ÖVP Spitzenkandidat Sebastian Kurz
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„Wahlstimmen“

Kurz und die Regionalfragen

Dass Parteichef Sebastian Kurz mit der ÖVP als Sieger aus der Nationalratswahl hervorgehen wird, gilt als sichere Bank. Mit wem er danach koalieren wird, ist da schon eine offenere Frage. Die lässt Kurz auch auf der ORF.at-„Wahlstimmen“-Couch offen. Dafür präsentiert er sich einmal mehr als Fürsprecher des ländlichen Raums. Denn, so sein Argument: Politische Diskussionen seien zu oft auf Wien konzentriert.

In Österreich leben mehr Menschen im städtischen als im ländlichen Raum. In Kurz’ Wahlkampf spielt aber gerade das Land eine große Rolle. Auch im Gespräch mit ORF.at-Chefredakteur Gerald Heidegger spricht der ÖVP-Chef gleich mehrmals von Zogelsdorf – jener Ortschaft, zu deren 140 Einwohnerinnen und Einwohnern auch Kurz’ Großmutter zählt. Der kleine Ort im Waldviertel dient Kurz etwa als Beispiel für Gegenden, die „so ländlich“ sind, „dass es dort keine U-Bahn gibt, dass es dort keinen Zug gibt, dass es dort nicht einmal einen Bus gibt, der jede Stunde in jede Himmelsrichtung fährt“.

Teilweise werde sich das durch den Ausbau des öffentlichen Verkehrs verbessern lassen. „Es wird aber ganz viele Regionen geben, da wird es auch in Zukunft die Notwendigkeit geben, dass die Leute auf das Auto zurückgreifen“, sagt der ÖVP-Chef. Bei vielen Diskussionen, die von „manchen Politikern und Politikbeobachtern“ in Wien geführt werden, habe er aber das Gefühl, „Österreich sei nur die Bundeshauptstadt“, sagt Kurz. Deshalb könne er auch nicht „jeder Idee, die gerade diskutiert wird, etwas abgewinnen“.

Das Land und der Verkehr

Bei den „Diskussionen, die da in Wien geführt werden“, habe er manchmal das Gefühl, „als wäre Österreich nur die Bundeshauptstadt“, sagt Kurz.

„Ich bin zum Beispiel gegen die CO2-Steuern“, sagt Kurz. Er empfinde es als ungerecht, wenn Menschen, „die ein Auto brauchen, um in die Arbeit zu fahren, weil sie im ländlichen Raum leben, dafür bestraft werden“. Und „wenn jemand aus Zogelsdorf einkaufen fahren möchte, dann braucht er ein Auto, weil er wird sich nicht beamen können, auch in Zukunft“. Was Kurz nicht sagt: Wer etwa tatsächlich von Zogelsdorf nach Wien pendelt, könnte auch nur 2,5 Kilometer mit dem Auto fahren. So weit ist der Weg von Zogelsdorf zum Bahnhof Eggenburg. Von dort fährt die Franz-Josefs-Bahn zumindest einmal in der Stunde bis nach Wien.

Schuld nicht bei Gemeinden suchen

Sinnvoll erachtet Kurz im Kampf gegen die Klimakrise hingegen CO2-Zölle für den „Import von Fleisch, von Lebensmitteln nach Europa“. Und er fände es „nur gerecht, wenn es auch eine Kerosinbesteuerung gäbe“ – beides Vorhaben, die nur auf EU-Ebene durch- und umzusetzen sind. Sehr wohl eine Sache des Bundes ist hingegen die „gemeinsam mit (dem damaligen FPÖ-Verkehrsminister, Anm.) Norbert Hofer“ geplante Nahverkehrsmilliarde. Die würde er „sehr gerne umsetzen, weil das genau die richtige Antwort für sehr viele Regionen Österreichs ist“, sagt Kurz.

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Als ÖVP-Spitzenkandidat kam auch Kurz ins ORF.at-„Wahlstimmen“-Studio
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Welche Antworten hat Kurz auf die im ganzen Land gesammelten Fragen?
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Einen „positiven Mehrwert“ hat die Neuwahl für Kurz nicht gebracht
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Für Kurz ist die politische Debatte bisweilen zu stark auf Wien konzentriert

Dass viele Gemeinden – Stichwort Einkaufsmeilen am Ortsrand – sich ihre Verkehrsprobleme auch selbst geschaffen haben, will der ÖVP-Chef allerdings nicht gelten lassen. „Viele kleine Greißlereien waren einfach nicht mehr wirtschaftlich führbar“, sagt Kurz. Er wäre „vorsichtig, da den Unternehmen oder den Gemeinden die Schuld zu geben. Oft war das einfach leider Gottes ein Trend – verstärkt durch die Globalisierung.“

Eine Entwicklung, die sich laut Kurz aufhalten lässt, ist hingegen die Landflucht von Ärztinnen und Ärzten. Er wolle sowohl die Zahl der medizinischen Studienplätze erhöhen als auch „den Beruf des praktischen Arztes aufwerten“, sagt der Parteichef. Und wie die SPÖ plant auch die ÖVP „Landarztstipendien“. Junge Menschen würden während ihres Medizinstudiums finanziell unterstützt, müssten sich aber dafür „bereiterklären, auf Zeit zumindest im ländlichen Raum als praktischer Arzt tätig zu sein“, so Kurz.

Pensionsalter für Junge „nicht Hauptthema“

Stichwort große Trends: Große Veränderungen sieht Kurz auch durch die Digitalisierung auf die Menschen zukommen. „Manche Jobs werden wegbrechen, andere werden neu entstehen – da müssen wir gut sein, um die Chance in Österreich zu nutzen“, sagt der ehemalige Kanzler. Für die Jungen gehe es deshalb vor allem um eine bestmögliche Ausbildung.

„Relevante Frage für einen 20-Jährigen“

Die Herausforderungen durch die Digitalisierung sind laut Kurz ein wichtiges Thema für junge Menschen – das Pensionsantrittsalter eher weniger.

Die Frage, bis zu welchem Alter Menschen in Zukunft arbeiten müssen, ist für Kurz hingegen „nicht die relevante Frage für einen 20-jährigen Menschen“. „Ob er mit 65 oder mit 67 in Pension gehen wird oder vielleicht doch mit 69“, sei da „nicht das Hauptthema“. Und „der 20-Jährige heute sollte ohnehin nicht dauernd daran denken, mit wie vielen Jahren er in Pension gehen wird. Das wäre die falsche Lebenseinstellung.“

Selbstlob für Budgetüberschuss

Im Hinblick auf die Generationengerechtigkeit ist laut Kurz ohnedies ein anderer Punkt entscheidend: „Das Wichtigste aus meiner Sicht ist, dass wir nicht auf Kosten der nächsten Generation leben. Also als Staat nicht mehr ausgeben, als wir einnehmen.“ 60 Jahre lang sei in Österreich Schuldenpolitik gemacht worden. „Im Jahr 2019 haben wir es als Regierung erstmals geschafft, dass wir einen Budgetüberschuss erzielen werden“, sagt Kurz. „Und das ist nachhaltige Politik.“ Dabei kamen der ÖVP-FPÖ-Regierung allerdings auch die gute Konjunktur und die außerordentlich niedrigen Zinsen zugute.

„Gerecht“ ist für Kurz auch, „dass Menschen, die arbeiten gehen, mehr zum Leben haben“. Die „Steuerlast weiter senken, das muss unser absolutes Ziel sein“, sagt der ÖVP-Chef. „Und sozial verantwortlich ist, dass man denen hilft, die Hilfe brauchen, aber nicht alle zu Hilfsbedürftigen macht.“ „30.000 arbeitslose, anerkannte Flüchtlinge“ könnten „täglich einen Job annehmen“, so Kurz. „Da halte ich es schon für richtig, dass wir die Mindestsicherung für diese Menschen reduziert haben.“

Neuwahl hat „keinen positiven Mehrwert“

Das „Bundesgesetz über die Grundsätze der Sozialhilfe“ wurde im Frühjahr im Nationalrat beschlossen. Kurze Zeit später erschütterte der Skandal um das FPÖ-„Ibiza-Video“ die Republik – und die ÖVP-FPÖ-Koalition war Geschichte. Dass er die Zusammenarbeit mit der FPÖ vorzeitig beendete, sei eine „Notwendigkeit“ gewesen, sagt Kurz. Sein „Wunsch“ sei die Neuwahl aber nicht gewesen, „insofern hat sie aus meiner Sicht jetzt keinen positiven Mehrwert gebracht“.

Das gesamte Gespräch zum Nachschauen

Was sagt Kurz zu den im ganzen Land gesammelten „Wahlstimmen“? Die Antwort darauf bietet das gesamte Gespräch zum Nachschauen.

Er habe sich vor zwei Jahren „gut überlegt“, mit wem er in eine Koalition gehe – „und ich werde versuchen, es mir dieses Mal auch wieder gut zu überlegen“, sagt Kurz. Aber letztes Mal „gab es nur die Freiheitliche Partei, die bereit war, mit uns zu koalieren“. Dass das diesmal anders sein dürfte, sieht auch Kurz so: „So wie es derzeit ausschaut, gibt es mehrere Koalitionsvarianten“, sagt der ÖVP-Chef. Sein „großes Ziel“ sei jedenfalls, „dass es keine Koalition an uns vorbei gibt“. In allen Umfragen scheint dieses Vorhaben bis zuletzt alles andere als in Gefahr.