Für Van der Bellen wäre es der „Idealfall“, nicht in die Stichwahl gezwungen zu werden, sagt die Politologin Katrin Praprotnik von der Universität Graz gegenüber ORF.at. Besagter „Idealfall“ könnte eintreten, zeigt ein Blick auf die Umfragen, in denen der Amtsinhaber klar voran liegt. Um eine Stichwahl abzuwenden, braucht Van der Bellen im ersten Wahlgang mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen.
Ein Risiko für den Amtsinhaber sieht Praprotnik in den politischen Begleitumständen der Wahl. Die Stimmung im Land sei schlecht, die Unzufriedenheit mit der Ausgestaltung des politischen Systems hoch. Hinzu kommen Probleme wie die steigenden Lebenshaltungskosten, deren Lösung außerhalb der Kompetenz des Bundespräsidenten liegt. Gleich sechs Kandidaten treten gegen den Amtsinhaber an, potenzielle Protestwählerinnen und -wähler haben also eine breite Auswahl.
Rosenkranz-Antreten könnte FPÖ nützen
Auf Platz zwei in den Umfragen liegt der Kandidat der FPÖ, Walter Rosenkranz. Die Freiheitlichen sind die einzige Partei, die einen Kandidaten gegen den Amtsinhaber ins Rennen schickt. Rosenkranz’ Kandidatur könne der Partei durchaus nützen, sagt Praprotnik. Der Wahlkampf biete eine Bühne für die Bewerbung klassischer freiheitlicher Themen.
Wahlvorbereitungen laufen auf Hochtouren
Die Vorbereitungen auf die Bundespräsidentschaftswahl laufen seit Wochen auf Hochtouren. Allein in Wien müssen Tausende Wahlzellen und Wahlurnen in die knapp 1.500 Wahlsprengel ausgeliefert werden.
Nicht mithalten kann Rosenkranz mit der Performance des FPÖ-Kandidaten bei der Hofburg-Wahl 2016. Norbert Hofer hatte den ersten Wahlgang damals deutlich für sich entschieden. Messen lassen müsse sich Rosenkranz aber eher an den derzeitigen Ergebnissen der FPÖ, so Praprotnik.
Landet er darüber, wäre es ein Erfolg. Bleibt er darunter, könne die Partei immer noch argumentieren, es sei an der Person gelegen. „Für den Wahltag hat man Narrative in beide Richtungen“, sagt die Politologin.
Konkurrenz rechts der Mitte
Die Konkurrenz rechts der Mitte ist groß. Im selben Wählerinnen- und Wählerpool fischen auch der Ex-FPÖ/BZÖ-Politiker Gerald Grosz, der frühere „Krone“-Kolumnist Tassilo Wallentin und MFG-Chef Michael Brunner. „Die Forderungen dieser Kandidaten sind sehr ähnlich“, sagt Praprotnik, aber ein Kandidat wie Grosz könne noch einmal „pointierter und überspitzter formulieren“ als der Kandidat einer Parlamentspartei.
Selbiges gilt laut der Politologin für das Reservoir der Unzufriedenen. Das große Kandidatenfeld könne zwar dazu beitragen, Menschen zu mobilisieren, die 2016 zu Hause blieben – Praprotnik ortet aber „klare Überschneidungen in den Themen und im Angebot für Protestwählerinnen und Protestwähler“.
„Linke“ Kandidaten
Links der Mitte sticht vor allem Dominik Wlazny hervor, bekannt auch unter seinem Künstlernamen Marco Pogo. Für Tierschutz und Windräder, gegen Kinderarmut – das Programm des Musikers, Arztes und Bierpartei-Gründers kommt wohl auch bei grünen Wählerschichten gut an.
Ähnliches gilt – theoretisch – für den Unternehmer Heinrich Staudinger, der soziale Gerechtigkeit, Wirtschaftskritik und Naturromantik vermengt. Für Praprotnik ist Staudinger ebenfalls „ein linker Kandidat“, wenngleich er mit seiner Kritik an den CoV-Maßnahmen und der Impfung immer wieder im rechten Lager verortet worden sei.
Wlazny gab an, bei der vergangenen Hofburg-Wahl Van der Bellen gewählt zu haben. Staudinger unterstützte den ehemaligen Parteichef der Grünen damals offen im Wahlkampf. Ob sie den Amtsinhaber Stimmen kosten werden, lässt sich für Praprotnik noch nicht absehen. Die „Gretchenfrage“ sei, ob die Stimmen aus dem Lager der Nichtwählerinnen und Nichtwähler oder aus grünen oder grünaffinen Schichten kämen.
Politisches Sprungbrett
Gerade die parteiunabhängigen Herausforderer Van der Bellens könnten die Hofburg-Wahl als Sprungbrett für weitere politische Projekte nutzen. Ein Spezialfall sei MFG-Parteichef Brunner. Er hat bereits angekündigt, für eine Nationalratswahl zur Verfügung zu stehen. In Oberösterreich schaffte es die MFG, die CoV-Maßnahmen und -Impfungen ablehnt, in den Landtag.
Bei der Tirol-Wahl setzte es zuletzt aber eine herbe Niederlage, der Einzug in den Landtag wurde deutlich verfehlt. Bei einer Nationalratswahl strahle die Partei mit einem ehemaligen Hofburg-Kandidaten mehr Prominenz aus, sagt Praprotnik. Die Einzelkandidaten Grosz, Wallentin und Staudinger lassen sich, was mögliche weitere Politambitionen betrifft, bisher nicht in die Karten schauen.
Ambitionen nachgesagt werden Bierpartei-Gründer Wlazny. Auffallend für Praprotnik ist jedenfalls die „überraschend klare Differenzierung zwischen der Kunstfigur Marco Pogo und der Person Dominik Wlazny als Präsidentschaftskandidat“. Wlazny wolle als Politiker und mit seinen Inhalten überzeugen. Das könne bedeuten, dass er und die Bierpartei in Zukunft durchaus eine größere Rolle auf der politischen Bühne spielen möchten.