Blog, 3.10. Armin Wolf, stv. Chefredakteur ZiB

Die roten Asse im Koalitionspoker

Werner Faymann kann ziemlich selbstbewusst in die Koalitionsverhandlungen gehen. Denn obwohl die ÖVP mit einer schwarz-blau-gelben Alternative drohen kann, hat die SPÖ im Koalitionspoker die besseren Karten - sagt die Spieltheorie.

Was auf den ersten Blick wenig plausibel wirkt, hat einer der angesehensten Experimentalökonomen Europas für uns ausgerechnet: Matthias Sutter ist eben von der Uni Innsbruck an einen Lehrstuhl für Angewandte Volkswirtschaft am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz gewechselt. In seiner Forschung beschäftigt sich der vielfach ausgezeichnete Ökonom vor allem damit, wie rational Teams und Individuen in Entscheidungssituationen agieren.

Werner Faymann und Michael Spindelegger

APA/Roland Schlager

Für die Koalitionsverhandlungen hat er sich eine an sich simple Frage aus der Spieltheorie gestellt: Wie viele Handlungsoptionen haben die beteiligten Akteure? Je mehr Optionen ein Akteur hat und vor allem, je mehr Varianten ohne ihn nicht möglich sind, umso stärker ist seine Position.

32 mögliche Koalitionen

Für die Koalitionsvarianten heißt das Folgendes: Grundsätzlich gibt es mit den sechs im Nationalrat vertretenen Parteien 32 theoretisch denkbare Koalitionen, die eine Mehrheit der 183 Mandate schaffen. Die Minimalvariante wäre Rot-Blau mit 92 Mandaten, die maximale eine Allparteienkoalition mit 183. Ob diese Konstellationen politisch realistisch sind, ist da noch nicht berücksichtigt – es geht nur um die nötige mathematische Mehrheit.

In diesem Szenario ist – wenig überraschend – die SPÖ der mächtigste Akteur. Sie wäre bei 18 der 32 Varianten der entscheidende Player – wobei „entscheidend“ eben heißt, dass diese Koalitionen ohne SPÖ keine Mehrheit mehr hätten. ÖVP und FPÖ sind genau gleich stark: Sie könnten jeweils 14 der 32 Koalitionen durch ihre Nichtteilnahme verhindern. Interessanterweise sind auch die drei kleineren Parteien Grüne, Team Stronach (TS) und NEOS (trotz ziemlich unterschiedlicher Wahlergebnisse von 12,2 bis 4,8 Prozent) verhandlungstechnisch exakt gleich mächtig: Jede von ihnen wird nur für zwei der 32 Koalitionsvarianten gebraucht.

Wirklich spannend wird es aber, wenn man nur jene Konstellationen berücksichtigt, die nach den bisherigen Koalitionsansagen möglich sind: Derzeit schließen SPÖ, Grüne und NEOS ja eine Zusammenarbeit mit der FPÖ kategorisch aus. Wenn das so bleibt, hat es verhandlungstaktisch weitgehende Konsequenzen.

Aus 32 mach zehn

Es reduziert die möglichen Koalitionsvarianten nämlich drastisch – von 32 auf zehn. Aber: Obwohl für die Sozialdemokraten damit Rot-Blau entfällt, während die ÖVP weiterhin mit Schwarz-Blau-TS kokettieren kann, bleibt die SPÖ der mächtigste Akteur. Das klingt auf den ersten Blick überraschend.

Warum ist das so? Von den zehn verbliebenen Varianten sind neun ohne Sozialdemokraten nicht möglich - nur Schwarz-Blau-TS ginge ohne SPÖ. Die ÖVP hingegen ist nur für acht der zehn Möglichkeiten unbedingt nötig. Die einzige Koalition ohne Volkspartei wäre SPÖ-Grüne-TS-NEOS (96 Mandate). Das ist jetzt nicht die politisch wahrscheinlichste Variante, aber es wäre zumindest denkbar.

Möglich wäre aber auch eine Koalition aller Parteien außer der FPÖ, also SPÖ-ÖVP-Grüne-TS-NEOS. Diese Koalition hätte jedoch ohne ÖVP noch immer eine Mehrheit (eben die 96 Sitze von vorhin), aber nicht ohne SPÖ (91 ist ein Sitz zu wenig). Das macht spieltheoretisch den Verhandlungsvorteil der Sozialdemokraten aus. Sie können mehr Varianten blockieren als die Volkspartei.

Die Wildcard Stronach

Was auch überrascht: Das TS ist verhandlungstechnisch mächtiger als die Grünen, NEOS und vor allem als die FPÖ. Die FPÖ hat zwar viele Wählerstimmen, aber da kaum jemand mit ihr koalieren will, kann sie von den verbleibenden Varianten nur eine einzige blockieren, nämlich Schwarz-Blau-TS.

Auch Grüne und NEOS sind nur für eine Konstellation entscheidend (SPÖ + Grüne + Stronach + NEOS) – was sie gleich mächtig oder ohnmächtig macht wie die an Wählerstimmen wesentlich stärkere FPÖ. Das TS hingegen kann zwei der zehn Koalitionen unmöglich machen. Realpolitisch hilft das dem TS sogar noch mehr: Nur mit seiner Hilfe können SPÖ oder ÖVP eine Koalition ohneeinander bilden.

So weit kann Professor Sutter die Verhandlungsmacht der Beteiligten berechnen. Was er nicht ausrechnen kann: ob man sich für eine Koalition auf eine Partei verlassen soll, deren Alleineigentümer vor dem Heimflug nach Kanada noch schnell die wichtigsten Landeschefs absetzt, den Bundesvorstand auswechselt und den Klubchef tauscht. Manche Experimente überfordern sogar den Experimentalökonomen.

PS: In einer ersten Version dieses Eintrags war versehentlich von 31 möglichen Koalitionsvarianten die Rede. Es sind 32. An den errechneten Machtpositionen der Parteien ändert sich dadurch jedoch nichts.