Blog, 16.9. Stefan Kappacher, Ö1-Innenpolitik

Caps einsamer Rekord

Eigentlich könnten wir Wähler uns am 29. September nicht nur eine Partei aussuchen, sondern auch die Kandidaten, die in den Nationalrat einziehen sollen. Eigentlich. Könnten. Denn das Vorzugsstimmen-System, das Vorreihungen von Kandidaten und Kandidatinnen von aussichtslosen hinteren Listenplätzen auf den ersten Platz möglich machen würde, ist halbherzig und weist zu hohe Hürden auf. Die jüngste Reform ändert wenig.

Der Wähler soll mitentscheiden können, welcher Kandidat, welche Kandidatin ihn letztlich im Nationalrat vertritt. Das ist ein altes Anliegen von Wahlreformern, Verfassungsgerichtshofs-Präsident Gerhart Holzinger zum Beispiel fordert das immer wieder ein. Herausgekommen ist heuer im Frühjahr wieder ein Reförmchen: Auf Landesebene ist es ein bisschen leichter, die notwendigen Vorzugsstimmen zu bekommen. Ein Kandidat braucht jetzt zehn Prozent der Stimmen seiner Partei, um vorgereiht zu werden.

Selfmade-Kampagnen in rot & grün

Das hilft, ist aber immer noch eine ganz schön hohe Hürde. Zwei Abgeordnete wollen sie mit mehr oder weniger originellen Selfmade-Kampagnen nehmen: Johann Maier von der SPÖ in Salzburg und Karl Öllinger von den Grünen in Wien. Wäre die neue Regelung in den vergangenen zwanzig Jahren schon in Kraft gewesen, hätte sich übrigens nur in einem Fall etwas geändert: Karl Habsburg hätte 1994 in Salzburg ein ÖVP-Mandat erobert.

Gar nicht zu reden von den Vorzugsstimmen auf Bundesebene, die neu eingeführt worden sind. Kandidaten von SPÖ und ÖVP brauchen sage und schreibe um die 100.000 Stimmen, damit das mit der Vorreihung klappt. ÖVP-Behindertensprecher Franz Josef Huainigg versucht es. Doch es wird natürlich nicht klappen, weil nur prominente Spitzenleute überhaupt die Chance haben, annähernd in diese Höhen zu kommen. Und auch die nur mit einer Persönlichkeitskampagne.

Wahlplakat der ÖVP Niederösterreich

ÖVP

Die Pröll-ÖVP in Niederösterreich hat die völlige Zweckentfremdung des Gedankens einer Vorzugsstimme in vielen Wahlkämpfen auf die Spitze getrieben. Nicht Vorzug auf der Liste, sondern Huldigung ist die Devise.

Genau dafür ist diese Regelung gemacht worden: Um persönliche Kampagnen für Spitzenleute zu ermöglichen, wenn sich die jeweilige Partei verstecken will. Nicht, um das Wahlrecht persönlicher zu machen. Es ist ja auch kein Zufall, dass Niederösterreichs absoluter Herrscher Erwin Pröll der größte Fürsprecher dieser Regelung war. Pröll praktiziert das Versteckspiel seit langem, bundesweit ist das nur dem damaligen SPÖ-Vorsitzenden Franz Vranitzky 1990 gelungen.

63.000 Stimmen für den Revoluzzer

So bleibt der einzige echte Vorzugsstimmen-Erfolg - neben zwei Umreihungen in Regionalwahlkreisen in Wien und im Burgenland - weiter der Einzug Josef Caps in den Nationalrat. Es ist dreißig (!) Jahre her, dass der damalige Chef der Sozialistischen Jugend von 63.000 Vorzugsstimmen in den Nationalrat katapultiert wurde – nachdem er einem Partei-Oberen öffentlich unangenehme Fragen gestellt hatte. Cap war ein Medienstar - hier bei Rudolf Nagiller im Ö1-Mittagsjournal kurz vor der Nationalratswahl 1983.

Heute ist Cap altgedienter Klubobmann der SPÖ und hätte das Wahlrecht längst substanziell reformieren können, wenn er wollte. Doch für das Partei-Establishment hat nun einmal Priorität, dass über die Wahllisten vor allem der innerparteiliche Ausgleich funktioniert – statt das Hohe Haus mit Revoluzzern zu bevölkern, die noch dazu hohe Sympathien im Volk genießen.