Der deutsche Satiriker Martin Sonneborn
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Außensicht

„Satire ist die fünfte Gewalt im Staat“

Dass mittlerweile Satiriker im Spielfeld der Politik mitmischen, ist für einen der Oberkrawallos der deutschen Satire, Martin Sonneborn, eigentlich ein Unglücksfall. Bei einem Besuch in Wien hat der frühere Chefredakteur des Satiremagazins „Titanic“ und jetzige EU-Parlamentarier Sonneborn auch die heimische Politik in den Blick genommen. Satire hat für ihn einen moralischen Kern. Und sei eigentlich die fünfte Gewalt im Staat. Umso brachialer müsse sie aber momentane Missstände in der politischen Debatte aufdecken, sagt er im Gespräch mit ORF.at.

ORF.at: Herr Sonneborn, ist Politik nur noch ein Witz?

Martin Sonneborn: Nein, das glaube ich nicht. Das sollte es jedenfalls nicht sein. Ich freue mich, wenn ernsthaft Politik betrieben wird. Der Unterhaltungsfaktor wird in der Politik überschätzt. Und ich ärgere mich, dass die Medien diesen Prozess vorangetrieben haben. Es geht nicht mehr um fundierte Sachkenntnis, sondern entscheidend ist, Dinge erfolgreich medial darzustellen. Dass jetzt schon Leute aus dem satirischen Bereich in der Politik Verantwortung übernehmen müssen, wie Jan Böhmermann das in Deutschland versucht hat, das ist ein Alarmsignal.

ORF.at: Warum haben Sie sich persönlich als Mandatar in die Politik begeben? Liegt das auch daran, dass man Realität und Satire ohnedies nicht mehr zweifelsfrei unterscheiden kann?

Martin Sonneborn

Mit seinen provokanten Auftritten sorgt der Satiriker Martin Sonneborn regelmäßig für Aufsehen – nicht nur im EU-Parlament, wo er schon für die von ihm mitgegründete „Die Partei“ nun die zweite Legislaturperiode sitzt. Davor war der 1965 in Göttingen geborene Sonneborn Chefredakteur von „Titanic“. Im Zuge seines Germanistik- und Geschichtsstudiums lebte Sonneborn auch für ein Jahr in Wien.

Sonneborn: Eigentlich nicht. Dass ich heute im Europäischen Parlament sitze, ist ein Unglücksfall, das kam auch extrem überraschend. Wir haben 2004 aus dem Satiremagazin „Titanic“ eine Partei aus einem ganz banalen Grund gegründet: Wir wussten nicht mehr, was wir in der anstehenden Bundestagswahl wählen sollten. Ich kann nicht konservativ wählen, es gibt keine funktionierende Sozialdemokratie, die Grünen hatten ihre Ideale über Bord geschmissen, die Linken waren zerstritten, die FDP, die man als liberale Kraft gebraucht hätte, war nur noch ein Abklatsch alter Jahre. So haben wir gesagt: Gut, wir gründen eine Partei. Wir hatten natürlich davor Wahlkämpfe für verschiedene Parteien gemacht, ohne dass die das wussten, wir hatten antisemitische, porno-orientierte Wahlkämpfe gemacht für Parteien, immer satirisch das überspitzend, was die Wahlkämpfe der Parteien so auszeichnete – und dann haben wir gesagt: Gut, machen wir es doch unter eigenem Namen.

ORF.at: Soll die Partei dann auch eine Schwesterpartei in Österreich haben?

Sonneborn: Auf jeden Fall. Ich glaube, dass die Partei in Österreich dringend gebraucht wird. Ich glaube, dass im Moment kaum seriöse Parteien auf dem Wahlzettel stehen. Momentan hat die Partei Schwierigkeiten, in dieser konservativen Medienlandschaft vorzukommen. Und im Moment läuft uns die Bierpartei noch den Rang ab. (lacht)

Ausschnitt aus dem ORF.at-Wahlstimmenstudio
ORF.at

Im „Wahlstimmen“-Studio

Ab 20. September lesen Sie in ORF.at/wahlstimmen die Reaktionen der Spitzenkandidatinnen und -kandidaten auf die Statements der ORF.at-„Wahlstimmen“-Tour. Alle bundesweit antretenden Parteien und Listen sind ins ORF.at-Studio eingeladen.

ORF.at: Wie sieht der Blick von außen auf das aus, was sich in Österreich in den letzten Monaten abgespielt hat?

Sonneborn: Das wird in Deutschland natürlich verfolgt. Und ich bin immer noch fassungslos, dass 30 Prozent der Österreicher überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen, was hier ein paar Kasper mit ihren Gaunereien in der Politik betreiben. Österreich hat natürlich diesen traditionellen Filz, diese zwei Parteien, die das Land jahrzehntelang mehr oder weniger unter sich aufgeteilt hatten. Und ich denke schon, dass es da eine neue Kraft braucht.

ORF.at: Ein Deutscher, den wir in Kärnten getroffen haben im Zuge unserer „Wahlstimmen“-Tour, der schon lange hier lebt und hofft, Österreicher zu werden, meinte, in Österreich könne man mehr Dinge sagen als in Deutschland …

Sonneborn: Heil Hitler zu Beispiel?!

ORF.at: Nein, das ist in Österreich auch verboten. Er meinte offenbar einen tabuloseren Diskurs zu politischen Inhalten.

Sonneborn: Ich habe den Eindruck, dass Österreich bei manchen ein paar Jahre hinten liegt. Etwa diesen amerikanischen Quatsch, den haben wir sechs Jahre später übernommen, und weitere sechs Jahre später kam das dann nach Österreich. Das freut mich, wenn das jetzt nicht mehr so ist, da würde ich, glaube ich, auch hierher rüberwechseln. Aber Moralisieren ist natürlich furchtbar, und als Herausgeber eines Satiremagazins stört mich das natürlich zutiefst.

„Es gibt nur einen Pickel am Arsch“

Außensicht auf der Wahlstimmentour: Ein deutscher Bürger, der schon länger in Österreich lebt, kommentiert die innenpolitischen Verhältnisse

ORF.at: Apropos Satire: Hat die nicht eine moralische Funktion für die Gesellschaft?

Sonneborn: Ich glaube, dass Satire nicht ohne moralischen Standpunkt funktioniert, und das unterscheidet sie dann von Comedy und Klamauk.

Martin Sonneborn im Gespräch mit Gerald Heidegger
Guy Lichtenstein/ORF.at
„Satire braucht einen moralischen Kern“, sagt Martin Sonneborn im Gespräch mit Gerald Heidegger (ORF.at) rund um seinen Auftritt im Wiener Stadtsaal.

ORF.at: Sie würden sich also klar abgrenzen von all dem, was unter Comedy verhandelt wird?

Sonneborn: Ich denke schon. Satire hat einen moralischen Standpunkt, hat eine aggressive Komponente, die Klamauk und Comedy fehlt, und zielt auch auf die Abstellung eines Mangels. Comedy hingegen ist nach meinem Gefühl ja eher systembestätigend.

ORF.at: Muss Satire deshalb auch aktionistisch sein und Erwartungshorizonte durchbrechen?

Sonneborn: Ich glaube, man muss die Leser von Satire regelmäßig irritieren. Das kann man natürlich mit Grenzüberschreitungen und Tabuverletzungen. Man kann es natürlich auch so anlegen, dass man Tabus respektiert. Ich mochte stets aktionistischere, aggressivere Formen, weil sich die gut verbreiteten und entsprechend rezipiert wurden. Und weil es Spaß macht, Leute mit satirischen Situationen zu konfrontieren und die Situationen dabei auszuwerten.

ORF.at: Glauben Sie, dass Satire – siehe wieder Böhmermann – die Funktion des kritischen Journalismus übernommen hat, einfach weil man im Idealfall einen breiteren Rezipientenkreis hat in einer Zeit, wo viele Menschen traditionelle Medien nicht mehr nutzen?

Sonneborn: Ja. (Pause) Ich sehe Satire mittlerweile als fünfte Gewalt im Staat, weil die Medien die Rolle der vierten Gewalt nicht mehr so ausfüllen wie einst. Ich glaube, dass diese Nachfrage entstanden ist, weil die Medien ihre Rolle so nicht mehr ausfüllen.

ORF.at: Können traditionelle Parteien von Ihrem Zugang lernen?

Sonneborn: Ich glaube nicht, denn die Methoden, die wir wählen, sind dezidiert unseriös. Ich erwarte von einer Partei, einem Spitzenpolitiker, dass er eine langweilige, sachorientierte Politik betreibt, und nicht, dass er unterhaltsam in den Sozialen oder asozialen Netzwerken unterwegs ist.