Das Grafenegg Festival stand heuer ebenso wie die Salzburger Festspiele auch im Zeichen des 300. Geburtstags eines der populärsten Meisterwerke der Barockmusik, der sechs „Brandenburgischen Konzerte“ von Johann Sebastian Bach.
Im Jahre 1721 schickte er diese „Six Concerts Avec plusieurs instruments“ mit französischer Widmung an Markgraf Christian Ludwig von Brandenburg (1677–-1734), den Onkel des regierenden preußischen Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. Dieser verfolgte allerdings einen strengen Sparkurs und schaffte in Berlin die kostspielige Hofhaltung und das prunkvolle Zeremoniell ab. Die dadurch frei gewordenen Gelder setzte der resolute wie musenfeindliche König lieber für die Aufstockung der Armee ein.
Und da der Regent bei seinem Amtsantritt auch das Hoforchester umgehend auflöste und die Oper schloss, konnten auch Bachs „Brandenburgische Konzerte“ mangels Musiker nicht uraufgeführt werden. Und so erklangen diese für Berlin bestimmten Konzerte kurioserweise das erste Mal in Köthen – und nicht an ihrem Bestimmungsort Berlin.
Wie eine Wiedergutmachung an der Geschichte
Dieses „Versäumnis“ machen nun gleichsam die Berliner in Grafenegg wieder gut: Der derzeit wohl kompetenteste Bach-Experte, Reinhard Goebel, wird dieses Konzert in der Matinee am Sonntag mit den Berliner Barock Solisten in Grafenegg zu Gehör – und die Ohren erneut zum Staunen – bringen. Was der damalige Berliner Widmungsträger allerdings nicht wusste, ist der Umstand, dass Bach – wie so oft – auch in diesem Falle auf bereits vorhandene Konzerte zurückgriff.
Ähnlich wie die „Vier Letzten Lieder“ von Richard Strauss, die zum Zeitpunkt ihrer Entstehung 1948 nicht als abgeschlossener Zyklus gedacht waren, erlangten auch diese Konzerte Bachs erst in der neuen Zusammenstellung Berühmtheit. Bach hat sie nachmals in einer Partitur zusammengefasst und hoffte, damit die Gunst von Christian Ludwig von Brandenburg am Berliner Hof zu erlangen.
Der Übermittlung der mit 14. März 1721 datierten Konzertpartitur war schon 1718 ein Kennenlernen der beiden vorangegangen: Als sich der Komponist 1718 anlässlich der Bestellung eines Cembalos bei der Firma Mietke in Berlin aufhielt, nützte er diese Berlin-Visite auch dazu, dem Markgrafen vorzuspielen und damit auch den preußischen Königshof für seine Musik zu begeistern.
Der König schläft gerne bei heroischer Musik ein
Bach stand mit diesem Unterfangen aber auf fast verlorenem Posten: Zum einen bevorzugte der König Bachs Konkurrenten Georg Friedrich Händel, zum anderen bedeutete ihm Musik generell nicht viel mehr als akustische Behübschung und Vorspiel zum Schlummer, wie ein Höfling von König Friedrich Wilhelm I. berichtet: „Und endlich hörte er noch und zuweilen und gern Musik auf eine ganz eigentümliche Art exekutiert.“
Er ließ sich nämlich einige Male in der Woche an Winterabenden Arien und Chöre aus heroischen Opern, besonders aus Händels „Alessandro und Siroë“ auf Blasinstrumenten von den Hoboisten des Potsdamer Garderegiments vorspielen. Bei diesen Blasinstrumentkonzerten standen die Musiker mit ihren Pulten und Lichtern an dem einen Ende des langen Saals, und der König saß ganz allein am anderen. Zuweilen, natürlich nach einem kopiosen Dinner, schlief er bei dieser heroischen Musik ein.
Bach für alle Gelegenheiten
Bei solchen Klassik-Highlights spitzen heute hingegen selbst notorische Konzertmuffel die Ohren. Wie populär diese Musik mittlerweile geworden ist, kann man selbst mit dem einfachen Konzertkartentest überprüfen: Jeder Klassikfan kennt die Situation, wenn durch ein plötzlich aufgetretenes Terminproblem gekaufte Konzertkarten rasch an den Mann bzw. an die Frau gebracht werden müssen. Mit der Aussicht auf die „Brandenburgischen Konzerten“ hat man hier die besten Karten in der Hand – auch wenn die Gründe für die Begeisterung bei nicht klassikaffinen Zeitgenossen manchmal verblüffen. Da kann es schon mal passieren, dass etwa Reitlehrerinnen ins Schwärmen kommen, weil sie mit dieser Musik gerne Reitvorführungen „untermalen“. Andere wiederum schwören auf den sanften Einschlafeffekt, den diese Musik bewirkt.
Viele der am Rande des Kitsches angesiedelten Plattencover von Langspielplatten mit Bachs „Brandenburgischen Konzerten“, die in den 70er und 90er Jahren im Umlauf waren, lassen noch diese Missverständnisse erahnen. Reinhard Goebel hat bei diesem Konzert mit den Berliner Barock Solisten in Grafenegg ganz auf die Strahlkraft dieser Musik gesetzt – und alle vorher geäußerten Erwartungen erfüllt. Ganz im Sinn von Bachs Sohn Carl Philipp Emanuel Bach: „Die Musik meines Vaters hat höhere Absichten: Sie soll nicht das Ohr füllen, sondern das Herz in Bewegung setzen.“