Jörg Pohl hüpft als Liliom
Matthias Horn
„Liliom“

Die Ehre der Strizzis

Salzburg scheut heuer bei Oper wie Theater nicht das Populäre an der Rampe. „Orpheus in der Unterwelt“ gehört hier dazu, aber auch Franz Molnars „Liliom“, diese Art „Woyzeck“ mit dem Strizzi-Faktor. Während es beim „Orpheus“ krachte und nicht grell genug sein konnte, ertrank der „Liliom“ bei der Premiere am Samstag nicht nur im angerichteten Pritschel-Bad. Sehnsüchtig hätte man sich einen Liliom gewünscht, der tatsächlich mit dem Kopf gegen die Wand will. Es blieb ein Abend redlicher Bemühungen und geborgter Dramaturgie-Kniffe.

Molnars „Liliom“ ist ein so einfaches wie zugleich schwieriges Stück. Erst nach drei Anläufen und der Übertragung des Texts aus dem Ungarischen ins Wienerische mit der Hilfe von Alfred Polgar (der gar nicht Ungarisch konnte) wurde das Stück über den „Hutschenschleuderer“ Liliom, der sich so gern den Schädel anhaut und bei der Läuterung in alte Muster verfällt, ein Welterfolg.

Der „Liliom“, er steht und fällt mit dem Hauptdarsteller. Die Regie des ungarischen Performanceexperten Kornel Mundruczo setzte erneut auf die Polgar-Fassung, ließ aber bewusst den Faktor Wiener als einzig mögliche Liliom-Besetzung aus. Jörg Pohl, hierzulande auch als rauer Bursche in deutschen TV-Krimis bekannt, ist als Liliom alles andere als eine schlechte Wahl. Zu oft hat man den Liliom auch schon mit dem Wiener Rampensaufaktor heruntergeritten gesehen.

Ein „Liliom“ vom Ende her

Mundruczo beginnt seinen „Liliom“ vom Ende her. Das Gericht am Schluss ist sein Einstieg in das Stück. Und nebenbei der einzige Moment, wie der Regisseur zugibt, in dem ein Gegenwartsbezug hergestellt wird. Liliom, er steht hier einer besserwisserischen Gutmenschen-Gesellschaft gegenüber, die ihn als eine Art Stellvertreter zur Rechenschaft ziehen will. Er beharrt dagegen auf seiner Individualität. Sie ist das Einzige, was ihn ausmacht, denn: Er ist ja „der Liliom“. Wer sonst soll er denn sein?

Mondszene aus dem Liliom
Matthias Horn
Jörg Pohl als Liliom mit Maja Schöne als Julie auf der Bank. Während die Roboterarme den Mond in Stellung bringen. Es soll ja auch kein Abend der Romantik werden.

Liliom muss das Missverständnis rund um sein Ende gleich am Anfang überwinden. Eine riesige Containerwand steht zwischen ihm, der eigenen Geschichte von früher und der Erlösung. Der Himmel, er ist also genau so ungut zu ihm, wie schon das Schicksal auf der Erde. Beinahe träumerisch durchlebt er noch einmal seine Lebensgeschichte: seine Arbeit auf dem Rummelplatz, die Bekanntschaft mit Julie (Maja Schöne), die ökonomische Abhängigkeit von der Ringelspielbetreiberin (Oda Thormeyer), amouröse Verwicklungen – und den hilflosen Versuch eines Überfalles, um für das kommende Kind sorgen zu können. Selbst zieht er sich zur Rechenschaft. Und eigentlich müsste das doch genügen vor dem himmlischen Gericht. Doch nein, noch einmal soll er sich geläutert geben, und so kommt er am Schluss runter auf die Welt und lernt seine Tochter (Paula Karolina Stolze) kennen. Die hat schon eine ganz andere Geschichte im Kopf von dem, was ihr Vater einmal war und warum er nicht mehr da ist.

Molnars „Liliom“ auf der Pernerinsel

Am Samstag feierte auf der Pernerinsel in Hallein Molnars Stück „Liliom“ Premiere. Die Produktion wird vom ungarischen Provokateur, Filmemacher und Regisseur Kornel Mundruczo inszeniert.

Mundruczo baut hier ein kleines Entwicklungsmoment ein. Er setzt auf die Begegnung und lässt den Moment, in dem Liliom dem Kind brutal auf die Hand haut, damit es ihn versteht, aus. Dieser Augenblick führte bei der Premiere etwas abrupt zum Ende des Stücks; als Lesart ist es eine stimmige Variante – wenn es dramaturgisch funktioniert.

Hinweis:

„Liliom“ ist auf der Pernerinsel in Hallein noch am 19., 21., 23., 24., 26., 27. und 28. August zu sehen.

Ein schlafwandlerischer Liliom

Dieser Liliom zieht etwas schlafwandlerisch durch seine eigene Geschichte. Fast könnte man meinen, auch etwas angepisst, das alles noch einmal erleben zu müssen, was die Vorlage so von ihm verlangt. Auch wenn man auf den Polgar-Text setzt, gibt es ein Misstrauen zum Original: Beinahe alle Sprechszenen sind mit Musik unterlegt. Statt auf Tempo bei den Konfrontationen setzt diese Arbeit auf die bewusst markierte Aneinanderreihung thematischer Szenen, innerhalb derer theaterhandwerklich viel Bekanntes vorkommt.

Da begegnet man der Castorf’schen Live-Kino-im-Theater-Szenerie, dem Auf-die-Leinwand-Filmen aus dem Hinterzimmer; einmal mehr soll ja das ganze Stück wie ein Film gecuttet sein. Dann ist da der Pool, der leider meist dann im Bühnenboden eingelassen ist, wenn die Regie noch einiges an Effekten braucht; fast alle Charaktere müssen einmal ins Wasser, manche dürfen auch länger planschen, etwa Tilo Werner, der als Ficsur mit Liliom den Überfallsplan im Bade ausheckt. Das bringt Kurzweile, ist aber leider durchschaubar.

Jörg Pohl als abgekärcherter Liliom
Matthias Horn
Geborgte Effekte – Liliom und die Roboterarme des Schicksals

Und dann wären da noch die zwei im Bühnenhintergrund dienenden Roboterarme, die nicht nur das Dekor auf- und abräumen, sondern den Liliom auf der Drehbühne vor dem Weg Richtung Himmel abkärchern. Das ist leider so plump von Alexander McQueens legendärer 1999er-Modenschau geborgt, dass es schon ärgerlich ist.

Die Dichte, sie wäre an diesem Abend mit anderen, vielleicht sogar klassischen Mitteln zu erreichen gewesen. Das schauspielerische Ensemble war gut, aber leider wurde den Handelnden der Zahn gezogen. Was schade ist. „Liliom“ ist auch mehr als hundert Jahre nach seiner Entstehung eine rohe Brücke zwischen Volksstück, Feuilletonismus und Moderne.