Dreifaltigkeitsplatz in Zwettl
ORF.at/Carina Kainz
Regionalität

„Mehr Mut“ für Lokalpolitik gefordert

Mehr lokal entscheiden, weniger nach Wien delegieren – Dezentralisierung ist ein oft gehörtes Schlagwort bei der „Wahlstimmen“-Tour. Wo die Wege kürzer sind, seien oft auch Lösungen gemeinsam besser und schneller zu erzielen, heißt es vielerorts. „Mehr Mut“ für Lokalpolitik und eine Diskussion über den Wert des ländlichen Raums werden gewünscht.

Je weiter im Westen, desto weiter weg fühlen sich die Wählerinnen und Wähler auch von Wien selbst. „Die Wiener Politik betrifft Vorarlberg relativ wenig, hier steht die Landespolitik im Vordergrund – denn Wien ist weit weg und dazwischen liegt der Arlberg“, sagt etwa Klemens Honek in Feldkirch, der westlichsten Station der „Wahlstimmen“-Tour.

Die Vorarlberger würden sich leicht ausgeschlossen fühlen, so Honek, auch wenn es gut und richtig sei, dass in Wien wichtige politische Entscheidungen getroffen werden. Gerade in Vorarlberg wird die Schweiz auch wegen der direkten Demokratie oft als Beispiel genannt.

„Es gehört wie in der Schweiz“

Die Schweiz als Vorbild empfiehlt Klemens Honek in Feldkirch, der auch findet, dass nicht sofort neu gewählt werden muss, wenn eine Regierung zerbricht.

„Ich mach sehr wohl einen Unterschied zwischen Lokalpolitik und Bundespolitik – letztere ist eine Katastrophe“, meint Karl Sorger in Völkermarkt. Es fehle schlicht der Reformwille. In der steirischen Gemeinde Gleisdorf funktioniert hingegen das lokale Zusammenleben und die Integration zugewanderter Menschen gut, erzählt man uns – der lokale Fair-Trade-Beauftragte, der sich auch für Asylsuchende engagiert, kreuzt während unseres Aufenthalts mehrfach den Hauptplatz und kommt mit vielen Menschen ins Gespräch.

Ausschnitt aus dem ORF.at-Wahlstimmenstudio
ORF.at

Im „Wahlstimmen“-Studio

Ab 20.9. lesen Sie in ORF.at/wahlstimmen die Reaktionen der Spitzenkandidaten auf die Statements der ORF.at-„Wahlstimmen“-Tour. Alle bundesweit antretenden Parteien und Listen sind ins ORF.at-Studio eingeladen.

Vom Kleinen ins ganz Große

Es sind auf den ersten Blick oft sehr regionale und partikulär anmutende Probleme, die die Menschen bewegen, die aber bei genauerem Hinsehen eine viel größere Dimension haben. So etwa in Reutte im Außerfern: Ganz großes Thema ist hier der Verkehr, im Speziellen die Fernpassstraße mit durchschnittlich 12.000 Autos pro Tag, die den ganzen Bezirk Reutte sehr stark belasten.

Eine Entlastung durch neue Straßen, Tunnels oder auch eine Bahnverbindung kann allerdings nicht rein lokal getroffen werden, einerseits wegen der Finanzierung, andererseits wegen der Auswirkungen und Verlagerung von Problemen auf angrenzende Regionen. Aktuell arbeiten für Reutte sowohl Bund als auch Land Tirol an Lösungen: Neben den laufenden Vorarbeiten für einen 1,3 Kilometer langen Fernpass-Scheiteltunnel durch das Land Tirol wird seit Kurzem auch der Tschirganttunnel neu geplant, allerdings durch die ASFINAG.

Hauptplatz in Völkermarkt
ORF.at/Carina Kainz
Dezentralisierung ist auch in Völkermarkt Thema

Signale vs. Versprechen

Die in Aussicht gestellte Dezentralisierung, etwa mit dem Umzug wichtiger Ämter raus aus den großen Ballungsgebieten, werde durch andere Signale wie Schließungen von Bezirksgerichten oder starke Kürzungen aber konterkariert, sagt Anna Zallinger in Schärding. Sie sieht da durchaus eine Verbindung mit der jeweiligen Anbindung: „Wo etwas schlecht erreichbar ist oder die Straßenverhältnisse erschwert sind, wird mehr im Zentralraum passieren“, ist sie sich sicher.

Den Trend zur Zentralisierung gebe es seit rund 20 Jahren, meint Josef Parzer in Schärding, der kritisiert, dass im Tourismus kleinere Gebiete in größeren Regionen mit womöglich gegenläufigen Interessen aufgehen würden. „Wenn ich vor Ort etwas habe, was funktioniert, weil tüchtige Leute am Werk sind, hat das meines Erachtens wenig Sinn, wenn man es zerschlägt, nur weil man das auf einer nächsthöheren Ebene so beschließt“, sagt er.

„Wertediskussion“ über ländlichen Raum

Allgemein wird erwartet, dass der ländliche Raum stärker Beachtung findet. Das Problem sei nur, dass gerade Spitzenpolitiker oft nicht mehr wüssten, was genau die Menschen brauchen, heißt es in Zwettl. „Es wäre nicht schlecht, wenn man nicht nur besucht und dann freundlich in die Kamera lächelt, sondern vielleicht wirklich einmal ein zwei Tage in gewissen Institutionen verbringt und schaut, was läuft dort wirklich“, sagt Martina Kainz.

„Bekenntnis zu Wirt, Pfarrer, Kaufhaus“

Es brauche ein klares Bekenntnis, dass jedes Dorf seinen eigenen Wirt, einen Pfarrer samt Kirche und auch ein Kaufhaus habe, sagt Franz Höfer in Zwettl.

Es brauche „eine Art Wertediskussion“, meint Franz Höfer, darüber, „was ist uns der ländliche Raum wirklich wert“ und was zu einer Grundinfrastruktur gehöre. Denn ohne diese könne ein ganzes Dort wegbrechen: „Jedes Dorf braucht einen Wirt, jedes Dorf braucht Pfarrer und Kirche, jedes Dorf seine Schule, und auch jedes Dorf braucht einen Gemeindearzt, sein Kaufhaus.“ Wenn dann alle in die Städte ziehen, würden dort die Probleme mehr, die man aber auf dem Land vielleicht einfacher lösen könnten, so Höfer weiter.

In weiterer Folge müsse man auch Grundsätzlicheres hinterfragen wie den Finanzausgleich, denn es sei nicht verständlich, warum ein Einwohner im Waldviertel weniger wert sei als ein Einwohner in Wien, wo doch die Aufgaben gleich, aber nicht immer gleich lösbar seien. Die Lokalpolitik solle sich schlicht mehr trauen, sagt Berhard Bair in Mattersburg, und die Politik das Gespräch suchen, so Gerda Haffer-Hochrainer, „weil die Menschen machen sich Gedanken. Und die Bevölkerung ist nicht das Stimmvieh, über das man drüberfahren kann.“