Die beleuchtete Glaspyramide des Louvre in Paris
APA/AFP/Geoffroy Van Der Hasselt
Netzkultur

Weltreise durch die Onlinekultur

Das Streamen von Konzerten und Betrachten von digitalisierten Bildern mag im ersten Moment wie ein schales Surrogat für Liveveranstaltungen gewirkt haben, doch die Onlinekultur funktioniert immer reibungsloser und eröffnet neue Möglichkeiten.

Viele Künstlerinnen und Künstler und Veranstaltungsräume entdecken das Internet als Präsentationsraum neu. Festivals disponieren gegen Gebühr auf Onlineausgaben um, Theaterfestivals streamen, und Konzerthäuser machen Aufnahmen ihrer großen musikalischen Momente verfügbar.

Jene, die es sich leisten können, verschenken ihre Inhalte, andere bitten online um Unterstützung für ihre Arbeit. Zwischen Film, Bühne, Clubkultur, Konzertsaal und virtueller Museumssammlung gibt es vieles aus aller Welt zu entdecken.

Online Kino und Streaming

Während Highlights für Filmfans wie das renommierte Filmfestival in Cannes dieses Jahr ausfallen, gibt es auch hochkarätiges im Onlinekino. Das Kurzfilmfestival My Darling Quarantine wird von Vertretern Dutzender internationaler Festivals kuratiert und läuft bereits seit acht Wochen. Jede Woche gibt es sieben neue Kurzfilme aus der ganzen Welt zu sehen, und es besteht die Möglichkeit, für einen Wochengewinner zu stimmen. Das 35. Münchner DOK.fest beginnt am 6. Mai als Onlinefestival und zeigt ganze 121 Filme aus 42 Ländern.

Eine naheliegende kulturelle Beschäftigung ist das Erkunden neuer Streamingplattformen. Mit über 500 Filmen, mehr als 350 Serien und 25 exklusiven Originals sowie Tausenden TV-Episoden von Disney, Pixar, Marvel, Star Wars, National Geographic und vielem mehr ist Disney+ ab sofort das neue Streamingzuhause für zahlreiche der weltweit beliebtesten Geschichten. Das Programm bietet Highlights für Erwachsene und Kinder.

Clubkultur und große Popstimmen

Der über die Maßen erfolgreiche französische House DJ Bob Sinclair ist vielfältiger als sein Ruf. Seit dem ersten Tag der französischen Ausgangsbeschränkungen spielt er täglich auf Facebook ein rund einstündiges DJ-Set, das meist zwischen einer halben und einer Million Menschen abrufen. Dabei mixt er sich durch Genres wie Afro Beat, Funk der 1980er, Hip-Hop, Disco, Garage und natürlich alle möglichen House-Spielarten. Für große Momente der Clubkultur live im Wohnzimmer steht die Streamingplattform Boiler Room seit inzwischen zehn Jahren. Das Archiv ermöglicht ein Durchstöbern der besten DJ-Sets und Performances der 2010er Jahre.

Sänger Rufus Wainwright
APA/AFP/Getty Images/Presley Ann
Rufus Wainwraight singt derzeit nicht in der geschlossenen Royal Albert Hall – aber von zu Hause aus

Die Royal Albert Hall – Londons ikonischer Veranstaltungssaal, der an ein Amphitheater erinnert – muss während der Coronaviruskrise geschlossen bleiben. Dafür gibt es eine tägliche Veranstaltungsreihe namens #Royal Albert Home, in der man etwa ein Konzert der Schweizer Sängerin Sophie Hunger, die sich zwischen Folk und Jazz bewegt, und dem Singer-Songwriter Rufus Wainwright nachhören kann. In den nächsten Tagen singt Sinead Harnett, die in England seit Jahren mit ihrer souligen Stimme Charterfolge feiert.

Klassik und Oper

Auch im klassischen Fach tut sich einiges in Sachen Streamingkultur. Der russich-deutsche Pianist Igor Levit, international gefeierter Musiker und Professor für Klavier an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover, gibt täglich auf Twitter ein Konzert aus seinem Wohnzimmer.

Die European Concert Hall Organisation (ECHO) ist ein Zusammenschluss europäischer Konzerthäuser. Mitglieder sind unter anderen das Wiener Konzerthaus, die Elbphilharmonie in Hamburg und das Concertgebouw in Amsterdam. Täglich streamen sie auf Facebook ein aufgezeichnetes Konzert aus einem der Häuser, ein musikalisches und architektonisches Vergnügen.

Einige der großen internationalen Opernhäuser streamen ebenfalls kostenlos. Etwa die New Yorker Metropolitan Opera, das Opernhaus Zürich und die Wiener Staatsoper. Aus New York streamt man diese Woche etwa „L’Amour de Loin“ der finnischen Komponistin Kaija Saariaho. In Zürich gibt es am Wochenende Sergei Prokofjews „Romeo und Julia“, und am Ring steht diese Woche unter anderem „Eugen Onegin“ auf dem virtuellen Spielplan.

Theater

Das eigentlich wegen der Coronavirus-Pandemie abgesagte 57. Berliner Theatertreffen findet als „Special Edition“ nun virtuell statt: Von 1. bis 9. Mai werden sechs Inszenierungen der diesjährigen 10er Auswahl auf Nachtkritik.de sowie auf der Onlineplattform „Berliner Festspiele on Demand“, jeweils für 24 Stunden präsentiert. Dazu gibt es Onlinediskurse über „Digitale Praxis am Theater“ und die Juryabschlussdiskussion. Noch zu sehen sein werden in den nächsten Tagen beispielsweise Claudia Bauers Inszenierung von Tennessee Williams’ „Süßer Vogel Jugend“ für das Schauspielhaus Leipzig und Toshiki Okadas „The Vacuum Cleaner“ für die Münchner Kammerspiele.

Berliner Festspiele, Theatertreffen, Szene aus dem Stück „The Vacuum Cleaner“
Julian Baumann
Toshiki Okadas „The Vacuum Cleaner“ (Münchner Kammerspiele) hat es in die Auswahl des Berliner Theatertreffens geschafft

Die Bretter, die die Welt bedeuten, gibt es auch auf dem heimischen Bildschirm. Die Schaubühne Berlin spielt täglich den Mitschnitt einer Aufführung der vergangenen Jahrzehnte, so etwa gleich zwei Inszenierungen von Hendrik Ibsens „Hedda Gabler“ und Thomas Ostermeiers Dramatisierung von Ödon von Horvaths Klassiker „Jugend ohne Gott“, die 2019 bei den Salzburger Festspielen Premiere feierte.

Wer die Klassiker liebt, der kann auf dem YouTube-Kanal des Londoner Globe-Theaters aufgezeichnete Shakespeare-Inszenierungen sehen, aktuell eine „The Two Noble Kinsmen“-Fassung aus dem Jahr 2018. Das Theater brüstet sich damit, die Originalspielstätte von Shakespeares Werk gewesen zu sein und bildet mit seiner charakteristischen runden Form das „Wooden O“, das Shakespeare in „Henry V“ erwähnt, nach. Just dieses Stück lässt sich in einer aktuellen Inszenierung auf dem YouTube-Kanal des Londoner Barn-Theatre streamen.

Tanz und Musical

Pina Bausch (1940–2009) war in den 1970er Jahren eine maßgebliche Entwicklerin des modernen Tanztheaters und eine der bedeutendsten Choreografinnen ihrer Zeit. Ihr 1989 mit dem Tanztheater Wuppertal in Kooperation mit dem Teatro Biondo Stabile Palermo entstandenes Werk „Palermo, Palermo“ ist jetzt auf der Seite der Pina Bausch Foundation in einer eigens geschnittenen Version zu sehen.

„The Show Must Go On!“ ist nicht nur eine treffende Durchhalteparole für den Kulturbetrieb während der Coronavirus-Krise, sondern auch der Name eines YouTube-Kanals, auf dem Musical-Ikone Andrew Lloyd Webber jeden Freitag für zwei Tage eine seiner Arbeiten zugänglich macht. „Jesus Christ Superstar“ und „The Phantom of the Opera“ waren schon zugänglich, man darf gespannt sein, wann es „Cats“ zu sehen gibt.

Museen aus aller Welt im Netz

Zu guter Letzt kann man sich wohl über Monate in digitalen Ausstellungen verlieren. Alleine über Googles „Arts and Culture“-Programm lassen sich Hunderte Sammlungen zwischen Maastricht, Tokio, Sao Paulo, Johannesburg, Florenz und Bogota bewundern.

Screenshot "Google Arts and Culture
Screenshot "Google Arts and Culture
Ein Screenshot der „Google-Sammlung“

Auch bei geschlossenen Toren bieten die Museen New Yorks Programm. Einfacher ist das natürlich für das Medium Fotografie. Das International Center of Photography (ICP) stellt Teile seiner Ausstellungen sowie Bildungsangebote zum Thema Fotografie online. Beachtlich ist die gerade laufende Ausstellung „CONTACT HIGH: A Visual History of Hip-Hop“ in der die Geschichte des Hip-Hop vom politischen Sprachrohr der jungen unterprivilegierten Afroamerikaner der 1970er Jahre bis zum umsatzstarken Popgenre der Gegenwart in Bildern erzählt. Sehr informativ ist die dazugehörige Audioeinführung.

Das Museum of Modern Art (MoMA) liefert seinem Publikum gut gemachte Videoclips zu seinem aktuellen Programm. So ist etwa zur Retrospektive des Künstlers Donald Judd ein Ausschnitt aus einem historischen Interview zu sehen, wo der Meister der rechteckigen Skulpturen den Begriff „Minimalismus“ für sich ablehnt. Die Ausstellungen „But a Storm Is Blowing From Paradise: Contemporary Art of the Middle East and North Africa“ und „The Little-Known Glass Works of Josef Albers“ des Guggenheim Museum kann man auch online besuchen.

Obwohl die Kunstschätze Italiens physisch gerade für niemanden zu sehen sind, kann man sie online erleben. Die Vatikanischen Museen bieten virtuelle Touren, bei denen man beispielsweise die von Raffael gestalteten Räume und die Sixtinische Kapelle als 360-Grad-Tour besichtigen kann. Auch die Uffizien in Florenz kann man digital besuchen und barocke Meisterwerke wie Caravaggios „Medusenhaupt“ und Artemisia Gentileschis „Judith und Holofernes“ hochauflösend bestaunen.

Selbstporträt Gentileschis, 1638–39
Artemisia Gentileschi – Google Cultural Institute
Artemisia Gentileschis – hier in einem Selbstporträt von ca. 1638 – große Londoner Schau musste verschoben werden. Im Internet gibt es bis dahin schon jetzt einiges aus ihrem Werk zu entdecken.

Apropos Artemisia Gentileschi: Dieser großen und in den letzten Jahren wiederentdeckten Malerin des Barock wollte man in London gerade eine Schau widmen, die die meisten ihrer erhaltenen Gemälde ausgestellt hätte. „Artimisia“ wurde auf nächstes Jahr verschoben, einstweilen bleiben Diashows und die spannenden Einführungstexte der National Gallery als Appetithappen. Auch die anderen Sammlungen Londons sind einen virtuellen Besuch wert. Sei es, um im British Museum den weltberühmten „Rosetta Stone“ zu sehen, sei es die Tate, in der es online einen Streifzug durch die britische Kunst von 1545 bis heute zu sehen gibt.

Auch die berühmten Pariser Museen sind digital zugänglich. So kann man der „Mona Lisa“ im Louvre digital – und ganz ohne Menschenaufläufe – einen Besuch abstatten und van Goghs expressives Selbstporträt von 1889 des Musee d’Orsay betrachten.

Die größte Sammlung von Vincent van Goghs Werken findet sich im Amsterdamer Van Gogh Museum. Hier gibt es digital an die 200 seiner Arbeiten zu sehen. Daneben findet sich auch eine online Ausstellung zu van Goghs Liebesleben.

Zu guter Letzt ein Blick nach Brasilien. Die Sammlung des Museu de Arte de Sao Paulo Assis Chateaubriand (MASP) ist schon länger kein Geheimtipp mehr. Neben europäischer Kunst von Tizian bis Paul Cezanne besitzt das Museum brasilianische Kunst durch die Jahrhunderte und eine spektakuläre Modesammlung, die das Schaffen brasilianischer Designer und Designerinnen der 1960er Jahre dokumentiert.