Frankreichs Präsident Emmanuel Macron
Reuters/Fabrizio Bensch
Rede in Berlin

Macron sieht Welt am Scheideweg

Der französische Präsident Emmanuel Macron wird trotz aller innenpolitischen Schwierigkeiten in Frankreich nicht müde, für seinen Reformkurs für Europa zu werben. In seiner Rede vor dem deutschen Bundestag am Sonntag in Berlin forderte er „mehr europäische Souveränität“ und indirekt auch mehr Engagement von Deutschland.

„Es lebe die deutsch-französische Freundschaft. Es lebe Europa“, sagte Macron in seiner Rede, in der es eigentlich um das Erinnern an die Kriegstoten 100 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs ging. Doch in seiner Ansprache – die erste eines französischen Präsidenten seit 18 Jahren im Bundestag – sah er die Welt am Scheideweg und rief zu einer Kraftanstrengung auf, um insbesondere Europa in Zeiten eines neuen Nationalismus krisenfester zu machen.

„Heute müssen wir ein neues Kapitel aufschlagen. Das schulden wir Europa.“ Europa und darin vor allem das deutsch-französische Gespann hätten die „Pflicht und die Aufgabe, die Welt nicht ins Chaos abdriften zu lassen und sie auf einen friedlichen Kurs zu bringen“. Man dürfe nicht zum Spielzeug anderer einflussreicher Staaten werden: „Es gibt zu viele Mächte, die uns ausbremsen wollen.“

Applaus für Macrons Rede

Diese neuen Aufgaben beinhalten laut Macron mehr Europa und eine stärkere Abgabe von nationaler Souveränität. Der französische Präsident fordert etwa seit Längerem eine europäische Armee und den Euro als internationale Währung mit einem europäischen Haushalt sowie ein europäisches Flüchtlingsamt. Dieses neue Kapitel könne Angst machen, gab Macron zu. Jedes Land müsse Entscheidungsgewalt teilen, mit anderen Staaten gemeinsam über seine Außenpolitik, seine Zuwanderungs- und Entwicklungspolitik entscheiden.

Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel reicht Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die Hand
AP/Michael Sohn
Merkel und Macron hoben die Bedeutung der „deutsch-französischen Freundschaft“ hervor

Heute seien die Herausforderungen andere – Umwelt und Klimawandel, Migration, neuer Nationalismus und die Digitalisierung. Deutschland und Frankreich müssten ihre Tabus, ihre unterschiedlichen Sichtweisen auf Europa überwinden. Europa müsse mit den notwendigen Instrumenten gegen neue Krisen ausgestattet werden, so Macron. Seine Rede wurde mit großem Applaus quittiert.

Merkel will „wirklich liefern“

Man müsse nun „auch wirklich liefern“, sagte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im Anschluss an die „großartige“ Rede bei einem gemeinsamen Pressestatement an der Seite Macrons. Es gehe nun um die Detailarbeit und die Umsetzung unter anderem bei der Zukunft der Euro-Zone, beim Thema Digitalsteuer, bei der europäischen Verteidigung und der Migrationspolitik. „Du hast gesagt, wir stehen am Scheideweg“, sagte Merkel mit Blick auf Macron. „Dies ist auch genau das, was ich empfinde.“ Beide mahnten angesichts der Europawahl im Mai 2019 zu mehr Tempo in der EU.

Hürden für deutsch-französischen Motor

Allerdings stottert der deutsch-französische Motor bei der EU-Integration in einigen Punkten. Nicht nur die AfD erschwert große Reformen. Auch die Union bremst. Doch Merkel will beim EU-Gipfel Mitte Dezember Entscheidungen ermöglichen. Eine der wichtigsten Reformen dürfte der Umbau des Euro-Rettungsfonds ESM zu einem dauerhaften Europäischen Währungsfonds werden, damit man bei neuen Krisen nicht wieder akut Rettungsschirme spannen muss. Unklar ist, wie hoch das EU-Budget dotiert werden soll. Auch die Digitalsteuer, mit der Internetkonzerne wie Amazon, Google und Apple zur Kasse gebeten werden sollen, stößt in Deutschland auf mehr Skepsis als in Frankreich.

Doch sowohl Merkel als auch Macron hoben die „Bedeutung der deutsch-französischen Freundschaft“ hervor. Bis Jänner sollen nun die letzten Details eines Elysee-Vertrags geklärt werden – für eine noch engere deutsch-französische Zusammenarbeit. Macron: „Wir müssen bis Mai sehr viel tun, um ein geeinteres, souveräneres, effizienteres Europa zu erreichen.“