Die israelische Armee geht davon aus, dass die meisten der rund 200 beim Hamas-Angriff auf Israel verschleppten Geiseln am Leben sind. Die Armee nannte auch neue Details zum derzeitigen Stand der Erkenntnisse: Unter den rund 200 Geiseln seien mehr als 20 Minderjährige sowie zwischen zehn und 20 Menschen, die älter als 60 Jahre sind.
Die Angreifer hätten auch Leichen in den Gazastreifen verschleppt. Zusätzlich gelten 100 bis 200 Menschen seit dem Angriff als vermisst, so die israelische Armee. Die meisten der Geiseln befinden sich in der Hand der Terrororganisation Hamas, einige in der Gewalt der Gruppe Islamischer Dschihad. Die Sorge um die Geiseln beeinflusst auch die geplante Bodenoffensive Israels im Gazastreifen.
Guterres macht in Rafah Druck zu Öffnung
UNO-Generalsekretär Antonio Guterres macht indes wegen der Hilfslieferungen in den Gazastreifen am Grenzübergang Rafah Druck. Die Lkws mit Hilfsgütern müssten so schnell wie möglich nach Gaza fahren, so Guterres auf der ägyptischen Seite des Grenzübergangs Rafah. Die Lkws seien „nicht nur Lastwagen, sondern ein Rettungsseil“, sagte der UNO-Chef. Sie seien der Unterschied zwischen Leben und Tod für viele Menschen in Gaza.
Er forderte, dass jeden Tag Lastwagen in den Gazastreifen fahren und dass die Überprüfung der Lkws auf praktische und schnelle Weise erfolgt. Israel befürchtet, dass die Lkws neben Hilfsgütern etwa auch Waffen für die Hamas transportieren könnten. Die Lieferung von Hilfsgütern dürfte laut UNO allerdings erst im Laufe der nächsten Tage anlaufen. Davon gehe UNO-Nothilfekoordinator Martin Griffiths aus, sagte ein Sprecher seines Büros am Freitag in Genf. Seine genaue Formulierung in der Früh lautete, die erste Lieferung sollte „im Laufe des nächsten Tages oder so“ beginnen.
Vorbereitungen auf ägyptischer Seite
In Ägypten begannen offenbar die Vorbereitungen auf die Öffnung. Wie die Nachrichtenagentur AFP aus Sicherheitskreisen erfuhr, werden Betonblöcke nahe der Grenze zu Gaza entfernt. Wie AFP von Augenzeugen an der Grenze erfuhr, waren Fahrzeuge und ägyptische Gerätschaften vor Ort, um die Straße auf der palästinensischen Seite der Grenze zu reparieren. Auch die Straße wird noch repariert. Es ist der einzige nicht von Israel kontrollierte Zugang zum Gazastreifen. Ägypten hatte zuvor einen „dauerhaften“ Zugang für Hilfslieferungen angekündigt.
Armeesprecher: Zivile Opfer sollen vermieden werden
Die Bodenoffensive wird bald erwartet: Israels Verteidigungsminister Joav Galant teilte den an der Grenze zum Gazastreifen zusammengezogenen Bodentruppen mit, dass sie den palästinensischen Küstenstreifen bald „von innen“ sehen würden. „Ihr seht Gaza jetzt aus der Ferne, bald werdet ihr es von innen sehen. Der Befehl wird kommen“, sagte er laut einer Erklärung seines Büros.
Experten warnen vor einem blutigen Häuserkampf, sollte Israel wie erwartet Bodentruppen in den dicht besiedelten Gazastreifen schicken. Laut Armeesprecher Arye Sharuz Shalicar sollen zivile Opfer bei der geplante Bodenoffensive möglichst vermieden werden.
Michel: Ägypten braucht Unterstützung
EU-Ratspräsident Charles Michel wird morgen nach Ägypten reisen und zur Unterstützung des Landes aufrufen, das möglicherweise nach einer Grenzöffnung für Hilfslieferungen von einer Flüchtlingswelle aus dem Gazastreifen betroffen sein wird. „Ägypten braucht Unterstützung, also lassen Sie uns Ägypten unterstützen“, sagte Michel gestern.
Er werde während seines Ägypten-Besuchs am Wochenende Präsident Abdel Fattah al-Sisi treffen und auf dessen Einladung an einer „Konferenz über die aktuellen Entwicklungen im Nahen Osten, Palästina und den Friedensprozess“ teilnehmen, sagte seine Sprecherin Ecaterina Casinge. Begleitet werde der Ratspräsident vom EU-Außenbeauftragten Josep Borrell.
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