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Robert Rotifer, UK-Korrespondent FM4 , 14.5.

Umrühren und köcheln lassen

Wenn Jamie Oliver und Co. der Appetit auf Europa verlässt.

Mit dem Herannahen des Wahltags dominiert die europhobe UKIP-Fraktion immer noch die Kampagne zu den EU-Wahlen. Die Chefs der etablierten Parteien scheinen vor allem damit beschäftigt, ihre bevorstehenden Niederlagen vorsorglich klein zu reden. Sie haben allen Grund dazu:

David Cameron spürt den Atem des Londoner Bürgermeisters Boris Johnson im Nacken, dessen Unterstützer zunehmend unverhohlen über Möglichkeiten der Machtübernahme spekulieren. Labour-Chef Ed Milliband erlebte übers vergangene Wochenende einen schweren Rückschlag in Form der jüngsten Meinungsumfragen, die seine Partei zum ersten Mal seit 2010 knapp hinter den Konservativen führten. Und der Liberaldemokrat Nick Clegg steht unter doppeltem Beschuss: Einerseits vonseiten seiner konservativen Koalitionspartner (ein ehemaliger Berater von Unterrichtsminister Michael Gove hat ihn neulich als „selbstherrlich, unehrlich und abstoßend“ bezeichnet), andererseits aus den eigenen Reihen für den immer möglicher scheinenden Fall der größten denkbaren Katastrophe, dass die Liberaldemokraten keinen einzigen Sitz im Europäischen Parlament behalten.

In der Zwischenzeit häufen sich die Namen Prominenter, die sich als UKIP-Sympathisanten outen. Ex-Smiths-Sänger Morrissey hatte schon letztes Jahr gemeint, er habe „beinahe“ Nigel Farage gewählt, weil seine Linie in Sachen Europa völlig richtig sei (erstaunlich für jemand, der selbst jahrelang ohne Bedarf an Aufenthaltsbewilligung in Rom gelebt hat).

Roger Daltrey von The Who ließ die Sunday Times wissen, dass er nicht mehr Labour unterstützen könne: „Ich werde ihnen nie dafür vergeben, dass sie die Jobs meiner Kumpel zerstört haben, weil sie es mit ihrem dummen europäischen Denken zugelassen haben, dass ihre Löhne unterboten wurden. Sie haben alle zu uns hereingelassen, sodass die Leute jetzt zu zehnt in einem Zimmer wohnen und für polnische Löhne arbeiten. Ich habe überhaupt nichts gegen Polen, aber das war ein politischer Fehler, und es machte mich sehr zornig. Die Leute, die’s dann abkriegen, sind die Einwanderer, und es ist nicht ihre Schuld.“ – eine Aussage, die der Labour Party durchaus Sorgen machen sollte, schließlich ist Daltrey ein stolzer Spross der Working Class, bei der die ursprünglich als Auffangbecken für verkrachte Konserative fungierende Unabhängkeitspartei immer mehr Anklang zu finden scheint. Er selbst sei unentschieden, meint Daltrey. Er habe Farage getroffen, wisse aber nicht, ob er ihn wählen würde.

Journalist und Schriftsteller Tony Parsons, der der Welt einst den Punk erklärte und später mit seinem Buch „Man and Boy“ einen Millionenseller über das Leben als alleinstehender Vater schrieb, ist sich da dagegen bereits sicher. Er suchte sich ausgerechnet ein Interview mit dem liberalen Guardian als Plattform für sein Bekenntnis aus, dass er bei den Euro-Wahlen UKIP wählen werde, weil alle anderen Politiker_innen „von allen Erfahrungen des Lebens entfernt“ seien.

Auch der stets um Volkstümlichkeit bemühte Fernsehkoch Jamie Oliver, eigentlich ja ein leidenschaftlicher Vertreter der italienischen Küche, hat sich für UKIP stark gemacht. Er mag, dass die Partei „umrührt“, war sein mitten aus der Berufswelt kommender Kommentar, so wie in Daltreys Fall gegenüber der Sunday Times (Eigentümer: UKIP-Fan Rupert Murdoch). Wobei das Wort für „umrühren“ („stir up“) auch für „aufwiegeln“ steht.

Wie sich das auswirkt, wurde mir unlängst bewusst, als ich im Zug nach Hause mein Laptop öffnete und in der Auswahl rund um mich aktiver W-LAN-Netzwerke eines mit dem Namen „England for the English“ erschien. Ich blickte um mich und versuchte zu erraten, welchem der Passagiere rund um mich wohl dieses Netzwerk gehören könnte. Alle sahen völlig normal aus, kein stiernackiger Skinhead in Sicht. Es ist eine neue Normalität in einem Land, das seine fremdenfeindlichen Tendenzen bis vor kurzem noch eher bedeckt zu halten pflegte.

An dieser Stelle möchte ich übrigens auf den Schwerpunkt meines Muttersenders FM4 heute Abend in der FM4 Homebase zwischen 19 und 22 Uhr zum Thema Euroskepsis in der EU hinweisen, siehe auch meinen diesbezüglichen Blog auf der FM4-Website.