Ein Käfig voller Fußballnarren
Ausgelassen laufen die Kinder über den Platz. Wie viele es genau sind und wie viele Bälle zwischen ihnen herumspringen, ist in dem Getümmel schwer auszumachen. Die meisten der Burschen kommen gerade aus einer der umliegenden Schulen oder Nachmittagsbetreuungen und müssen sich nach dem langen Sitzen erst einmal austoben, bevor das Training beginnt. Es wird gekreischt und gelacht. Als die beiden Trainer Jörg und Patrick um Punkt 16.00 Uhr den Fußballkäfig des Esterhazyparks im sechsten Wiener Gemeindebezirk mit einer Tasche voller Bälle betreten, werden sie sofort von einer jubelnden Kindertraube umringt.
Nach der Schule ist vor dem Training
Für viele der Buben, die hier jeden Donnerstag das von der Caritas kostenlos angebotene Fußballtraining im Rahmen der Käfig League besuchen, ist es der Höhepunkt ihrer Woche. Die meisten sind zwar ohnehin so gut wie jeden Tag im Park, um stundenlang Fußball zu spielen und Zeit mit ihren Freunden zu verbringen. Aber ein richtiges Training - so, wie es auch ihre Idole aus dem Fernsehen jeden Tag absolvieren - ist für die zwischen sechs und 14 Jahre alten Schüler etwas ganz Besonderes. Vor allem weil zum Abschluss der Einheit immer ein Match oder - je nach Teilnehmerzahl - gleich ein ganzes Turnier gespielt wird.
„Der Jonas sagt immer: ,Ich bin besser als du.‘ Und dann macht er beim Hinschmeißen Quatsch. Beim Quatschmachen konzentriere ich mich dann immer aufs Quatschmachen und nicht auf den Ball.“ Konstantin, sechs Jahre
Angefangen wird meist mit lockeren Übungen, die auf den ersten Blick wenig mit Fußball zu tun haben. Manchmal steht ein Spiel auf dem Programm, bei dem sich einige Kinder an der Hand nehmen und die anderen einfangen sollen, ohne einander loszulassen. An anderen Tagen wird eine Mischung aus Handball und Fußball gespielt oder mit lockeren Kopfballübungen begonnen. Der Spaß, den die bunte Truppe ganz offensichtlich schon beim Aufwärmen hat, ist auch im Großstadtlärm mit der stark befahrenen Gumpendorfer Straße, dem angrenzenden Wasserspielplatz und der lauten Musik aus der Freeletics-Ecke nicht zu überhören.
„Mir gefällt am besten das Training und dass ich hier meine Freunde treffen kann“, erzählt Dorotej. Der Achtjährige besucht den Käfig mit seinem Bruder Ljubisa und geht in die erste Klasse einer nahe gelegenen Volksschule. Sein großes Idol ist Cristiano Ronaldo, deshalb trägt er auch ein Trikot mit der Rückennummer sieben. Aus Dorotejs Klasse sind noch sechs weitere Buben jeden Donnerstag dabei. Alle tragen einheitliche Dressen mit ihrem Namen und ihrer Lieblingsnummer. Um die Position des Tormanns hat es am Anfang kurz Streit gegeben, erzählt eine Mutter. Schließlich hat sich der siebenjährige Omar durchgesetzt. Er trägt das ganze Training über stolz seine roten Tormannhandschuhe.
Fußball als gemeinsame Sprache
Für Dorotej und seine Freunde ist der Spaßfaktor der wöchentlichen Einheit das Wichtigste: Sie kommen in den Käfig, um einfach mit Gleichaltrigen Zeit zu verbringen. Der neunjährige Bruno, der mit seiner herzlichen Art und seinen herausragenden fußballerischen Fähigkeiten auch bei den älteren Jugendlichen im Park großen Respekt genießt, hat dem Spielen im Käfig sogar das professionelle Training im Verein geopfert. „Ich komme fast jeden Tag hierher. Im Verein ist es auch schön, aber der Käfig ist das Beste“, sagt Bruno und strahlt, wenn er von seiner Leidenschaft erzählt.
Für andere wiederum stellt ein Nachmittag im Park die einzige Möglichkeit dar, regelmäßig und vor allem kostenlos ihrem Lieblingssport nachzugehen. Mohammed ist heute zum ersten Mal dabei. Nach dem Training verspricht er selig, nächste Woche wieder mitzumachen. Der Zwölfjährige ist erst vor wenigen Monaten mit seiner Familie von Syrien nach Wien gekommen und spricht nur wenig Deutsch. Herkunft, Alter und Muttersprache spielen im Käfig aber ohnehin keine Rolle, die Buben verständigen sich höchstens über laute „Pass!“-, „Wir haben Ball!“- und „Geht’s?“-Rufe. Nach ein paar Minuten ist auch Mohammed ganz in seinem Element. Denn eines haben die Kinder gemeinsam: Sie alle sind verrückt nach Fußball.
Echte Fußballprofis zum Angreifen
An diesem Donnerstag ist das Training im Esterhazypark noch besser besucht. Heute sind zwei echte Profifußballer zu Gast, die mit den Kindern ein paar Übungen machen. Die Rapid-Spieler Thomas Murg und Thomas Schrammel betreten nahezu unbemerkt den Käfig, ein paar Kinder wagen sich nach einiger Zeit vorsichtig an die beiden heran. Nach einer etwa einstündigen Trainingseinheit, bei der die Kinder ihre Idole bei Doppelpässen und Dribbelübungen hautnah erleben dürfen und die mit einem Match abgeschlossen wird, nehmen sich die Spieler viel Zeit für Foto- und Autogrammwünsche und verlosen Eintrittskarten für ein Bundesliga-Spiel.
Rapid kooperiert seit zwei Jahren im Rahmen seiner „Käfig-Tour“ mit der Caritas. An durchschnittlich zehn Terminen pro Jahr können die Kinder in verschiedenen Fußballkäfigen in ganz Wien mit Spielern des österreichischen Rekordmeisters trainieren. Erst eine Woche zuvor waren Mario Pavelic und Arnor Traustason im Arenbergpark im dritten Bezirk dabei. „Die Kinder und Jugendlichen sollen durch unseren Besuch animiert werden, selbst Sport auszuüben. Wir wollen zeigen, dass Profifußball nicht nur im Stadion stattfindet“, erklärt der frühere ÖFB-Teamspieler Muhammet Akagündüz, der als Kind selbst im Käfig gekickt hat und nun als Trainer die Geschicke der Rapid-Amateure lenkt.
Von dem, was er vor 20 Jahren am Wiener Margaretengürtel gelernt hat, profitiert auch Rapid-Verteidiger Schrammel. „Im Käfig spielst du nicht nur gegen Gleichaltrige, sondern auch gegen Männer oder gegen welche, die zehn Jahre älter sind. Da musst du mehr mit dem Körper arbeiten“, sagt der 29-Jährige, der im fünften Wiener Gemeindebezirk aufgewachsen ist und in seinen zwölf Jahren als Profifußballer schon 289 Spiele in den höchsten heimischen Spielklassen absolviert hat.