Zwettl

Einblicke ins schwarze Kernland

„Politik besteht darin, dass man versucht, sich mit Gegebenheiten so auseinanderzusetzen, dass man das Bestmögliche für alle erreicht“, sagt Franz Fichtinger. Der 91-Jährige kommt aus Zwettl und war für die ÖVP in vielen Funktionen tätig. Er und viele andere im Waldviertel stehen sinnbildlich für die Dominanz der Partei in ihrem Kernland.

„Politik ist eine Notwendigkeit, irgendwer muss bestimmen und anschaffen“, sagt Franz Höfer aus Schönbach und argumentiert damit in eine ähnliche Richtung. Doch es werden am „Wahlstimmen“-Set von ORF.at in Zwettl auch Stimmen laut, die das Rollenverständnis von Politikerinnen und Politikern grundsätzlich kritischer sehen.

„Verantwortung übernehmen sollte man (als Politiker, Anm.) schon können, wenn man so ein Amt übernimmt – man sollte zu Dingen stehen und nicht alle zwei Minuten ,Ah so, hab ich das falsch verstanden?’ sagen – sie reden sich ständig raus“, meint Petra Demuth aus Gmünd. Der Ort liegt etwa 25 Kilometer nördlich von Zwettl an der Grenze zu Tschechien. Demuth arbeitet als Krankenschwester.

„Verantwortung übernehmen sollte man schon“

Politiker müssten Verantwortung übernehmen und sollten nicht ständig ihre Meinung wechseln, sagt Petra Demuth in Zwettl. Auch privat würden wegen Sprunghaftigkeit Freundschaften zerbrechen.

„Leben funktioniert so nicht, sie (die Politikerinnen und Politiker, Anm.) reden sich einfach ständig raus. Jede Freundschaft geht den Bach runter, wenn ich so mit meiner Freundin tu – dann sagt sie irgendwann einmal: ‚Mit dir kann man nicht befreundet sein.‘ Und so geht’s mir mit Politikern“, schildert Demuth.

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Brücke über den Fluss Zwettl
ORF.at/Carina Kainz
Interview vor dem blauen ORF.at-„Wahlstimmen“-Bus auf dem Dreifaltigkeitsplatz in Zwettl
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Interviewpartnerin vor dem blauen ORF.at-„Wahlstimmen“-Bus in Zwettl auf dem Dreifaltigkeitsplatz
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Interviewpartnerin vor dem blauen ORF.at-„Wahlstimmen“-Bus in Zwettl
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Interviewpartnerin vor dem blauen ORF.at-„Wahlstimmen“-Bus in Zwettl
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Kind rennt über den Dreifaltigkeitsplatz in Zwettl
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Trinkbrunnen auf dem Dreifaltigkeitsplatz in Zwettl
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ÖVP-Niederlassung in Zwettl
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Interviewpartner vor dem blauen ORF.at-„Wahlstimmen“-Bus in Zwettl
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Traktor und Auto neben dem Dreifaltigkeitsplatz in Zwettl
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„Hartes Terrain am Lande“

Andreas Blauensteiner liefert einen radikalen Vorschlag: Allgemein seien österreichische Politiker „mit viel Nicht-Korrektheit verbunden“ – auch seien Politiker und Politikerinnen in Österreich zu gut bezahlt. „Die gehören in ein anderes Schema gesteckt – und zwar nach Bonitätszahlungen. Wie bei Firmen, die gut arbeiten, bekommen sie ein Geld, wenn ich nicht gut arbeite, verdiene ich kein Geld“, sagt Blauensteiner.

Auch die Umstände für die Mitbewerber im ÖVP-Kernland finden Erwähnung: „Es ist sicher ein hartes Terrain hier am Lande“, sagt Martina Kainz aus Zwettl. Für andere Parteien sei es „sicher möglich sich einzubringen, ohne dass man gravierende Nachteile erfährt“, so Kainz. Auch Ex-Kanzler Sebastian Kurz ist Thema: „Kurz ist für die ÖVP schon sehr wichtig, er hat alles neu aufgestellt – sonst hätte die ÖVP nicht so viele Stimmen“, sagt Anna Hofbauer.

„Ich steh hinter dem Sebastian“

Auch Stefanie Vollgruber kommt zu Wort, sie ist eine begeisterte Wahlhelferin für Kurz. „Ich steh hinter dem Sebastian, ich hoffe, dass er in der Regierung dabei ist“, sagt sie. Weniger überzeugt vom „jungen“ Kurz ist Karl Hammerl: „Der müsste einmal einen Sommer lang auf einer Wirtschaft mitarbeiten, dann könnte er sich ein Bild machen“, regt Hammerl, ein Leben lang Landwirt, an.

Oft erwähnt werden Fragen der Infrastruktur und Versorgung: „Wir bräuchten eine Art Wertediskussion, was uns der ländliche Raum wirklich wert ist. Nicht nur Lippenbekenntnisse, sondern auch zu sagen, ja, das gehört zu einer Grundinfrastruktur“, sagt Höfer. „Die Zugverbindungen sind dürftig, da wäre für Autos in unserer Gegend, wo kein Zug, kein Bus regelmäßig fährt, eine Autobahnanbindung wichtig. Für alle Arbeitnehmer und alle Auspendler“, so Blauensteiner.

Regionalpolitiker als Tippgeber

Auch aufrichtige Haltungen werden angeregt: „Man muss seine Eigenständigkeit wahren, Österreich vorantreiben – mit Hirn natürlich. Im Herzen sind wir alle Europäer, sollte es so weitergehen, wird die Welt nicht mehr lange funktionieren“, sagt Höfer. Kainz hat noch einen Tipp parat: Bundespolitiker sollten sich öfter bei Regionalpolitikern darüber erkundigen, „was los ist“ – „unabhängig von der Couleur, der sie angehören“, sagt Kainz. „Die sehen konkret, wo’s mangelt“.

„Bekenntnis zu Wirt, Pfarrer, Kaufhaus“

Es brauche ein klares Bekenntnis, dass jedes Dorf unter anderem seinen eigenen Wirt, einen Pfarrer samt Kirche und auch ein Kaufhaus habe, sagt Franz Höfer in Zwettl.

ÖVP dominiert alles

Auch in den Gesprächen abseits der Kamera verfestigt sich der Eindruck, dass die ÖVP in Zwettl absoluter Platzkaiser ist: Fast ausschließlich deklarierte ÖVP-Wählerinnen und -Wähler reden mit dem „Wahlstimmen“-Team. Seltener als in den anderen Tourorten geben die Befragten an, bei der Wahl nicht ihre Stimme abgeben zu wollen – auch wenn nicht alle mit der aktuellen ÖVP-Politik auf Bundesebene immer einverstanden zu sein scheinen.

Die kommenden Orte und Daten zur „Wahlstimmen“-Tour:

  • 4.9.: Mattersburg, Burgenland
  • 5.9.: Wien-Simmering, Enkplatz

Dabei scheint es in Zwettl auch Spannungen zu geben: Mehrfach heißt es, jeweils von Anhängern der türkisen ÖVP, dass man sich nicht vor der Kamera äußern möchte, um nicht Neid, Missgunst oder auch Beschimpfungen im Internet zu ernten.

Wichtiges Zentrum im Waldviertel

Zwettl-Niederösterreich, so der vollständige Name, zählt zu den flächenmäßig größten Gemeinden Österreichs und liegt im Nordwesten des Landes. Sie ist Hauptstadt des gleichnamigen Bezirks, ein wichtiges Zentrum im Waldviertel und tendenziell ein eher kühlerer Ort – jährlich werden rund 141 Frosttage und 37 Eistage verzeichnet. Mit dem Klimawandel werden die Jahresmittel freilich immer höher. Wirtschaftlich dominieren kleine und mittlere Handels- und Gewerbebetriebe sowie Tourismus, die „Braustadt“ ist außerdem auch für ihre Biertradition bekannt.

Einblicke ins schwarze Kernland

Der „Wahlstimmen“-Bus von ORF.at macht halt im schwarzen Kernland. Franz Fichtinger und viele andere im Waldviertel stehen sinnbildlich für die dortige Dominanz der Partei.

Die Stadt ist auch in Zahlen eine absolute ÖVP-Hochburg: Sowohl bei der letzten Nationalratswahl 2017 als auch bei der heurigen EU-Wahl wurden über 50 Prozent eingefahren, bei der EU-Wahl waren es gar über 57 Prozent. Eine nennenswerte Bedeutung besitzt sonst nur die FPÖ, die 2017 23 Prozent geholt hat. Die SPÖ kam bei keiner der beiden Wahlen über 15 Prozent – bei der EU-Wahl blieben selbst die damals aufstrebenden Grünen unter acht Prozent, NEOS unter sieben. Kommunal ist seit jeher ebenfalls die ÖVP am Zug: Sie holt regelmäßig Ergebnisse weit über der 60-Prozent-Marke.