Von Puccinis bekanntem Opernwerk „Madama Butterfly“ bleibt in Ichiharas Bearbeitung lediglich die berühmte Arie „Un bel di vedremo“ erhalten. Sie bildet die musikalische Klammer, die das Publikum in das Stück einlädt und auch wieder entlässt. Dazwischen wird die einstige exotisierte Liebestragödie aus einer völlig neuen Perspektive und aktueller denn je erzählt.
Ichihara bringt die Erzählung rund um die japanische „Geisha“ in die heutige Zeit und gibt tiefe Einblick in das Innenleben von Cho-Cho-san (dargestellt von Kyoko Takenakaihre). Scheinbar angelehnt an Freud verhandelt sie mit ihren virtuellen Avataren, dem Über-Ich und dem Es, das kurzerhand zur Anime-Figur Sailor Moon verwandelt wird (Videokunst: Juan Ferrari), über Schönheitsideale und innere Werte.
Alles Schöne ist „amerikanisch“
Als „perfekt“ wird das kaukasisch-westliche Aussehen auserkoren. Dass die Hauptfigur jegliche weiße Person für sich als „amerikanisch“ identifiziert, weil sie kaum einen Unterschied zwischen ihnen erkenne, hält dem vorrangig weißen Publikum, wenn auch nur kurz, den eigenen stereotypen Spiegel vor.
Cho-Cho-sans Minderwertigkeitskomplex führt zur Überzeugung, dass ein „Hafu“-Kind, also ein Kind, das zur Hälfte von einem „Gaijin“, einem weißen „Fremden“, abstammt, ihr Probleme lösen würde. Die Jagd durch die Bars vom japanischen Stadtteil Roppongi nach seinem Sperma endet in einer Blitzhochzeit und einer verstörenden Hochzeitsnacht.
Debatten vor und hinter der Bühne
Der zweite Akt bricht unerwartet aus der eigentlichen Handlung aus und eröffnet den Blick auf ein Spiel im Spiel. In einer Art Probensituation legen die drei Darsteller (außer Takenakaihre: Yan Balistoy, Sascha Ö. Soydan) ihre Rollen ab und diskutieren gemeinsam mit der Regisseurin (dargestellt durch Brandy Butler) via Videoanruf die Stückbesetzung und den Handlungsverlauf.
Hinweis
„Madama Butterfly“ ist noch am 17. und 18. Mai 2022 jeweils um 20.00 Uhr im brut nordwest zu sehen.
Im dritten Akt steht vor allem der „Hafu“-Sohn im Vordergrund. Durch die Depression seiner Mutter wird er zum Alleinversorger der Familie, während er unentwegt auf der Suche nach seiner eigenen Identität zwischen Japan und Amerika ist. Ichihara spielt dabei gezielt auf die Alltagsprobleme von „halben Kindern“ und alleinerziehenden Müttern in Japan an.
Ernste Themen, rauhe Wort und viel Humor
Das gesamte Stück wird zur Gemengelage aus aktuellen Themen wie Rassismus, Gender, Alltagsproblemen und Depression. Nachhaltige Bearbeitung der einzelnen Thematiken findet allerdings keine statt. Stattdessen wird der Ernst durch humoristische Episoden vom Publikum weggeschmunzelt.
Insgesamt dominiert vor allem die derbe Sprache und Darstellung im Stück, die auch vor expliziten Penisvergleichen nicht halt macht. Ichihara schafft in ihrer Bearbeitung die Gradwanderung zwischen Ernsthaftigkeit und Humor, ohne dabei eine nachhaltige innerliche Dissonanz beim Wiener Publikum auszulösen. Dass dennoch ein offenerer Blick im Alltag erzeugt wird, bleibt zu hoffen.