Teil einer Performance von „Choreographic Convention“
Philippe Weissbrodt
In Other Words: A Future

Zärtliches Duett mit Oktopus

Unter abstraktem Titel startet ImPulsTanz ab Samstag seine Auseinandersetzung mit den brennendsten Fragen unserer Zeit: Die Choreographic Convention „In Other Words: A Future“ ist so etwas wie ein Minifestival im Festival. In neun Tagen lotet das Programm Fragen der Klimakrise und des Anthropozäns aus. Nicht fehlen dürfen Performances, die von der Imitation längst ausgestorbener Vogelstimmen bis zum Oktopustanz reichen.

Betrachtet man sie mit dem Theaterbesucherblick, ist sie zweifelsfrei ein Ausdruckstanztalent: Grazil, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen, wirbelt eine Krake ihre acht Fangarme umher und erinnert so ein bisschen an die Kleider, die die Tänzerinnen der Disziplin um die Jahrhundertwende zu tragen pflegten. Vor dem Aquarium versucht derweil eine zweiarmige Performerin, ein Duett mit dem bemerkenswert klugen Tier entstehen zu lassen.

Die einstündige Arbeit „Temple du present – Solo pour octopus“ des Schweizer Choreografen Stefan Kaegi ist der erste Programmpunkt der „Choreographic Convention“, die am 9. Juli im Wiener Volkstheater beginnt. Ursprünglich als Livearbeit geplant, verlegte Kaegi, vor allem als Teil des Kollektivs Rimini Protokoll bekannt, seine tänzerische Begegnung aus Gründen des Tierwohls auf Film. Im Volkstheater wird auf großer Leinwand präsentiert.

Tanz „prädestiniertes“ Reflexionsmedium

Was subkutan in der Performance mitschwingt, greifen explizit Off-Text und Inserts auf: Das Thema einer speziesübergreifenden Kommunikation wird mit der Frage nach einem unterschiedlichen Musikrezeptionsverhalten („Sie hat keine Ohren. Erlebt sie Musik auf andere Art?“) genauso reflektiert wird wie die große philosophische Frage eines verstehbaren „Anderen“. Zur Eröffnungsverantstaltung sprechen Brigitte Bierlein, ehemalige Bundeskanzlerin und Präsidentin des ImPulsTanz-Partnervereins danceweb, sowie die wichtigste deutschsprachige Tanzwissenschaftlerin Gabriele Brandstetter, Letztere im Diskussionspanel.

Teil einer Performance von „Choreographic Convention“
Jubal Battisti
In „Hopeless.“ lässt Sergiu Matis ausgestorbene Vögel wiederauferstehen

„Angesichts der Tatsache einer massiven Klimakrise wollten wir untersuchen, was es für tänzerische und choreografische Antworten darauf gibt, wie wir mit unseren Planeten umgehen", fasst die Kuratorin des Programms, Christine Standfest, die auch für die ImPulsTanz-Nachwuchsschiene [8:tension] verantwortlich zeichnet, gegenüber ORF.at die Grundidee zusammen. Tanz sei, so Standfest, „ja eigentlich prädestiniert dafür, sich mit der Verletzlicheit des Körpers auseinanderzusetzen und die physischen Beziehungen zu dem zu beleuchten, was man Natur nennt“.

Techno und Tirilieren

Unter den vier Performances im Convention-Programm ist auch Sergiu Matis neues Stück. Mit „Hopeless.“ hat der aus Rumänien stammende Choreograf sein gefeiertes „Extinction Room (Hopeless)“ von 2021 nun um zwei weitere Teile ergänzt. Auf der Bühne lässt er es zwitschern, fiepen, krähen und tirilieren. Drei sich aufplusternde Performer mimen Vögel, einiges davon ist spekulativ: Vom Elfenbeinspecht bis Schildhornvogel sind Matis’ Piepmatze ausgestorben bzw. vom Aussterben bedroht.

Ausgehend von der Dichtung der Antike mit Theokrits und Vergils Lobes­hymnen auf die Erde geht es dem Stück um den „Faktor Mensch“ in der Geschichte der Ausrottung, was mit Textinputs etwa zum durch die Kolonialisierung von Mauritius im 17. Jahrhundert ausgerotteten Dodo auch direkt angesprochen wird. Empfindliches Publikum aufgepasst: Bei der Performance im Odeon Theater warten, so zumindest die Ankündigung, auch zehn Minuten Technosound-Dröhnung.

Teil einer Performance von „Choreographic Convention“
Jubal Battisti
Vorne pulsiert der Herzlappen: Claudia Bosse inmitten ihres organischen Bühnenuniversums

Claudia Bosse mit Solo

Die performative Schiene der Convention holt außerdem ein Solo von Claudia Bosse auf die Bühne, jener Choreografin, die seit über 25 Jahren die text- und theorieaffine Performancegruppe theatercombinat in Wien leitet. In „ORACLE and SACRIFICE oder die evakuierung der gegenwart“ mimt sie ausnahmsweise selbst die zentrale Performerin.

Zu minimalistisch treibendem Beat und einer mit organischen Skulpturen bestückten Bühne samt pulsierender Herzattrappe und einem fast rapunzellangen Haarbüschel (gestaltet von Bosse selbst) geht es der charismatischen 53-jährigen in ihrem poetisch-ritualistischen Stück gleich um fast alles, das Kleinste bis hin zu den „kosmischen Zusammenhängen“. Der Ausgangspunkt: antike Opferrituale.

Barbara Frischmuth und Esther Kinsky

Im diskursiven Programmpart verhandeln am 10. Juli in der Libelle im MuseumsQuartier drei Paneldiskussionen (mit dabei: die Performerinnen Lisa Hinterreithner und Anne Juren) Fragen wie etwa „Was ist der Körper in dieser Umwelt, wie kann künstlerische Produktion nachhaltig gestaltet werden, welche künstlerischen Auseinandersetzungen entwickeln sich?“, so Standfest dazu.

Gespannt sein darf man auch auf die Lesungen der Autorinnen Barbara Frischmuth und Esther Kinsky, die eine Woche später ebenda auf dem Dach des Leopold Museums präsent sein werden. Die Österreicherin Frischmuth liest aus ihrem Essay „Natur und die Versuche, ihr mit Sprache beizukommen“.

Die aus Deutschland stammende Kinsky, die mit ihrem im Frühjahr veröffentlichten Roman „Rombo“ zu einem Erdbeben im Friaul 1976 eine überzeugende Perspektivverschiebung in Richtung Steine, Pflanzen und Tiere vorgelegt hatte, präsentiert ihren Gedichtband „Schiefern“. Eine – im Unterschied zu Frischmuth – sprachlich ganz andere Annäherung an die Natur.