Filmstill aus „Walden“
Diagonale

Einblicke in fremde Welten

Man kann es negativ formulieren: Große Uraufführungen respektabler, massentauglicher Spielfilme wird man bei dieser Diagonale vergeblich suchen; oder positiv: Dies ist die Diagonale der spannenden, überraschenden Dokus. Hier ein Blick auf jene Filme, die sonst vielleicht übersehen würden. Plus: Tipps für die „großen“ Dokus.

„Walden“ – der Name der Doku von Daniel Zimmermann spielt auf das Kultbuch von Henry David Thoreau an, was eine gewisse Erwartungshaltung mit sich bringt: Das Porträt eines Aussteigers, der sich der Konsumlogik verschließt und in den Wald zurückzieht. Mitnichten. „Walden“ folgt dem Weg eines Baumes. Wobei die Reise extra für den Film inszeniert wurde, eine wichtige Relativierung, wie sich noch zeigen wird.

Man sieht einen Nadelbaum in einem steirischen Forst. Die Kamera fährt im Kreis, immer von links nach rechts, das Auge vollführt eine stete, langsame Wanderung. Das Prinzip wird so oder so ähnlich während des ganzen Films beibehalten. Es entfaltet sich eine medidative Grundstimmung. Langsamkeit ist hier explizit erwünscht. In der zweiten Einstellung wird der Baum umgeschnitten.

Eulen nach Athen tragen

Es geht zum Sägewerk. Jetzt ist der Baum ein Haufen Bretter. Per Zug und Lkw werden die weitertransportiert, man folgt jetzt einem Container bis Hamburg, wo er herumgewuchtet und schließlich verschifft wird. Räudiges steirisches Nadelholz, noch dazu eine so kleine Menge? Skepsis macht sie breit – so läuft das normal nicht. Und dann kommt das Holz an, ausgerechnet in Brasilien. Das ist wie Eulen nach Athen tragen.

Filmhinweis

„Walden“ wird bei der Diagonale am Donnerstag um 10.30 Uhr im KIZ Royal und am Freitag um 18.00 Uhr im Schubertkino gezeigt.

Schließlich geht es von Manaus aus dem Rio Negro entlang mitten in den Amazonas, wo Indios die Bretter mit kleinen Booten transportieren (siehe Foto ganz oben) und dann mitten in den Dschungel tragen. Während des ganzen Films wird man immer neugieriger: Was wird wohl die Schlusspointe sein? Was machen die Indios mit den steirischen Bretteln? Die Schlusspointe: Es gibt keine.

Es muss nicht immer Netflix sein

Das ist einerseits irritierend, weil man sich als Belohnung für das Durchhalten der Langsamkeit irgendein spektakuläres Ende verdient hätte. Andererseits lässt der Film so der Fantasie breiten Raum. Ist es hier um die Absurdität internationaler Warentransporte gegangen, die auf die Spitze getrieben wird? Oder ist die Doku ein Essay über die Sinnlosigkeit unseres geschäftigen Treibens? Wer weiß.

Ein breites Feld für Entdeckungen bieten wie immer die Kurzdokus. Es heißt ja, dass weniger Menschen ins Kino gehen. In Österreich war das 2018 stark zu spüren, die Branche ächzt und stöhnt am Rande der Veranstaltungen bei der Diagonale, heuer wird nicht erst nach dem dritten Bier gejammert wie sonst, sondern schon nach dem zweiten. Der Grund fürs Zuhausebleiben soll oft sein, dass viele immer mehr Zeit mit Streaming-Diensten verbringen. Dort sind unter anderem auch Dokuformate überaus beliebt. Aber es macht durchaus Sinn, für die große Leinwand gedrehte Filme auch genau dort zu sehen.

Filmstill aus „Brief aus Brennberg“
Diagonale
Bild aus der Doku „Brief aus Brennberg“

Filmhinweise

„Brief aus Brennberg“ wird bei der Diagonale noch am Freitag um 21.00 Uhr im Schubertkino gezeigt.

„False Memories“ wird bei der Diagonale noch am Freitag um 10.30 Uhr im KIZ Royal gezeigt.

Tunnel in die Vergangenheit

Bildgewaltig ist etwa eine kleine Doku („Brief aus Brennberg“) über Brennbergbanya, einen Weiler, der zu Sopron gehört und an der österreichischen Grenze noch in Ungarn liegt. Früher wurde hier Kohle abgebaut, die Gruben erstreckten sich vom heutigen Ritzing in Österreich bis weit ins Ödenburger Gebirge über die Grenze. Heute ist die Gegend beiderseits der Grenze malerisch (großer Tipp für Radfahrer: eine Tour Sopron-Brenngergbanya-Ritzing-Deutschkreutz-Sopron), aber der Bergbau wurde längst eingestellt.

Noch findet man allerorten Spuren des Untertagbaus. Traumgleich folgt Patrick Holzapfel diesen Spuren, und dringt, ohne in die Stollen zu gehen, doch ins dunkle Herz der Vergangenheit ein. Da bimmelt die Glocke, da krault der Bauer sein Vieh, da steht ein Förderwagen herum, als hätte er gestern noch Kohlen transportiert. Ein medidatives Eintauchen in im Wortsinn versunkene Welten.

Filmstill aus „False Memories“
Diagonale
Bild des chinesischen „Hollywoods“ aus „False Memories“

Das chinesische Hollywood

Das chinesische Hollywood wiederum stellen Michael Simku, Ulrich A Reiterer und Marlene Maier vor („False Memories“). Da entsteht eine Filmstadt, die an Mächtigkeit das Original in L.A. in den Schatten stellt, von der Kapazität für Filmproduktionen bis hin zur Architektur (die man so auch in Dubai oder Abu Dabi finden könnte). Gegengeschnitten werden die Bilder mit solchen aus dem chinesischen Disneyland.

Filmhinweise

„Szenen meiner Ehe“ läuft bei der Diagonale am Donnerstag um 13.00 Uhr im Schubertkino und am Freitag um 20.30 Ur im UCI Annenhof.

„Erde“ läuft bei der Diagonale am Donnerstag um 18.00 Uhr im KIZ Royal und am Samstag um 15.30 Uhr im UCI Annenhof.

„Refugee Lullaby“ läuft bei der Diagonale noch am Samstag um 17.45 Uhr im Schubertkino.

„Sea of Shadows“ läuft bei der Diagonale am Samstag um 18.00 Uhr im KIZ Royal und am Sonntag um 17.00 Uhr im UCI Annenhof.

„Eine eiserne Kassette“ läuft bei der Diagonale noch am Donnerstag um 10.30 Uhr im UCI Annenhof.

Selbstredend hat die Zensurbehörde alles fest im Griff. Nur eine Handvoll internationaler Filme darf jedes Jahr gezeigt werden – und Chancen haben fast nur solche, die in Kooperation mit chinesischen Produktionsfirmen entstanden sind. In China selbst werden vor allem Heldenepen produziert, die den Mut und die Tapferkeit der Chinesen und die Weisheit der Regierung überhöhen. Spooky – und wo sollte man so eine Doku sehen, wenn nicht im Kino.

Die „großen“ Dokus

Prominenter freilich sind die „großen“ Dokus, über die nicht nur hier in Graz viel gesprochen wird. Um nur einige wenige zu nennen: Katrin Schlösser zeigt in „Szenen meiner Ehe“ ebensolche – und das ist kein Lustspiel, sondern ein Frustdrama. Nikolaus Geyrhalter zeigt mächtige Maschinen, die ganze Berge abtragen (damit Platz für Wohnsiedlungen geschaffen wird) oder durchlöchern (etwa für den Brenner-Tunnel). Bob der Baumeister für Erwachsene und Hintergrundrauschen für die Debatte über das Anthropozän, in dem der Mensch die „Erde“ (der Titel der Doku) – tatächlich – umformt.

In „Refugee Lullaby“ erzählt die israelische Regisseurin Ronit Kertsner über einen österreichischen Schäfer, der Flüchtlingshelfer ist und mit jiddischen Songs auftritt: ein unbedingt sehenswertes Porträt (ORF.at hat berichtet). „Sea of Shadows“ widmet sich mutigen Greanpeace-Aktivistinnen und -Aktivisten. In „Eine eiserne Kassette“ wird der Nazivergangenheit in der eigenen Verwandtschaft nachgeforscht, aufgrund eines Zufallsfundes. Über all diese Dokus wird ORF.at berichten.