Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ), Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Bundespräsident Alexander Van der Bellen
APA/Roland Schlager
Ein Jahr ÖVP-FPÖ

„Klassische Koalition“ der Tauschgeschäfte

Zum dritten Mal nach 1945 ist am 18. Dezember 2017 eine Mitte-rechts-Koalition angelobt worden. Sie hat erste große Vorhaben umgesetzt oder auf den Weg gebracht. Vor allem in der Kommunikation setzte die ÖVP-FPÖ-Regierung neue Maßstäbe, sind sich die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle und der Politologe Peter Filzmaier einig. In einem Punkt ist sie aber wie alle anderen Koalitionen.

Grundlage dieser Regierung waren und sind Tauschgeschäfte. Solche seien „selbstverständlich“ schon die Basis für das Finden eines Regierungsprogramms gewesen, sagte Filzmaier gegenüber ORF.at. So verzichtete die FPÖ etwa auf ihren Widerstand gegen das Handelsabkommen CETA, während die Volkspartei auf den Proraucherkurs der Freiheitlichen umschwenkte. Realpolitisch seien solche Tauschgeschäfte eine Notwendigkeit, das Kabinett Kurz in dieser Hinsicht ganz „klassisch“, und das sei an sich auch nichts Negatives. Die SPÖ-ÖVP-Koalition sei letztlich daran gescheitert, dass sie nicht mehr zu solchem Abtausch fähig war.

Dass die Regierung andererseits Kompromisse im parlamentarischen Prozess mit der Opposition wiederholt mit dem Argument ablehnte, man mache keine Tauschgeschäfte, sei schlicht ein „Kommunikationsgag“, so Filzmaier. Es unterstütze raffiniert das mit aller Kraft vermittelte Bild, diese Regierung streite nicht. Zugleich werde damit allen, die Kritik an der Regierung üben, schlechter Stil unterstellt – auch wenn es dabei schlicht um den demokratischen Diskurs gehe.

Verhandlungsteams der ÖVP und FPÖ
APA/Hans Punz
Bereits bei den Koalitionsverhandlungen war die spätere Inszenierung sichtbar

Abtausch von Interessen

Und Filzmaier ergänzt: Die Opposition habe kaum eine andere Chance, etwas umzusetzen, als mit der Regierung Interessen abzutauschen. Denn eigene Gesetzesvorschläge würden mit Koalitionsmehrheit niedergestimmt werden. Das wirksamste Mittel im parlamentarischen Prozess sei daher ein Tauschgeschäft: also Zustimmung zu einem Gesetz, das eine Zweidrittelmehrheit erfordert, damit zu verknüpfen, dass bestimmte inhaltliche Bedingungen der Oppositionspartei dafür berücksichtigt werden. Das habe die FPÖ, als sie in der Opposition war, ähnlich gehandhabt.

„Harmonie wird goutiert“

Für Stainer-Hämmerle und Filzmaier am auffälligsten ist an dieser Regierung nach dem ersten Jahr deren öffentliche Kommunikation: Es sei gelungen, nach außen das Bild zu vermitteln, diese Regierung streite nicht. Von der Öffentlichkeit werde dieses „Bild der Harmonie sehr goutiert“, so Stainer-Hämmerle. Hinter den Kulissen gebe es aber selbstverständlich Konflikte. Am offensichtlichsten wurde das zuletzt durch die irrtümlich von Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) an nicht interne Adressaten verschickte SMS im Tauziehen um die Neuaufstellung und Postenbesetzung von Österreichischer Nationalbank und Finanzmarktaufsicht.

Die Kommunikationsarbeit sei „unbestritten professionell“, so Filzmaier: Es sei eine Zentralisierung gelungen – weder einzelne Ministerinnen oder Minister noch die Parteizentralen würden getrennt und mit Positionen, die konträr zur Regierungslinie sind, an die Öffentlichkeit gehen.

Frage der roten Linien

Dazu gehöre, dass alle Themen, die internen Konfliktstoff bieten, möglichst totgeschwiegen würden. Filzmaier kann bis zu einem gewissen Grad die Schweigetaktik von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) verstehen. Ohne Richtlinienkompetenz könne er im Alltag wenig bestimmen. Die entscheidende Frage sei immer: „Wo ist die rote Linie in Grundsatzfragen?“ Zur Causa Waldhäusl zu sagen, Politiker hätten im Einklang mit Gesetzen zu handeln, sei „doch sehr dürr“.

ÖVP-Verhandler Gernot Blümel
APA/Herbert Neubauer
Ein sichtlich müder Gernot Blümel, nunmehr Kanzleramtsminister, gibt im Verhandlungsfinale spät in der Nacht Fortschritte bekannt

Bevölkerung wird „beschäftigt“

Stainer-Hämmerle wiederum kritisiert, dass parlamentarische Verfahren teils „übergangen oder ausgehebelt“ wurden, etwa bei Begutachtungen. Ein Stil des „Drüberfahrens“ und „Schnellschnell“ werde Verfassungsgerichtshof und Europäischen Gerichtshof noch beschäftigen. Viele der umstrittenen Beschlüsse, etwa 140 km/h auf der Autobahn, Rauchen in der Gastronomie und die Kürzung der Familienbeihilfe für die Kinder der meisten EU-Ausländer, seien zudem vor allem „symbolisch“. Die Regierung verstehe es gut, die Bevölkerung mit solchen Themen zu „beschäftigen“. Neben Erfolgen sei Vieles auch im „Ankündigungsmodus“ stecken geblieben.

Thematische Neujustierung

Neben der guten Wirtschaftslage kam ÖVP und FPÖ laut der Politologin Stainer-Hämmerle in diesem ersten Jahr vor allem dreierlei zugute: In der Bevölkerung habe die Grundstimmung „alles, nur nicht wieder eine SPÖ-ÖVP-Koalition“ geherrscht. Das Migrationsthema sei dominant gewesen. Und der EU-Ratsvorsitz habe keine Zeit gelassen für größere interne Streitigkeiten.

Beide, Stainer-Hämmerle und Filzmaier, nehmen bereits eine inhaltliche Neuorientierung der Koalition wahr. Es gehe weg vom bisherigen Metathema Migration hin zu anderen Bereichen wie Steuern, Gesundheit, Pflege und Digitalisierung. Das sei einfach auch der Realität geschuldet, da es anders als 2015 kaum Zuwanderung gebe, so Filzmaier.

EU-Wahl als möglicher Störfaktor

Etwas ungemütlicher könnte es im Frühjahr im Maschinenraum der Koalition werden – und zwar dann, wenn bei der EU-Wahl Othmar Karas für die ÖVP antreten sollte, glaubt Stainer-Hämmerle. Karas ist in der Volkspartei mit deutlichem Abstand die kritischste Stimme gegenüber der FPÖ. Komme es zu einem Wahlkampfmatch gegen den EU-Abgeordneten und FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky, würde der Koalitionsfrieden nicht halten, so die Politologin.

Filzmaier hält die EU-Wahl dagegen für die Koalition für nicht relevant. Die Regierung blicke vielmehr bereits auf Wien, die Steiermark und das Burgenland, wo 2020 regulär Landtagswahlen anstehen. Die zuletzt verkündeten Vorhaben, allen voran die Steuerreform, seien deshalb auch so geplant, dass sie 2020 wirksam werden sollen.

Und die Opposition?

Nach einem Jahr zeigt sich auch: Die Opposition hatte es bisher schwer, gegen die Koalition zu punkten. NEOS habe mit Beate Meinl-Reisinger einen ebenbürtigen Ersatz für Mathias Strolz gefunden, so Stainer-Hämmerle. Als liberale Partei habe NEOS aber nur ein begrenztes Potenzial. Bei Jetzt (vormals Liste Pilz) seien Zweifel angebracht, ob das „noch einmal was wird“. Die Schwäche der Opposition sei aber vor allem der SPÖ geschuldet. Diese habe ein „verrücktes Jahr“ hinter sich.

Die Sozialdemokratie brauche eine schlüssigere Antwort auf das Thema Zuwanderung und eine auch innerparteilich tragfähige Einigung zur Frage, wie es die Partei mit einer Koalition mit der FPÖ hält. Vielleicht komme die SPÖ demnächst an den Punkt, an dem die ÖVP vor Kurz gewesen sei: zu erkennen, „dass, wenn sie sich nicht verändern und hinter ihre Spitzenkandidatin stellen, es zu Ende ist“.