Frau, die in einer Blutlache liegt
2015 © Guido Mencari www.gmencari.com
Romeo Castellucci

Keine Katharsis mit Kunstblut

Hinschauen, Aushalten, Reinigen. Gegen den Überschuss der Bilder möchte das Theater von Romeo Castellucci Elementarerlebnisse ermöglichen. Mitunter gelingt ihm das wie wenigen sonst. Oder es misslingt fundamental, wie in der Produktion „Le Metope del Partenone“, in der die letzten Momente des Todeskampfs leider zum Krampf zwischen Wiener Rettungseinsatz und Antikenzitat werden.

Dass die Antike die Klarheit und Ordnung in unser Denken und unsere Auffassung von Schönheit brächte, ist ein Phantasma, das seit Winckelmann und Goethe nicht aus unseren Köpfen herauszubekommen ist. Auch Castellucci, dieser Theatermacher, der den Urszenen von Bild-, Wort- und Glaubenseinsätzen auf der Spur ist, will im Denken der Griechen die Klarheit gegen unsere im Überfluss abgestumpfte Welt entdecken. Dass sein Theater freilich an den Urkonflikten des Katholizismus leidet, würde er nicht gänzlich abstreiten. Denn wer in der Matrix katholischer Bildwelten handelt und sich zugleich als Künstler nicht im Bereich des Glaubens bewegen mag, der wird den Weg ad fontes, zu den Quellen, wählen wollen, dorthin also zurück, wo die Götter ausgedient haben und die Menschen selbst Glück, Empathie und Zusammenhalt ihrer Gesellschaft gestalten sollen.

Wie gehen wir als Handelnde in der Gesellschaft mit Elementargefühlen um, etwa jenen Momenten, in denen jemand in unseren Händen stirbt – und keine Rettung naht? Der erlebte Tod eines Freundes und Schauspielers auf der Bühne, der in den Armen des Regisseurs auf der Bühne starb, wird zum Ausgangspunkt der Befragung von „Le Metope del Partonone“ („Die Metopen des Partenon“). In sechs Szenen gestalten Claudia und Romeo Castellucci die letzten Momente des Lebens, als es zu Ende gehen könnte, die Rettung naht, zugleich aber die Lebenszeit ausläuft.

Blick in die Gösserhalle bei der Castellucci Produktion
ORF.at
„Ich habe keinen Körper, aber du kannst mich sehen“ – klingt mehr nach Pfingsten als nach griechischer Antike. Das Publikum im Bild reagierte größtenteils mit rätselnden Blicken auf die Szenerie in der Halle

Wiederholung und Erfahrung

In der Wiederholung wird klar: Jedes Mal, wenn die Rettung kommt, ist jede Form von Rettung zu spät. Als Zuseher wohnen wir den Momenten des Ausgeliefertseins und des Unabwendbaren bei. Für Castellucci steht hier ein Rätsel, es ist das, wie er es oft nennt, „schwarze Bild“, das Bild, das hinter dem Bild steht: Wir sehen – und können das Gesehene doch nicht einordnen. Es ist so rätselhaft abstrakt wie die bildlichen Vignetten an den Seitenwänden eines Tempels – die Metopen, diese Dekorrätsel der Antike. Von ihnen wählt Castellucci den Weg retour in die Gegenwart. Was passiert in den letzten Momenten, wenn Lebenshilfe gespendet, aber nicht mehr angenommen werden kann?

Hinweis:

„Le Metope del Partenone“ ist bei den Festwochen noch am 8. und 9. Juni zu sehen.

Die Kühle, und leider auch das Komische, dieser Szenerien ist ihr Nicht-Funktionieren als Theater oder als theatrale Installation. Die Gestaltung des scheinbar Realen macht den Betrachter kühl. Er sieht das Arrangement (und soll es selbstverständlich sehen), denn alle Todesszenen werden vor den Augen des Publikums mit Kunstmitteln eingerichtet. Und so ist der direkt vor den Augen des Publikums dargestellte Herzinfarkt etwas, das die Betrachter mit verschränkten Armen dastehen lässt. Real wäre man überfordert, selbst zwischen Handeln und nicht Wissen, was zu tun sei, gefangen – und man wäre in jedem Fall empathisch getrieben. Hier ist alles eisig und künstlich. Dass die weiße Plane über die Toten gelegt wird, zeichnet sich schnell ab. Alles ist unausweichlich.

Ein Rätsel nennen die Theatermacher diese Momente. Und überschreiben sie mit Themen und Texten, die im neoklassizitischen Stil an die Wand projiziert werden, während die Toten aufstehen, rausgehen (und vielleicht auch auferstehen – denn wenn schon Metapher, dann mit dem Holzhammer). Man weiß es nicht. Und will es nicht wissen. Denn es passt so gar nichts zusammen an diesem Abend. Die Antike, sie ist kein Hilfsmittel, sie bringt nur pathetische Stilisierungen (man muss jetzt nicht die Zeit erwähnen, in der das zuletzt historisch passiert ist).

Dass das Rote Kreuz in diesem Drama des Lebens mitwirkt, stärkt zwar den Lokalbezug, schafft aber Brüche, die zu keiner Vertiefung der Fragestellungen führen. Manchmal ist Verfremdung dann doch einfach nur Befremdung.