Porträt von Rudolf Buchbinder in seiner Bibliothek
Marco Borggreve
Interview

Fünf Fragen an Rudolf Buchbinder

Ein Festival ohne Motto soll Grafenegg sein. So wünscht es sich der musikalische Leiter, Rudolf Buchbinder. Im Interview mit ORF.at erzählt er, warum das Festival gerade heuer, nach Lockdown und Pandemieerfahrung, wichtig wie nie ist. Und warum sich nicht alles um Beethoven dreht – aber Beethoven für ihn immer der Kern eines Festivals sein muss, das zunehmend auch die Jungen mit in die klassische Arena ziehen möchte.

ORF.at: Herr Buchbinder, was bedeutet das Festival in Grafenegg 2021 nach einer langen Lockdown-Phase?

Rudolf Buchbinder: Das Festival fand ja auch letzten Sommer statt. Allerdings nur mit 50 Prozent Publikumsauslastung. Das letzte Jahr mussten wir mit unseren heimischen Orchestern gestalten, weil Orchester aus dem Ausland nicht anreisen konnten. Gott sei Dank haben wir aber die Philharmoniker, die Symphoniker, unser Residenzorchester, die Niederösterreichischen Tonkünstler und das RSO. Und es gab und gibt viele große Künstlerinnen und Künstler, die mittlerweile in Österreich leben und die dankbar waren, dass man in Grafenegg auftreten konnte. Das war das vorige Jahr. Heuer können wir wieder international agieren. Es kommen etwa die Tschechische Philharmonie und die Münchner Philharmoniker, natürlich auch wieder die Wiener Philharmoniker. Und mit den Stars aus aller Welt haben wir ein Programm zusammengestellt, von dem ich nicht sagen könnte: Das ist der Höhepunkt. Ich glaube, es gibt nur Höhepunkte heuer.

Was macht Grafenegg 2021 besonders?

ORF.at: Sie wollen ein Festival ohne Motto. Quasi: pure Klassik. Ein Kern ist immer Beethoven. Warum?

Buchbinder: Beethoven war voriges Jahr zum Jubiläum sehr präsent und kommt natürlich heuer wieder vor. Ohne Beethoven gibt es kein Festival, ob das jetzt ein Beethoven-Jahr ist oder kein Beethoven-Jahr. Wie sagt man so schön: Beethoven ist einfach ein Box-Office-Seller wie kein anderer Mensch. Und diese Magie, die er ausstrahlt, ist einzigartig. Allein in Japan führt man die „Neunte“ Hunderte Male zum Jahreswechsel auf und probt dafür ein ganzes Jahr…

Warum es immer auch um Beethoven gehen muss

ORF.at: … weil Sie gerade Japan ansprechen, wo das Publikum jünger ist: Wie bekommt man bei uns die Jungen hin zur Klassik? Darf man sich auch mal von der Wiese annähern?

Buchbinder: Es ist eine absolute Herzensangelegenheit von uns, die Jugend zu fördern. Da geht es nicht nur um die ausübenden Musiker wie das European Youth Orchestra, das ja eines unserer Residenzorchester ist. Es gibt ja eine eigene Academy für junge Musikerinnen und Musiker aus aller Welt, die zusammensitzen und dann das Resultat ihrer gemeinsamen Arbeit zeigen. Es geht aber vor allem ums Publikum. Für zehn Euro kann man die Spitzenorchester der Welt hören. Es ist jedes Mittel recht, um Kinder und Jugendliche zur klassischen Musik zu bringen.

„Mit allen Mitteln um die Jungen kämpfen“

ORF.at: Wie hat sich in den letzten 15 Jahren der Zuspruch des Publikums zum Festival entwickelt.?

Buchbinder: Vielleicht war am Anfang von den Menschen in der Umgebung von Grafenegg ein wenig Skepsis da, was sich da entwickeln würde. Da stand plötzlich der Wolkenturm da. Mehr und mehr identifizieren sich die Einheimischen mit diesem Wolkenturm, mit diesem Festival. Deshalb machen wir im Juni die Wolkenturm-Gala mit der Generalprobe bei freiem Eintritt speziell für die, die in der Gegend leben. Wir haben natürlich nicht in den kühnsten Träumen damit gerechnet, dass es sich so entwickelt. Uns helfen die Atmosphäre, die Akustik und die Umgebung. Und im Grunde leben wir ja von der Mundpropaganda der Künstlerinnen und Künstler, die hier mitmachen. Und alle Künstler, die in Grafenegg waren, wollen wiederkommen.

„Das Festival für alle öffnen“

ORF.at: Gibt es aus den letzten 15 Jahren eine besondere Erinnerung?

Buchbinder: Nach 15 Jahren kommt heuer Rene Flemming zum Abschlusskonzert, wo sie die vier letzten Lieder von Richard Strauss singt. Sie war im ersten Jahr hier. Ein Erlebnis zeigt die Professionalität dieser Frau: Es war strömender Regen, und ich wusste, sie hatte drei Zugaben vorbereitet. Alle saßen mit Pelerinen da, als sie nach dem Konzert vor das Publikum trat und sagte: „Ich habe drei Zugaben vorbereitet, aber damit sie nicht so lange im Regen sitzen müssen, singe ich alle drei hintereinander.“ Das war ein großes Erlebnis. Und sie wie auch Zubin Mehta, der auch schon im ersten Jahr hier war, behaupten ja, dass Grafenegg die beste Open-Air-Bühne der Welt sei, weil wir nicht überdimensional sind. Unser Prinzip ist das griechische Theater, wo sie in der letzten Reihe auch noch das Pianissimo vom Klavier hören können. Außerdem haben wir ein Foyer von 32 Hektar.

„Wir sind das ideale Freiluftauditorium“