Mitte überzeugen?
Laut jüngsten Umfragen werden er und Le Pen mit klarem Votum die erste Runde der Wahl für sich entscheiden und in die Stichwahl ziehen. Le Pen müsste in der Stichwahl freilich so viele neue Stimmen dazugewinnen und das rechtsextreme Image ihrer Herkunft komplett ablegen. Dass sie jüngst die Beteiligung von Franzosen an der Verhaftung und nachfolgenden Deportation von Tausenden Juden relativierte („Wenn es Verantwortliche gab, dann waren es die, die damals an der Macht waren, es ist nicht Frankreich“), wirkt freilich wie ein Rückfall in die Rhetorik ihrer Vaters Jean Marie Le Pen.
Viele sind noch unentschlossen
„Das Niveau der Unschlüssigkeit bei den Wählern ist sehr außergewöhnlich“, schrieben Umfrageexperten. Vergleichsweise sicher sind sich die Wähler von Le Pen und Fillon: Von den Anhängern Le Pens gaben 80 Prozent an, sie ganz sicher wählen zu wollen, bei den Unterstützern Fillons waren es ebenso hohe 80 Prozent. Macron kam dagegen lediglich auf 67 Prozent, die Kandidaten der Sozialisten und der Linken auf deutlich weniger.
Fakt ist: Egal, wer die Wahl gewinnt, die politische Landkarte Frankreichs wird nach dem 7. Mai anders aussehen als davor. Vollkommen offen ist, was eine Parlamentswahl nach einem etwaigen Wahlsieg Macrons bringen wird, denn eine etablierte Parteistruktur hat er nicht vorzuweisen - und das könnte ein gehöriger Nachteil bei einer Parlamentswahl sein, werden da doch durch das Mehrheitswahlrecht etablierte politische Strukturen begünstigt.