Foto von Armin Wolf

Armin Wolf, Stv. Chefredakteur ZIB , 6.5.

Die schwer berechenbaren Wähler

Bis zum Wahltag sind es keine drei Wochen mehr, aber für die Demoskopen ist die Europawahl eine ziemlich schwierige Übung. Ihr größtes Problem: Es ist eine Wahl, die kaum wen interessiert.

Die Wahlbeteiligung ist jedenfalls seit jeher weit, weit niedriger als bei Nationalrats- oder Landtagswahlen. 46 Prozent waren es bei der letzten EU-Wahl 2009, zur NR-Wahl ein Dreivierteljahr zuvor sind 79 Prozent gegangen. Am 25. Mai rechnen die Experten nun mit einer Beteiligung von +/- 40 Prozent.

Die Gründe dafür sind klar: Das Europäische Parlament ist weit weg, die EU ist unbeliebt, die allermeisten Kandidaten sind kaum bekannt und viele Wähler haben (fälschlich) das Gefühl, bei der EU-Wahl gehe es um nichts.

Umfragen sinnlos

Und so sind Wahlumfragen, in denen alle Antworten ausgewertet werden, ziemlich sinnlos. Denn viele Befragte antworten zwar, werden am 25. aber nicht ins Wahllokal gehen. Das wissen die Demoskopen natürlich und rechnen deshalb nur mit jenen, die „ganz sicher“ oder zumindest „sicher“ zur Wahl gehen wollen. Da fallen bei den üblichen 400er, 500er oder 800er-Samples aber oft schon mehr als die Hälfte der Befragten weg, was die Schwankungsbreiten nicht kleiner macht.

Natürlich weiß auch niemand, ob Menschen in Umfragen die Wahrheit sagen. Häufig werden sie deshalb auch gefragt, für wen sie sich bei der letzten Wahl entschieden haben. Und da kommt es mitunter zu Überraschungen: Nicht mal 4 Prozent seines aktuellen Samples hätten nach eigenen Angaben 2009 für Hans-Peter Martin gestimmt, erzählte mir dieser Tage ein bekannter Wahlforscher. HPM war damals allerdings die drittstärkste Partei – mit knapp 18 Prozent. Das kann nun Zweierlei bedeuten: entweder ist das Sample extrem unrepräsentativ – oder viele HPM-Wähler von 2009 können oder wollen sich nicht an ihren damaligen Favoriten, der diesmal nicht mehr antritt, erinnern.

Schwache Erinnerungswerte

Umgekehrt steht es mit angeblichen ÖVP-Wählern von 2009. Laut den „Recall“-Raten in manchen aktuellen Umfragen müsste die Volkspartei damals an die 40 Prozent gehabt haben – tatsächlich waren es 30. Experten nehmen das als Zeichen, dass die Stimmung für die ÖVP derzeit besser sein könnte, als sich aus ihren „Rohdaten“ ablesen lässt, also aus den unmittelbaren Angaben der Befragten. Diese Rohdaten zeigen in den Umfragen, die ich kenne, SPÖ und ÖVP derzeit ziemlich Kopf an Kopf, allerdings meist mit der SPÖ leicht vorne. Weil das aber alles innerhalb der statistischen Schwankungsbreiten liegt, kommt es sehr stark darauf an, wie die Umfrageinstitute die Rohdaten „gewichten“.

So wissen sie zum Beispiel aus bitteren Fehlprognosen der Vergangenheit, dass die FPÖ traditionell „unterdeklariert“, also in den Umfragen schlechter abschneidet als dann am Wahltag, weil viele FPÖ-Anhänger nicht sagen wollen, wen sie wählen. Umfrage-Profis multiplizieren für die veröffentlichten Endergebnisse ihre FPÖ-Rohdaten deshalb grundsätzlich mit 1,3 oder 1,4. Interessant ist aber, dass die Freiheitlichen derzeit in Umfragen für eine fiktive Nationalratswahl weit besser liegen (nämlich auf Platz 1) als für die EU-Wahl, wo sie vom ersten Platz ein gutes Stück entfernt sind.

Rohdaten gewichten

Die Grünen hingegen werden in den Rohdaten normalerweise „überdeklariert“. Möglicherweise gilt das auch für die Neos, die besonders schwer einzuschätzen sind, weil bei ihnen die nötigen Vergleichsdaten aus der Vergangenheit fehlen. Sie liegen in den aktuellen Rohdaten außergewöhnlich gut, weit über der Nationalratswahl vom September, aber niemand weiß wirklich, wie belastbar diese Angaben sind.

Die Kunst der Demoskopen liegt nun also darin, diese Rohdaten entsprechend zu gewichten – und da gesteht auch der Umfrage-Profi, mit dem ich diese Woche ausführlich gesprochen habe, offen ein: „Was wir da machen, sind Hochschätzungen, keine Hochrechnungen“. Da geht es sehr viel um Erfahrung, aber auch um Gefühl. Und auch er hat sich dabei schon ziemlich geirrt.

Kampf um den Spitzenplatz offen

Eines muss man auch noch sagen: Der EU-Wahlkampf beginnt erst jetzt so richtig. Manches steht wohl trotzdem schon fest. Platz 1 wird nach derzeitigem Stand zwischen SPÖ und ÖVP ausgespielt (Ausgang noch ungewiss), die FPÖ liegt in allen aktuellen Umfragen ziemlich klar auf Platz 3. Ganz unsicher ist noch, ob letztlich die Neos vor den Grünen landen werden oder umgekehrt. Für die vier anderen Listen wird der Einzug ins Europa-Parlament sehr schwer, kein Institut, das ich kenne, hat eine von ihnen über zwei Prozent in den Rohdaten.

Etwa viereinhalb Prozent wird man am 25. Mai für eines der 18 österreichischen EP-Mandate brauchen. Alles ist noch offen, wäre schwer übertrieben – aber entschieden ist diese Europawahl noch keineswegs.