Andre Jung, Marcel Kohler und Lea Ruckpaul in einer Szene von „Das Bergwerk zu Falun 2021“
SF/Ruth Walz
Das Bergwerk zu Falun

Die Tradition als Trümmerhaufen

Ein selten gespieltes Drama von Hugo von Hofmannsthal haben sich die Salzburger Festspiele für die diesjährige Saison vorgenommen. „Das Bergwerk zu Falun“ beschäftigte Hofmannsthal über Jahrzehnte und wurde erst postum uraufgeführt. Jossi Wielers äußerst reduzierte Inszenierung feierte am Samstagabend Premiere und versuchte aus Hofmannsthals Ringen mit der Tradition Funken zu schlagen.

Der Theaterabend begann mit einem Getöse: Ein aus dem Stuck der Bühnenrahmung des Salzburger Landestheaters herausbrechendes Stück Stein machte von Beginn an deutlich, dass Wieler sein „Bergwerk“ zu einem Drama des Verfalls machen wollte. Gleich darauf betrat Andre Jung als der alte Torbern die Bühne, ein untoter Mittler zwischen den Welten, den Einstürze und Verfall von da an leitmotivisch durch die eineinhalb Stunden der Aufführung begleiteten.

Das gelungene Sinnbild des Abends, Muriel Gerstners aus hohlen grauen Ziegeln bestehendes Bühnenbild, wurde da im Hintergrund schon zum Betätigungsfeld für das restliche Bühnenpersonal, das Ziegel aufhob und ordnete – eine über die Dauer des Stücks immer wieder zunichte gemachte Aufbauarbeit.

Einstürzende Altbauten

Hofmannsthals selten aufgeführtes Stück begleitete den Dichter ab seinem 25. Lebensjahr. Es war ein Sorgenkind, immer wieder ließ er es liegen, überarbeitete es, änderte die Proportionen. Vollständig erscheinen konnte es erst postum 1933, die Uraufführung fand erst 1949 statt.

Mit „Das Bergwerk zu Falun“ bezog sich Hofmannsthal auf E. T. A. Hoffmann, der die Geschichte um den Fischer Elis Fröbom, der nach langer Zeit auf See nach Hause zurückkehrt, nur um herauszufinden, dass seine Familie inzwischen verstorben ist, in eine Erzählung goss.

Andre Jung, Edmund Telgenkämper, Sylvana Krappatsch, Marcel Kohler, Lea Ruckpaul und Hildegard Schmahl in einer Szene von „Das Bergwerk zu Falun 2021“
SF/Ruth Walz
Aufräumarbeiten am Strand: Elis (Marcel Kohler) kehrt heim, die dunkle Bergkönigin wartet schon im Hintergrund

Das Ringen mit der Tradition, das bereits im Entstehungsprozess angelegt war, wurde zum eigentlichen Thema dieser Salzburger Inszenierung. Und so fand sich Marcel Kohler als zweifelnder und überspannter Elis in der grauen Trümmerlandschaft hin und her gerissen zwischen dem Begehren, als Lebender und Liebender unter Menschen zu bleiben oder sich in die Erde zu seinen verstorbenen Eltern zu wünschen.

Hell-dunkle Bergkönigin

Was Elis herabzieht, ist in dieser märchenhaften Geschichte die Bergkönigin, die Elis an Stelle des alten Torbern zu ihrem Diener machen will. Dafür verspricht sie ihm die Möglichkeit, aus der dahinrasenden Zeit der Menschen ausbrechen zu können – ewiges Leben ohne Leid.

Am Samstagabend erschien die Bergkönigin (überzeugend und unterkühlt: Sylvana Krappatsch) mal in schwarzer Kutte am Bühnenrand, mal im weißen Anzug, als Vexierbild, weniger als Motivation für Elis’ Zerrissenheit, sondern als deren Spiegel.

Energetisches Gegenüber

Elis folgt dem Ruf der Bergkönigin und wird als Vorbereitung auf seine Rolle in ihrem Reich von Torbern nach Falun geleitet. Dort jedoch verliebt er sich in Anna, die Tochter des Bergwerkbesitzers, ein Zauderer anderer Art, der in dem Tüchtigen einen idealen Schwiegersohn sieht.

Lea Ruckpaul, Hildegard Schmahl und Marcel Kohler in einer Szene von „Das Bergwerk zu Falun 2021“
SF/Ruth Walz
Maschinenhaftes Sprechen bei klischeehaften Rollenzuschreibungen: Lea Ruckpaul überzeugte als Anna

Lea Ruckpaul verkörperte die Anna als energetisches Gegenüber zum melancholischen Elis. Wie sie an Stellen, an denen Hoffmannsthals Text ihr eine überkommende Frauenrolle vorschrieb, die sich genauso selbstverständlich wie unhinterfragt für den seltsamen Fremden aufopfern soll, in mechanisches, puppenhaftes Sprechen verfiel, um so eine Rolle in der Rolle zu markieren, war genauso gelungen wie ihr Umschalten von Besorgnis um den suizidalen Geliebten zu schroffer Gleichgültigkeit gegen Ende hin.

Drehbühne als Geschichtstableau

Als eigentliches Vehikel für seine Deutung legte Wieler Annas Großmutter (Hildegard Schmahl) eine erweiterte Version von Johann Peter Hebels Kalendergeschichte „Unverhofftes Wiedersehen“ (1811) in den Mund. In dieser, der Keimzelle der Erzählung von E. T. A. Hoffmann, beschrieb Hebel den Fall eines Bergmanns, der am Hochzeitstag im Stollen von Falun verschüttet wurde und dessen Leichnam fünfzig Jahre später, auf seltsame Weise konserviert, gefunden wurde, woraufhin ihn seine gealterte Braut identifizierte.

Bei Hebel wird diese Begebenheit mit den historischen Umbrüchen des späten 18. Jahrhunderts parallelisiert, eine Technik, die Schmahls Figur bis in die Geschichte des 20. Jahrhunderts verlängerte und so inmitten einer sich drehenden Bühne, in der Aufgebautes stets zu Trümmern wurde, historisches Unterfutter für die visuelle Metapher von der Vergänglichkeit gab.

Eine schlüssige gegenwärtige Lesart der Hoffmannsthal-Rarität wollte sich aus der Summe der starken schauspielerischen Einzelleistungen und dem fantastischen Bühnenbild aber nicht ergeben. Der in der Inszenierung stark gekürzte und verdichtete Text hätte beispielsweise durchaus Angebote in Form von Wetterereignissen gemacht, die ins heute gehoben werden hätten können. Und Anlagen gehabt, mit denen man die Dynamik der Geschlechterbilder zwischen Romantik (Hoffmann), Fin de Siecle (Hoffmannsthal) und Gegenwart noch intensiver zum Thema machen hätte können.