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Großer Staudamm bei Cherson zerstört

Im von Russland besetzten Teil der südukrainischen Region Cherson ist nach Angaben der Kriegsparteien der Kachowka-Staudamm nahe der Front schwer beschädigt worden. Nun werden großflächige Überschwemmungen befürchtet – erste Evakuierungen haben begonnen. Die Ukraine und Russland beschuldigen einander heftig der Zerstörung des Dammes. Die Folgen sind noch unabsehbar.

Online seit 6. Juni 2023, 9.40 Uhr
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UNO-Sicherheitsrat soll noch heute tagen

Die Zerstörung des Staudamms soll noch heute den UNO-Sicherheitsrat in New York beschäftigen. Eine Dringlichkeitssitzung sei für 16.00 Uhr (22.00 Uhr MESZ) anberaumt worden, teilen Diplomatenkreise der Deutschen Presse-Agentur mit. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat einer Quelle zufolge beantragt, virtuell bei der Veranstaltung sprechen zu dürfen.

Blatt: USA lagen ukrainische Pläne für Angriff auf „Nord Stream“ vor

Neuigkeiten gibt es auch in einer ganz anderen Causa: Die „Washington Post“ berichtet, den USA seien drei Monate vor dem Anschlag auf die „Nord Stream“-Pipelines detaillierte ukrainische Pläne für einen Angriff auf die Erdgasleitungen vorgelegen. Wie die Zeitung unter Berufung auf geleakte Informationen auf Discord berichtete, wurden die Einzelheiten des Plans von einem europäischen Geheimdienst zusammengetragen und im Juni 2022 an den US-Dienst CIA übergeben.

Blasen auf Wasseroberfläche nahe Bornholm
Reuters/Danish Defence Command

Der ursprüngliche Bericht basierte demnach auf Informationen, die von einer Person in der Ukraine stammten. So soll das ukrainische Militär einen Angriff mit einer kleinen Gruppe von Tauchern geplant haben. Zwar sei er aus unbekannten Gründen auf Eis gelegt worden. Allerdings stimmten Elemente daraus mit den bisherigen Ermittlungsergebnissen überein. Eine Stellungnahme der Ukraine, Russlands, des CIA und der USA zu dem Bericht lag zunächst nicht vor.

UNO-Chef: Dammbruch Folge des russischen Einmarschs

Die Vereinten Nationen verfügen nach Darstellung von UNO-Generalsekretär Antonio Guterres über keine unabhängigen Informationen zum Dammbruch in der Ukraine. Er fügte jedoch hinzu: „Eine Sache ist klar, das ist eine weitere verheerende Folge des russischen Einmarschs in die Ukraine.“

Ukraine will 17.000 Menschen in Sicherheit bringen

Nach der Zerstörung des Staudamms in der ukrainischen Region Cherson haben die ukrainischen Behörden die Evakuierung von rund 17.000 Menschen eingeleitet. Für Gegenden mit insgesamt mehr als 40.000 Einwohnerinnen und Einwohnern bestehe Überflutungsgefahr, erklärt der ukrainische Generalstaatsanwalt Andrij Kostin. Auf der von Russland besetzten Seite des Flusses Dnipro sollten weitere 25.000 Menschen fortgebracht werden.

Ukraine und Russland wollen Sicherheitsrat einschalten

Nach der Ukraine fordert nun auch Russland eine Sitzung des UNO-Sicherheitsrates zum Dammbruch. „Wir betrachten die Sprengung des Staudamms durch die Russische Föderation als einen terroristischen Akt gegen kritische ukrainische Infrastrukturen“, heißt in einer Erklärung des Außenministeriums in Kiew. Russland will dagegen seinerseits eine derartige Sitzung einberufen, wie die Nachrichtenagentur RIA unter Verweis auf einen russischen Gesandten meldet. Eine Bestätigung der Regierung in Moskau liegt nicht vor. Russland und der ukrainische Verbündete USA haben jeweils ein Vetorecht im Rat.

US-Regierungsvertreter „sehr besorgt“

Die US-Regierung ist einem Insider zufolge „sehr besorgt“ angesichts der Berichte über den Dammbruch. Man versuche, mehr über die potenziellen Folgen in Erfahrung zu bringen, sagt der Vertreter der Regierung von Präsident Joe Biden gegenüber Reuters.

Russlands Verteidigungsminister Schoigu beschuldigt Kiew

Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu beschuldigt die Ukraine, den Kachowka-Damm gesprengt zu haben. Damit habe ein russischer Angriff auf die Region nahe Cherson verhindert werden sollen, heißt es in einer Erklärung seines Ministeriums. Gleichzeitig soll dadurch ermöglicht werden, dass die Ukraine „Einheiten und Material von der Front in Cherson in das Gebiet des Offensiveinsatzes“ verlagere. Belege liefert Schoigu nicht.

Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu
Reuters/Russian Defence Ministry

Er berichtet zudem von 71 getöteten russischen Soldaten bei einer nach seiner Darstellung erfolglosen ukrainischen Offensive in den vergangenen Tagen. „Ich wiederhole: Der Feind hat seine Ziele nicht erreicht (und) hat erhebliche und unvergleichliche Verluste erlitten“, heißt es auf Telegram in einer Erklärung.

Wasserkraftwerk „komplett zerstört“

Nach der Explosion am Staudamm ist das dortige Wasserkraftwerk nach ukrainischen Angaben „komplett zerstört“. Das Kraftwerk könne nicht wiederhergestellt werden, die Hydraulik sei weggeschwemmt worden, teilt der Leiter des ukrainischen Energiebetreibers Ukrhydroenergo, Ihor Syrota, im ukrainischen Fernsehen mit.

Zerstörtes Wasserkraftwerk
Reuters

Religionsführer verurteilen Staudammzerstörung

Religionsführer in der Ukraine machen Russland für die Zerstörung des Kachowka-Staudamms verantwortlich. Der Oberrabbiner des Landes, Mosche Azman, schreibt auf Twitter, russische „Terroristen“ hätten eine ökologische Katastrophe angerichtet – mehr dazu in religion.ORF.at.

Selenskyj sieht größtes menschengemachtes Umweltdesaster

Selenskyj macht Moskau für die Sprengung des Kachowka-Staudamms verantwortlich und vergleicht die Tat mit dem Einsatz einer Massenvernichtungswaffe. „Das ist die größte menschengemachte Umweltkatastrophe in Europa seit Jahrzehnten“, sagt er bei einer Sicherheitskonferenz in der slowakischen Hauptstadt Bratislava, zu der er per Video zugeschaltet war. „Russland hat eine ökologische Massenvernichtungswaffe gezündet.“

Rotes Kreuz verurteilt Zerstörung des Staudamms

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) verurteilt die Zerstörung des Kachowka-Staudamms. „Zehntausende Menschen sind in einer desolaten Situation“, teilt die für die Region zuständige IKRK-Regionaldirektorin Ariane Bauer mit.

„Die Zerstörung von wichtiger Infrastruktur kann ganze Bevölkerungsgruppen in Verzweiflung stürzen und sie zugrunde richten. Das internationale Völkerrecht kann davor schützen, aber nur, wenn Staaten ihre Verpflichtungen einhalten.“

Sitzung des UNO-Sicherheitsrats gefordert

Der ukrainische Außenminister Dymtro Kuleba fordert nach den Schäden am Staudamm eine Dringlichkeitssitzung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Er erklärt, der Schaden sei das Ergebnis eines „russischen Terroranschlags“, und der Kreml müsse mit neuen internationalen Sanktionen rechnen.

Evakuierungen in Region Cherson angelaufen

Die ukrainische Behörden bringen Zivilisten aus der überschwemmten Region Cherson in Sicherheit. Betroffen sind die Bezirke Nowa Kachowka, Golo Pristan und Oleschky.

Evakuierung eines Wohngebietes in der Region Cherson
IMAGO/Ivan Vyhivsky

Polen sieht „Akt russischer Barbarei“

Polen bezeichnet die Zerstörung des Dammes als „beispiellosen Akt russischer Barbarei“ und fordert neue Sanktionen gegen Moskau. Die Sprengung des Staudamms verstoße gegen Normen des Menschenrechts sowie des Umweltschutzes und trage die „Merkmale eines Kriegsverbrechens“, heißt ist in einer vom Außenministerium in Warschau veröffentlichten Erklärung. Polen werde sich dafür einsetzen, dass Russland zur Verantwortung gezogen werde.

300 Tonnen Maschinenöl drohen auszulaufen

Durch die Sprengung des Kachowka-Staudamms sind nach Angaben der ukrainischen Führung nicht nur mindestens 150 Tonnen Maschinenöl in den Fluss Dnipro gelangt, 300 weitere Tonnen Öl drohen noch auszulaufen, heißt es am Rande einer von Präsident Selenskyj einberufenen Sitzung des nationalen Sicherheitsrats.

Der Gouverneur des Verwaltungsgebiets Cherson, Olexandr Prokudin, berichtet von acht ganz oder teilweise überfluteten Ortschaften. 16.000 Menschen seien in der Gefahrenzone. Luftaufnahmen aus der von der Ukraine kontrollierten Gebietshauptstadt Cherson zeigen, dass im flussnahen Stadtteil Korabel viele Häuser unter Wasser stehen.

Videos in sozialen Netzwerken zeigen Überschwemmungen

In sozialen Netzwerken zeigen Bilder und Videos das Maß der Überschwemmung in der Oblast Cherson.

Besatzungsverwaltung plant Evakuierung von drei Bezirken

In der zum Teil von russischen Truppen kontrollierten Oblast Cherson sollen nach Angaben der Besatzungsverwaltung drei Bezirke wegen der Staudammzerstörung evakuiert werden. Das seien Nowa Kachowka, Golo Pristan und Oleschky, teilt die Verwaltung per Telegram mit. Die beiden letztgenannten Bezirke befinden sich auf der gegenüberliegenden Seite des Dnipro. Russland kontrolliert das linke Ufer des Flusses im Osten, die Ukraine das rechte Ufer im Westen.

Wasser erreicht Zentrum von Nowa Kachowka
IMAGO/TASS/Alexei Konovalov

Scharfe Kritik der EU-Kommission

Die EU verurteilt die Zerstörung des Kachowka-Staudamms. Das sei ein weiteres Beispiel für die „barbarische Aggression“ Russlands gegen die Ukraine, sagt der Sprecher der EU-Kommission, Peter Stano, vor der Presse in Brüssel. „Dies ist ein neues Zeichen der Eskalation, das die schreckliche und barbarische Natur der russischen Aggression gegen die Ukraine auf ein beispielloses Ausmaß bringt.“

Kiew: 150 Tonnen Motoröl in Dnipro geflossen

Nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms sind nach ukrainischen Angaben 150 Tonnen Motoröl in den Fluss Dnipro geflossen. Die Presseberaterin des Chefs des ukrainischen Präsidialamtes, Daria Sariwna, warnt vor einer Gefährdung der Umwelt. „Es besteht auch die Gefahr neuer Öllecks, die sich negativ auf die Umwelt auswirken“, erklärt Sariwna per Telegram.

Region um Staudamm weitläufig überflutet

Weite Teile der Region um den Kachowka-Staudamm sind überflutet. Das Wasserkraftwerk stürzt weiterhin ein, und das Wasser fließt unkontrolliert ab.

Kiew fordert Russlands Ausschluss aus UNO-Sicherheitsrat

Die Ukraine hat die Zerstörung des Staudamms als „größte menschengemachte Katastrophe seit Jahrzehnten“ eingestuft. Hunderttausende bekämen in den kommenden Jahren die negativen Folgen zu spüren, warnt der Chef des Präsidentenbüros in Kiew, Andrij Jermak.

„Heute ist Russland eine globale Bedrohung.“ Das Land müsse seinen Sitz im UNO-Sicherheitsrat verlieren. Russland gehört dort zu den fünf Vetomächten. Das ukrainische Außenministerium fordert zudem neue Sanktionen und ein Dringlichkeitstreffen des UNO-Sicherheitsrats.

Peskow: „Das war die Ukraine“

Russland weist die Vorwürfe, für die Zerstörung des Kachowka-Staudamms verantwortlich zu sein, scharf zurück. „Das war die Ukraine“, sagt Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow. Er wirft dem Nachbarland Sabotage vor. Diese könne sehr schwerwiegende Konsequenzen für Zehntausende Menschen in der Region haben.

Kremlsprecher Dmitri Peskow
Reuters/Kreml/ Sputnik/Sergey Guneev

Die Sabotage stehe offenbar im Zusammenhang damit, dass die großangelegte Offensive der Ukraine ins Stocken gerate, so Peskow. Er fügt hinzu, dass der russische Präsident Wladimir Putin über die Vorfälle an dem Staudamm unterrichtet worden sei.

IAEA appelliert an beide Seiten

Die UNO-Atomenergiebehörde (IAEA) geht davon aus, dass es für die Kühlung des AKW Saporischschja ausreichend Wasser aus anderen Quellen als dem Stausee mit seinem geborstenen Damm gibt. Zentral dafür sei das Kühlbecken beim AKW selbst, das unbedingt intakt bleiben müsse.

IAEA-Chef Rafael Grossi appelliert deshalb an die Ukraine und Russland, das Becken zu verschonen. Es dürfe nichts unternommen werden, was die Unversehrtheit des Beckens gefährde. Das Wasser darin dürfte schätzungsweise einige Monate zur Kühlung reichen, da die Reaktoren in Saporischschja bereits seit einigen Monaten abgeschaltet seien.

Britischer Außenminister: Kriegsverbrechen

Vorsätzliche Angriffe auf zivile Infrastruktur seien ein „Kriegsverbrechen“, sagt der britische Außenminister James Cleverly.

„Die Zerstörung des Kachowka-Staudamms ist eine abscheuliche Tat. Der absichtliche Angriff ausschließlich auf zivile Infrastruktur ist ein Kriegsverbrechen“, so Cleverly auf Twitter. Großbritannien stehe bereit, der Ukraine mit den Folgen der Sprengung zu helfen.

Rund 80 Ortschaften betroffen

Laut ukrainischem Innenministerium sind mit Stand 11.00 Uhr knapp 900 Personen in der Oblast Cherson aus den Überschwemmungsgebieten gebracht worden. Insgesamt seien rund 80 Siedlungen durch die Fluten bedroht, die meisten davon würden sich in der russischen Besatzungszone befinden. Die Rettungsdienste in diesen Gebieten melden laut TASS, dass rund 600 Häuser überflutet seien.

Wasser erreicht Zentrum von Nowa Kachowka
IMAGO/TASS/Alexei Konovalov

Charkiw: Raketenangriff hinterlässt Krater

Durch einen Raketenangriff Russlands auf das Stadtzentrum von Charkiw, der zweitgrößten Stadt der Ukraine, ist ein großer Krater auf der Straße entstanden. Auch umliegende Gebäude sind zerstört. Nach dem Angriff wurden keine Todesopfer gemeldet.

Lage am AKW Saporischschja nicht kritisch

Die Lage am Atomkraftwerk Saporischschja ist nach Angaben des staatlichen Betreibers Enerhoatom nach der Zerstörung des Kachowka-Staudammes nicht kritisch. Ein Sinken des Pegelstandes im Stausee, der das AKW mit Kühlwasser versorgt, werde sich nicht auf den Wasserstand in den Abklingbecken des Kraftwerks auswirken, in denen die abgebrannten Brennelemente lagern, sagt Enerhoatom-Chef Petro Kotin.

AKW Saporischschja
AP

Ukrainisches Militär: Vormarsch sollte gestoppt werden

Die russischen Truppen haben nach Darstellung des ukrainischen Militärs den Staudamm gesprengt, um die ukrainischen Streitkräfte an der Überquerung des Dnipro zu hindern. „Das ist eine hysterische Reaktion“, sagt die Sprecherin des Militärkommandos Süd, Natalija Humenjuk.

Den russischen Truppen sei klar gewesen, dass es zu einer Bewegung der ukrainischen Verteidigungskräfte kommen würde. „Sie versuchten auf diese Weise Einfluss auf die Verteidigungskräfte zu nehmen, damit die von ihnen befürchtete Überquerung des Dnipro nicht zustande kommt.“

Das ukrainische Militär will seinen Vormarsch aber weiterführen. nicht aufhalten lassen. „Was die Verhinderung unserer Offensivaktionen betrifft, so hat die Militärführung solche verräterischen Aktionen des Feindes voll berücksichtigt“, so der führende Kommandeur Serhij Naew der staatlichen Nachrichtenagentur Ukrinform zufolge. „Das sollte unseren Vormarsch in die Richtungen, in denen es zu Überschwemmungen kommen kann, nicht verhindern.“

Notstand ausgerufen

Im Bezirk Nowa Kachowka haben die Behörden den Notstand ausgerufen. Das meldet die russische Nachrichtenagentur TASS unter Berufung auf einen Erlass der von Russland installierten örtlichen Besatzungsbehörden. Das Gebiet liegt in der von russischen Truppen zum Teil kontrollierten südukrainischen Oblast Cherson.

Wasser erreicht Zentrum von Nowa Kachowka
IMAGO/TASS/Kherson Region emergency service

Die Stadt Nowa Kachowka stehe unter Wasser, teilt der von Russland installierte Bürgermeister Leontjew TASS zufolge mit. Die Stadt mit ursprünglich rund 45.000 Menschen liegt direkt am zerstörten Staudamm.

Scholz sieht „neue Dimension“ des Krieges

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz sieht in der teilweisen Zerstörung des Kachowka-Staudamms eine „neue Dimension“ des Ukraine-Krieges. Die Beschädigung des Dammes sei etwas, „das zu der Art und Weise passt, wie Putin diesen Krieg führt“, sagt Scholz beim Europaforum des WDR in Berlin. Es sei eine Entwicklung, „die wir mit Sorgfalt und mit Sorge betrachten“.

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