Ein Käfig voller Fußballnarren

Wenn in Wien salopp vom „Käfig“ gesprochen wird, dann meint man damit auch eine Institution, die ein Kitt zwischen unterschiedlichen Schichten und Sprungbrett für den sozialen Aufstieg sein kann. In mehr als 200 Käfigen können Kinder und Jugendliche in Wien seit vielen Jahren in einem räumlich abgetrennten Bereich Ballsport betreiben. Vielerorts wurde erkannt, dass Verständnis zwischen unterschiedlichen sozialen Gruppen auf dem betonierten Sportplatz leichter zu erreichen ist als an manch anderem Ort. Beachtliche Karrieren sind jedenfalls dem Käfig entsprungen, wie Fußballer Ümit Korkmaz und NBA-Basketballer Jakob Pöltl ORF.at erzählten.
Ausgelassen laufen die Kinder über den Platz. Wie viele es genau sind und wie viele Bälle zwischen ihnen herumspringen, ist in dem Getümmel schwer auszumachen. Die meisten der Burschen kommen gerade aus einer der umliegenden Schulen oder Nachmittagsbetreuungen und müssen sich nach dem langen Sitzen erst einmal austoben, bevor das Training beginnt. Es wird gekreischt und gelacht. Als die beiden Trainer Jörg und Patrick um Punkt 16.00 Uhr den Fußballkäfig des Esterhazyparks im sechsten Wiener Gemeindebezirk mit einer Tasche voller Bälle betreten, werden sie sofort von einer jubelnden Kindertraube umringt.

„Dann werde ich besser“

Nach der Schule ist vor dem Training

Für viele der Buben, die hier jeden Donnerstag das von der Caritas kostenlos angebotene Fußballtraining im Rahmen der Käfig League besuchen, ist es der Höhepunkt ihrer Woche. Die meisten sind zwar ohnehin so gut wie jeden Tag im Park, um stundenlang Fußball zu spielen und Zeit mit ihren Freunden zu verbringen. Aber ein richtiges Training - so, wie es auch ihre Idole aus dem Fernsehen jeden Tag absolvieren - ist für die zwischen sechs und 14 Jahre alten Schüler etwas ganz Besonderes. Vor allem weil zum Abschluss der Einheit immer ein Match oder - je nach Teilnehmerzahl - gleich ein ganzes Turnier gespielt wird.
„Der Jonas sagt immer: ,Ich bin besser als du.‘ Und dann macht er beim Hinschmeißen Quatsch. Beim Quatschmachen konzentriere ich mich dann immer aufs Quatschmachen und nicht auf den Ball.“ Konstantin, sechs Jahre
Angefangen wird meist mit lockeren Übungen, die auf den ersten Blick wenig mit Fußball zu tun haben. Manchmal steht ein Spiel auf dem Programm, bei dem sich einige Kinder an der Hand nehmen und die anderen einfangen sollen, ohne einander loszulassen. An anderen Tagen wird eine Mischung aus Handball und Fußball gespielt oder mit lockeren Kopfballübungen begonnen. Der Spaß, den die bunte Truppe ganz offensichtlich schon beim Aufwärmen hat, ist auch im Großstadtlärm mit der stark befahrenen Gumpendorfer Straße, dem angrenzenden Wasserspielplatz und der lauten Musik aus der Freeletics-Ecke nicht zu überhören.
Kinder beim Training ORF.at/Dominique Hammer
Kinder beim Training ORF.at/Dominique Hammer
ORF.at/Dominique Hammer
Kinder beim Training ORF.at/Dominique Hammer
Kinder beim Training ORF.at/Dominique Hammer
Kinder beim Training ORF.at/Dominique Hammer
„Mir gefällt am besten das Training und dass ich hier meine Freunde treffen kann“, erzählt Dorotej. Der Achtjährige besucht den Käfig mit seinem Bruder Ljubisa und geht in die erste Klasse einer nahe gelegenen Volksschule. Sein großes Idol ist Cristiano Ronaldo, deshalb trägt er auch ein Trikot mit der Rückennummer sieben. Aus Dorotejs Klasse sind noch sechs weitere Buben jeden Donnerstag dabei. Alle tragen einheitliche Dressen mit ihrem Namen und ihrer Lieblingsnummer. Um die Position des Tormanns hat es am Anfang kurz Streit gegeben, erzählt eine Mutter. Schließlich hat sich der siebenjährige Omar durchgesetzt. Er trägt das ganze Training über stolz seine roten Tormannhandschuhe.

Fußball als gemeinsame Sprache

Für Dorotej und seine Freunde ist der Spaßfaktor der wöchentlichen Einheit das Wichtigste: Sie kommen in den Käfig, um einfach mit Gleichaltrigen Zeit zu verbringen. Der neunjährige Bruno, der mit seiner herzlichen Art und seinen herausragenden fußballerischen Fähigkeiten auch bei den älteren Jugendlichen im Park großen Respekt genießt, hat dem Spielen im Käfig sogar das professionelle Training im Verein geopfert. „Ich komme fast jeden Tag hierher. Im Verein ist es auch schön, aber der Käfig ist das Beste“, sagt Bruno und strahlt, wenn er von seiner Leidenschaft erzählt.

„Ich kenne fast jeden hier“

Für andere wiederum stellt ein Nachmittag im Park die einzige Möglichkeit dar, regelmäßig und vor allem kostenlos ihrem Lieblingssport nachzugehen. Mohammed ist heute zum ersten Mal dabei. Nach dem Training verspricht er selig, nächste Woche wieder mitzumachen. Der Zwölfjährige ist erst vor wenigen Monaten mit seiner Familie von Syrien nach Wien gekommen und spricht nur wenig Deutsch. Herkunft, Alter und Muttersprache spielen im Käfig aber ohnehin keine Rolle, die Buben verständigen sich höchstens über laute „Pass!“-, „Wir haben Ball!“- und „Geht’s?“-Rufe. Nach ein paar Minuten ist auch Mohammed ganz in seinem Element. Denn eines haben die Kinder gemeinsam: Sie alle sind verrückt nach Fußball.

Echte Fußballprofis zum Angreifen

An diesem Donnerstag ist das Training im Esterhazypark noch besser besucht. Heute sind zwei echte Profifußballer zu Gast, die mit den Kindern ein paar Übungen machen. Die Rapid-Spieler Thomas Murg und Thomas Schrammel betreten nahezu unbemerkt den Käfig, ein paar Kinder wagen sich nach einiger Zeit vorsichtig an die beiden heran. Nach einer etwa einstündigen Trainingseinheit, bei der die Kinder ihre Idole bei Doppelpässen und Dribbelübungen hautnah erleben dürfen und die mit einem Match abgeschlossen wird, nehmen sich die Spieler viel Zeit für Foto- und Autogrammwünsche und verlosen Eintrittskarten für ein Bundesliga-Spiel.
Kinder ORF.at/Dominique Hammer
Rapid-Flügelspieler Arnor Traustason ist zum ersten Mal bei der „Käfig-Tour“ dabei
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Rapid-Verteidiger Mario Pavelic wärmt sich für das Kindertraining auf
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Thomas Schrammel übt mit den Kindern im Käfig das Passspiel
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Auch beim Kindertraining scheut der Rapid-Verteidiger keine Zweikämpfe
Kinder ORF.at/Dominique Hammer
Im abschließenden Match wird Thomas Murg gleich von drei Gegenspielern angegriffen
Rapid kooperiert seit zwei Jahren im Rahmen seiner „Käfig-Tour“ mit der Caritas. An durchschnittlich zehn Terminen pro Jahr können die Kinder in verschiedenen Fußballkäfigen in ganz Wien mit Spielern des österreichischen Rekordmeisters trainieren. Erst eine Woche zuvor waren Mario Pavelic und Arnor Traustason im Arenbergpark im dritten Bezirk dabei. „Die Kinder und Jugendlichen sollen durch unseren Besuch animiert werden, selbst Sport auszuüben. Wir wollen zeigen, dass Profifußball nicht nur im Stadion stattfindet“, erklärt der frühere ÖFB-Teamspieler Muhammet Akagündüz, der als Kind selbst im Käfig gekickt hat und nun als Trainer die Geschicke der Rapid-Amateure lenkt.

„Im Käfig kann man viel lernen“

Von dem, was er vor 20 Jahren am Wiener Margaretengürtel gelernt hat, profitiert auch Rapid-Verteidiger Schrammel. „Im Käfig spielst du nicht nur gegen Gleichaltrige, sondern auch gegen Männer oder gegen welche, die zehn Jahre älter sind. Da musst du mehr mit dem Körper arbeiten“, sagt der 29-Jährige, der im fünften Wiener Gemeindebezirk aufgewachsen ist und in seinen zwölf Jahren als Profifußballer schon 289 Spiele in den höchsten heimischen Spielklassen absolviert hat.
ORF.at/Dominique Hammer

Vom Park ins Nationalteam

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Die Zahl der Profis, die ihre ersten Fußballerfahrungen in einem der mehr als 200 Käfige in Wien gemacht haben, ist enorm. David Alaba, Marko Arnautovic, Aleksandar Dragovic, Tarkan Serbest, Dominik Prokop, Veli Kavlak, Roman Mählich und nicht zuletzt Herbert Prohaska sind nur einige Beispiele von hauptberuflichen Fußballern, die auf eine Jugend im Käfig zurückblicken. Überhaupt ist der Käfig eine Wiener Eigenart - obwohl es in den anderen Bundesländern vereinzelt Käfige gibt, kommen die Kinder dort eher beim Spielen in der Natur mit Fußball in Berührung.
Eines der prominenten Beispiele für eine erfolgreiche Fußballerlaufbahn, die auf dem Großstadtasphalt begonnen hat, ist Ümit Korkmaz. Der heute 31-Jährige mit türkischen Wurzeln hat sich vom Forschneritschpark im 15. Bezirk bis in die heimische Bundesliga hochgearbeitet, als einer der großen Publikumslieblinge mit Rapid einen Meistertitel erobert und zehnmal das ÖFB-Teamdress getragen.

Tief im 15. Bezirk verwurzelt

Am Höhepunkt seiner Karriere war der Flügelflitzer in der deutschen Bundesliga im Einsatz, nach einem Gastspiel in der Türkei spielte Korkmaz im Frühjahr beim Bundesligisten St. Pölten. „Von unserer Position träumen Kinder und Jugendliche, und wir haben es geschafft - durch einen Käfig“, fasst er seine Karriere in einem Satz zusammen. Seine Kindheit im Park war für Korkmaz rückblickend die wohl prägendste Zeit seines Lebens. Gemeinsam mit Yasin Pehlivan, mit dem er jahrelang bei Rapid und im Nationalteam gespielt hat und der ebenfalls im Straßenfußball groß geworden ist, besucht Korkmaz seinen früheren Betreuer aus dem örtlichen Jugendzentrum.

„Einige waren viel besser als ich“

„Er war immer mit vollem Herzen dabei. Als er dann zwölf, 13 Jahre alt war, haben wir gesehen, dass er sehr gut spielt“, erinnert sich Safah Algader, der sich seit 20 Jahren im Juvivo-Jugendzentrum um den Nachwuchs in Rudolfsheim-Fünfhaus kümmert. Bis heute engagiert sich auch Korkmaz in seinem Heimatbezirk - sei es, um die jungen Burschen mit seiner bloßen Anwesenheit zu motivieren oder um die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter mit Sachspenden zu unterstützen.

Präventionsarbeit als wichtigster Aspekt

„Viele Kinder waren vor allem deshalb im Park, weil die Eltern den ganzen Tag arbeiten waren“, beschreibt Korkmaz die damaligen Umstände. Aufgrund der langen Zeitspannen, die die Jugendlichen außer Haus verbringen, spielt für Algader die Präventionsarbeit die wichtigste Rolle bei seiner Tätigkeit. „Ich bin stolz auf unseren Park. Keines dieser Kinder ist radikalisiert worden“, betont der 61-Jährige. „Wenn man im Park aufwächst, ist das nichts Schlechtes“, pflichtet ihm Korkmaz bei. „Wir haben damals als Kinder den sozialen Bereich vielleicht nicht gesehen, aber wenn ich zurückschaue, war Safah das Beste für mich. Wir sind eine Arbeiterfamilie gewesen, Einwanderer aus der Türkei. Meine Eltern waren natürlich fürsorglich, aber sie mussten auch Geld verdienen.“
„Von unserer Position träumen Kinder und Jugendliche, und wir haben es geschafft - durch einen Käfig.“
Ümit Korkmaz
Korkmaz, der 2006 im Rapid-Dress sein Debüt in der Bundesliga gefeiert hat, sieht in seinen Erfahrungen im Käfig nicht nur die Basis für seine Profilaufbahn, sondern auch für seine persönliche Entwicklung. „Für mich ist der Park eine Chance. Du hast Auseinandersetzungen, du musst vielleicht um deinen Platz kämpfen oder um deinen Ball streiten, aber am Ende bist du dann so reif, dass du schlecht und gut unterscheiden kannst“, sagt der ehemalige Deutschland-Legionär.
Dass die Freude am Fußball und innige Freundschaften der Schlüssel zum Glück sein können, glaubt auch Pehlivan: „Wir haben einfach nur Spaß gehabt. Wir haben den ganzen Tag gespielt, von zwölf Uhr bis acht Uhr am Abend“, erzählt der 28-Jährige. „Wie oft siehst du deine Verwandten? Die Jungen im Park siehst du jeden Tag“, beschreibt Korkmaz seine zweite Familie.

„Hier geht es ganz schön zu auf den Straßen“

In den USA dominiert der Streetball

In einer ganz anderen Ecke Wiens ist Jakob Pöltl aufgewachsen. Der 21-Jährige, der soeben als erster Österreicher überhaupt seine erste Saison in der stärksten Basketballliga der Welt, der NBA, fertig gespielt hat, kommt aus dem sechsten Bezirk und hat ebenfalls große Teile seiner Kindheit in den Parks der Umgebung verbracht. Die meisten Käfige der Bundeshauptstadt sind „polysportive Hartplätze“, wo nicht nur Fußball, sondern auch Basketball gespielt werden kann. Pöltl selbst dockte bereits mit sechs Jahren im Verein an, für seine zweite Leidenschaft Fußball machte er aber auch häufig Abstecher in den Käfig. „Das war wirklich nur zum Spaß, ich würde mich nicht als talentierten Fußballer bezeichnen“, erzählt er schmunzelnd.
„Ich glaube, im Käfig lernt man ein gewisses Maß an Toughness. Da gibt es oft keine Regeln. Da heißt es oft: Foul gibt es keines, wir spielen, bis der Ball im Korb ist. Das gibt es in der Halle nicht.“
Jakob Pöltl
Eine Käfigkultur gibt es auch in den USA, die Rollen sind aber vertauscht: Im Gegensatz zu Wien, wo der Fußball das Sagen hat, wird dort zum überwiegenden Teil Basketball gespielt. Vor allem Profis aus ärmeren Gegenden, die kein klassisches Einfamilienhaus mit Basketballkorb über der Einfahrt haben, machen ihre ersten sportlichen Erfahrungen häufig im Käfig. „In den USA gibt es weltberühmte Streetball-Plätze in New York und Kalifornien. Da geht es schon ziemlich zu auf den Straßen“, berichtet Pöltl, der selbst auch schon den einen oder anderen Abstecher in den Streetball gemacht hat. „Ich war zwar nicht auf den weltberühmten Plätzen, aber ich habe hier auch schon einmal ein bisschen etwas ausprobiert.“

„Im Käfig gibt es keine Regeln“

Die Vorteile des freien Spiels im Park liegen für den Wiener auf der Hand. „Ich glaube, im Käfig lernt man ein gewisses Maß an Toughness. Da gibt es oft keine Regeln. Da heißt es oft: Foul gibt es keines, wir spielen, bis der Ball im Korb ist. Das gibt es in der Halle nicht“, beschreibt Pöltl die Atmosphäre. Obwohl die Arbeit im Verein nicht mit dem freien Spiel an öffentlichen Plätzen vergleichbar ist, glaubt er, dass man für eine Profikarriere „ein bisschen von beidem“ braucht: „Nur mit Streetball wird man in der NBA nicht überleben können. Es ist aber nicht schlecht, wenn man auf der Straße Basketball gespielt hat.“ Pöltl kennt den Käfig nicht nur aus eigener Erfahrung, auch einige NBA-Spieler sind mit Streetball groß geworden. „Einer meiner Teamkollegen, DeMar DeRozan, stammt aus ärmeren Verhältnissen. Er hat oft Streetball gespielt“, sagt Pöltl über den Shooting Guard der Toronto Raptors.
Käfigsport ORF.at/Dominique Hammer
Der Hedwig-und-Johann-Schneider-Park im 21. Bezirk befindet sich inmitten der Gemeindebauten der Großfeldsiedlung

Fußball mit „sozialem Anstrich“

ORF.at/Dominique Hammer
So leidenschaftlich die Kinder in den Wiener Käfigen auch von einer Profilaufbahn träumen mögen, bei den Kleinsten steht vorerst der Spaß an der Bewegung und am Spiel mit dem Ball im Vordergrund. Die Caritas hat die Käfig League vor sieben Jahren mit der Intention ins Leben gerufen, die Integration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund und aus schwierigen sozialen Verhältnissen zu fördern.
Das Angebot umfasst regelmäßige Fußballtrainings an 22 Standorten in ganz Wien, die insgesamt von rund 800 Kindern besucht werden. „Die Idee damals war, den Straßenfußball mit sozialem Anstrich in Wien zu etablieren“, erklärt Alexander Schneider, der sich bei der Caritas vom Trainer zum Projektmanager hochgearbeitet hat. Von den Einheiten, die an jedem Standort von zwei pädagogisch geschulten Trainern oder Trainerinnen betreut werden, profitieren mittlerweile auch junge Flüchtlinge.

„Unsere Trainer sind Multiplikatoren“

In den Trainingsgruppen, darunter eine ausschließlich für Mädchen, arbeiten außerdem viele unsichere Kinder spielerisch an ihrem Selbstvertrauen. Introvertierte Kinder legen nach und nach ihre Schüchternheit ab, Fair Play und Teamgeist werden gefördert. Schneider schöpft bei der Arbeit aus seinem eigenen Erfahrungsschatz: Als schüchternes Kind lernte er den Käfig als unkomplizierten Freundschaftsstifter kennen und schätzen. „Der Fußball hat mir geholfen, mich zu öffnen. Da konnte man miteinander Zeit verbringen, ohne viel reden zu müssen.“

„Gerade bei Kindern passiert viel von alleine“

Das Thema Integration sieht Schneider mittlerweile gelassener. „Du musst den Kindern gar nicht groß erklären, dass es egal ist, wo einer herkommt. Da geht es eher darum: Kann der jetzt kicken oder nicht“, erklärt der 34-Jährige. „Es ist wichtig, diese Sachen gar nicht groß zum Thema zu machen, weil sie dann für die Kinder auch kein Thema sind. Gerade bei Kindern passiert viel von alleine.“ Als Basis für eine erfolgreiche Arbeit in den Käfigen, die die Caritas betreut, fungiert dabei das Trainerteam, das sich aus Zivildienern, Sozialarbeitern, Lehramtsstudenten, früheren Profifußballern, engagierten Laien und sogar ehemaligen Käfigkickern zusammensetzt. „Wichtig ist, dass du als Erwachsener authentisch bist“, fasst Schneider den gemeinsamen Nenner seines 40-köpfigen, großteils ehrenamtlich arbeitenden Teams zusammen.

Öffentlich zugängliche polysportive Hartplätze in Wien

In enger Zusammenarbeit mit den örtlichen Jugendzentren werden nicht nur wöchentliche Trainings, sondern auch ganze Turnierserien in verschiedenen Parks angeboten, wo die Kinder Medaillen und Wanderpokale gewinnen können. Das motiviert tiefgreifend, zumal bei den Kindern zu Hause bisweilen recht stattliche Trophäensammlungen zusammenkommen. „Wir wollen, dass das Käfigtraining organisch in die ganze Umgebung eingebettet ist“, betont der ausgebildete Sportpsychologe. Die Regelmäßigkeit und Zuverlässigkeit des Caritas-Angebots ist ein weiterer essenzieller Aspekt in der Beziehungsarbeit mit den Kindern und Jugendlichen.

Nachhaltige soziale Arbeit

„Wir merken daran, dass wir erfolgreich sind, wenn ältere Jugendliche später dann wieder zu uns kommen und versuchen, wieder bei der Käfig League anzudocken. Das Schöne ist, dass das wirklich sehr oft passiert“, unterstreicht Schneider den Nachhaltigkeitsaspekt seiner Arbeit. Viele junge Erwachsene, die mittlerweile zu alt für das Straßenfußball-Angebot der Caritas sind, kehren als Schiedsrichter, in der Turnierorganisation oder als Trainer zur ihren fußballerischen Wurzeln zurück. „Wir haben sechs ehemalige Spieler, die mit zwölf, 13 Jahren bei uns im Käfig waren und jetzt als Trainer arbeiten“, berichtet der Projektleiter.
Käfigsport ORF.at/Dominique Hammer
Mitten im dicht verbauten Stadtgebiet befindet sich der kleine Käfig im Richard-Waldemar-Park im sechsten Bezirk
Käfigsport ORF.at/Dominique Hammer
Im Lorenz-Bayer-Park zwischen Ottakringer Straße und Hernalser Hauptstraße im 17. Bezirk gibt es sogar richtige Tore
An der Roßauer Lände im neunten Bezirk kann man Basketball und Fußball spielen
Sogar über dem Badeschiff beim Schwedenplatz gibt es mittlerweile einen Fußballkäfig
Die Erfolgsgeschichten, auf die die Verantwortlichen der Käfig League zurückblicken können, sind so zahlreich wie vielfältig und haben nicht nur mit dem Fußballsport zu tun. Der soziale und menschliche Aspekt spielt eine mindestens genauso große Rolle. „Wir konnten schon einige kleine Fußballtalente zu Vereinen bringen, den einen oder anderen Spieler haben wir sogar in eine Akademie zu Rapid und der Austria gebracht“, erzählt Schneider. „Wir hatten auch einen Trainer, den wir durch die Käfig League vor der Abschiebung nach Nigeria bewahren konnten, weil er dadurch nachweisen konnte, dass er ein wichtiger Teil der Gesellschaft geworden ist“, sagt er. „Das sind für mich die Erfolgsgeschichten: die ganzen Einzelschicksale, die durch uns positiv berührt werden.“

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Gestaltung

Linda Ellerich (Text und Gestaltung), Dominique Hammer (Fotos), Michael Baldauf, Thomas Hangweyrer (Videos), Peter Pfeiffer (Karte), Harald Lenzer (Lektorat), alle ORF.at

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