Filmstill aus „I Am The Tigress“
Dino Osmanovic
„I Am The Tigress“

Eine „Tigerin“ zwischen Oma und Domina

Tischa Thomas – „The Tigress“ – fällt auf: „Gestählt“ ist als Beschreibung des Körpers der 47-Jährigen noch fast untertrieben, regelmäßig tritt sie auf Bodybuilding-Wettbewerben auf. Die Doku „I Am The Tigress“ begleitet die Amerikanerin auf ihrem Weg von einem Auftritt zum nächsten und malt ein facettenreiches Bild einer in jeder Hinsicht starken Frau. Trotz Hochglanzkörpers ist ihr Leben dabei wenig glamourös.

Mit Bräunungsspray wird noch einmal vor dem großen Auftritt sichergestellt, dass der eigene Körper im besten Licht dasteht, es ist dazu da, die Muskeln auch ohne Anspannung besser zur Wirkung kommen zu lassen. Wer nicht regelmäßig Bodybuilder und -builderinnen sieht, wird Tischa erst einmal mit einem Mix aus Be- und Verwunderung anschauen, so viele, wirklich enorme Muskeln finden sich auf dem für den Wettbewerb kaum bedeckten Körper der Frau.

Auf der Bühne geht es darum, die richtige Figur zu machen, um bei der Jury punkten zu können. An diesem Abend, den die zwei Regisseure Philipp Fussenegger und Dino Osmanovic einfangen, reicht es nicht für eine gute Platzierung: Die Aufsprühbräune hat ihren Dienst versagt, die Enttäuschung ist groß, wie auch sonst im Profisport wird geflucht, nach Ausreden gesucht und das verpatzte Ereignis schlussendlich abgehakt.

Filmstill aus „I Am The Tigress“
Dino Osmanovic
Tischa Thomas muss auf der Bühne eine gute Figur machen

Einblick in eine glänzende Scheinwelt

„I Am The Tigress“ kommt ohne Kommentar aus – und auch die „Tigress“ selbst wird von der Kamera nur begleitet, direkte Gespräche und Interviewsegmente mit der 47-Jährigen gibt es keine. Und trotzdem gelingt es Fussenegger und Osmanovic, einen tiefen Einblick in die Welt der „Tigerin“ zu gewähren. Denn während auf der Bühne Hochglanz und volle Leistung gefordert sind, zeigt sich fernab der Öffentlichkeit ein differenziertes Bild ihres Lebens.

Vieles stellt sich als Schein heraus: Etwa die langen Haare, mit denen Tischa um die Gunst von Jurys wirbt, die sich in Wirklichkeit aber als Perücke herausstellen. Das wiederum wirft die Frage nach dem Frauenbild auf, ein Thema, das im Kern der Dokumentation steht. Was macht eine Frau aus? Immer wieder wird die Bodybuilderin im Zuge der Aufnahmen auf der Straße von Männern aufgrund ihres Aussehens beleidigt, Situationen, auf die die 47-Jährige geübt reagiert. Sie selbst hegt jedoch keine Zweifel an ihrer Feminität.

Harter Kampf um den Lebensunterhalt

Unterdessen zeigt die Dokumentation auch, dass das Bodybuilder-Dasein selbst mit Teilnahmen an Wettbewerben wenig glamourös ist: Tischa wohnt in einer kleinen Wohnung. Eine Einladung nach Bukarest – ihrer Aussage nach ihr erstes Reiseziel außerhalb der USA – wird nicht nur aufgrund einer Lebensmittelvergiftung zum Debakel – ein sechster Platz bei dem dortigen Wettbewerb spiele nicht einmal die Ausgaben für die Reise wieder hinein.

Filmstill aus „I Am The Tigress“
Dino Osmanovic
Ein Leben als Bodybuilderin reicht für Tischa nicht aus, um auch die Miete zu zahlen

Das zeigt sich dann auch an ihrem Alltag in den USA: Einmal wird sie bei ihrer Arbeit als Webcam-Model gezeigt, ein anderes Mal ist sie als Domina zu sehen. Kurzum: Die Muskeln müssen auf anderem Wege das Geld einspielen, um zumindest das Grundlegendste finanzieren zu können.

Filmhinweis

„I Am The Tigress“ wird bei der Diagonale noch am 12.6. um 10.30 Uhr im KIZ Royal gezeigt.

Familie, Freundschaft, Liebe

Abseits der Bühne zeigen sich noch weitere Facetten der Bodybuilderin. So wird sie gemeinsam mit ihrer Tochter und ihren Enkeln gezeigt, die, im Gegensatz zum Gros der anderen Menschen, sie einfach als ihre Oma akzeptieren. Auch zieht sie nicht alleine durch das Land, sie wird stets vom einstigen Bodybuilder Edd begleitet, der nun vor allem an den körperlichen Folgen einer solchen Karriere leidet. In all dem Trubel rund um die Muskeln verliert Fussenegger nicht den Blick auf ganz wesentliche Werte von Familie über Freundschaft bis hin zur Liebe.

Licht und Schatten bestimmen auch den optischen Eindruck – die strahlende Welt der Bühne wird dem tristen, ja manchmal sichtbar grauen Alltagsleben gegenüberstellt. Unterbrochen werden die gezeigten Episoden aus Tischas Alltag mit vertikalen Instagram-Videoclips. Darin erzählt Tischa aus ihrem Leben – und setzt sich wohl mit der zentralsten Thema des Films auseinaneinander, nämlich mit dem eigenen Körper.

Ein Unikat folgt dem „American Dream“

Dabei hat Tischas Geschichte etwas vom „American Dream“, das ehemals schüchterne Mädchen, das sich ihren Traum vom Bodybuilder-Dasein selbst verwirklicht – mit Erfolg. Mehrmals verweist sie darauf, dass ihr Körper ihre „Kreation“ sei, dass sie dafür hart gearbeitet habe –, und auch darauf, dass ihr Inneres erst gebraucht habe, um mit ihrem Äußeren zurechtzukommen.

Nach knapp 80 Minuten haben die zwei Regisseure das Gefühl vermittelt, hautnah dabei zu sein, und genug Anhaltspunkte gegeben, um ein Bild der „Tigress“ zu vermitteln. Fest steht: Sie ist ein Unikat. In einer der letzten Szenen nimmt sie ihre Perücke ab: „Das bin ich, ganz ich. Akzeptier es oder lass es bleiben, mit Glatze und Muskeln – ich bin immer noch Tischa, die Tigerin!“ Wie viele gute Dokumentationen bietet auch das Porträt „I Am The Tigress“ genug Gesprächsstoff für nach dem Film.