Sigmund Freud nannte Arthur Schnitzler einen psychologischen Tiefenforscher, Georg Hensel bezeichnete „Reigen“ als Totentanz des Eros. Die zehn erotischen Dialoge, die die „unerbittliche Mechanik des Beischlafs“ sowie sein Umfeld von Macht, Verführung, Sehnsucht, Enttäuschung und Einsamkeit zeigen, wurden als Stück 1920 in Berlin uraufgeführt und stellten sich als einer der größten Theaterskandale des 20. Jahrhunderts heraus. Dieser wiederum führte zum sogenannten „Reigenprozess“, nachdem Schnitzler ein Aufführungsverbot für sein Stück verhängte, das bis 1982 in Kraft war, aber immer wieder umgangen wurde.
Konzert mit Drama
Bei den Bregenzer Festspielen wurden die zehn erotischen Dialoge am Donnerstag von den beiden Schauspielgrößen Regina Fritsch und Sven-Eric Bechtolf interpretiert. Die eigenwillige musikalische Deutung lieferte das Osttiroler Ensemble „Franui“.
Sven-Eric Bechtolf, in der Vergangenheit zweifacher Nestroy-Theaterpreisträger als bester Schauspieler, erarbeitete „Reigen“ vor 20 Jahren für das Wiener Burgtheater. Seine Inszenierung wurde dort 150 Mal aufgeführt, nun hat er das Werk gemeinsam mit dem Franui-Gründer Andreas Schett für das Format „Konzert mit Drama“ dramatisiert.
Frivol-vergnügliche Unterhaltung
Schon am Beginn des rund eineinhalbstündigen Abends wurde klar, wohin die Reise ging. Im breiten Wiener Dialekt gab Bechtolf einen schmierigen, alkoholisierten Soldaten, der sich von einer Dirne dazu hinreißen lässt, den Geschlechtsakt zu vollziehen. Gut: Viel Überredungskunst brauchte es ohnehin nicht dazu! Schnitzler hatte bekanntlich Koitus mit Gedankenstrichen markiert, „Franui“ füllte diese Lücke immer wieder mit höchst originellen Neubearbeitungen von Liedern, Tänzen und Serenaden, etwa von Mahler, Brahms und Schubert.
Mit ihrer ausgefeilten Sprachkunst gelang es Regina Fritsch und Sven-Eric Bechtolf, das Publikum auf frivol-vergnügliche Art zu unterhalten und auch zu beeindrucken. Tief berührt wurde man nicht. Streckenweise wirkte der Abend zu routiniert, und der lange Reigen drohte sich zu erschöpfen.
Werk der Entlarvung und der Entzauberung
Am Ende sangen die beiden die Textzeile „Nur, wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide“ aus Ludwig van Beethovens Lied „Sehnsucht“ nach einem Goethegedicht und verwiesen darauf hin, dass Schnitzler mit „Reigen“ ein Werk der Entlarvung und der Entzauberung geschrieben hatte. Literaturkritiker Richard Alewyn nannte es „unbarmherzig und todernst“. Im Vergleich dazu sei ihm die „Liebelei“ noch als ein menschenfreundliches und trostreiches Stück erschienen.