Brasiliens Nationalmuseum in Vollbrand
Reuters/Ricardo Moraes
Rio de Janeiro

Nationalmuseum vor Brand bereits verfallen

Das brasilianische Nationalmuseum in Rio de Janeiro mit seinen rund 20 Millionen Objekten wurde ein Raub der Flammen. Noch ist die Ursache des Brandes unklar, doch Kritik an dem Zustand des Museums gab es bereits seit geraumer Zeit.

Medienberichten zufolge soll das Museum seit Längerem nicht für die Aufbewahrung der Ausstellungsstücke geeignet gewesen sein. Mehrere Ausstellungsräume seien in schlechtem Zustand und waren daher nicht für die Öffentlichkeit zugänglich.

In einem TV-Interview sprach Kulturminister Sergio Sa Leitao von „Jahren der Nachlässigkeit“ bei der Instandhaltung des Museums. Diese „Tragödie“ betrübe Brasilien. Im Mai dieses Jahres hatte ein lokaler Fernsehsender in einer Reportage gezeigt, dass das Museum in den vergangen drei Jahren nur 60 Prozent des ursprünglich von der Regierung zugesicherten Budgets bekommen habe.

Brasiliens Nationalmuseum in Vollbrand
Reuters/Ricardo Moraes
Das Nationalmuseum steht in Flammen

Historisches Gebäude niedergebrannt

Weite Teile des Nationalmuseums waren durch den Brand zerstört worden. Flammen griffen am Sonntagabend (Ortszeit) auf fast alle Teile des historischen Gebäudes über. Das Museum galt als eines der wichtigsten Ausstellungshäuser Südamerikas. Beim Ausbruch des Feuers um 19.30 Uhr war es bereits geschlossen, Verletzte gab es nach Angaben der Museumsverwaltung nicht.

Brasiliens Nationalmuseum in Vollbrand
AP/Leo Correa
Dutzende Feuerwehrleute bekämpften den weithin sichtbaren Brand über Stunden hinweg

Genauer Schaden muss noch ermittelt werden

Etwa 80 Feuerwehrleute kämpften Medien zufolge gegen die Flammen. „O Globo“ berichtete, dass die umliegenden Hydranten nicht genügend Wasserdruck aufwiesen, was die Löscharbeiten behindert habe. Der Brand in dem dreistöckigen Gebäude im Stadtteil Sao Cristovao wurde erst gegen 2.00 Uhr in der Früh unter Kontrolle gebracht, wie das brasilianische Portal „O Globo“ berichtete. Der genaue Schaden sei noch nicht ermittelt.

Allerdings hieß es in den örtlichen Medien, dass ein großer Teil der nach Museumsangaben mehr als 20 Millionen Exponate zerstört oder beschädigt sein könnte. Berichten zufolge hat die staatliche Entwicklungsbank BNDES bereits 22 Millionen Reais (4,7 Mio. Euro) zugesagt, um „das historische Gebäude physisch wiederherzustellen“.

Einmalige Ausstellungsstücke

Das Museum hatte eine geologische, botanische, paläontologische und archäologische Sammlung. Neben Exponaten aus der Region verfügte es auch über ägyptische Mumien, griechische Statuen und etruskische Artefakte. „Das ist eine Tragödie für die Kultur in Brasilien“, sagte auch der Direktor des Historischen Museums, Paulo Knauss, im Sender GloboNews.

Eines der bekanntesten Ausstellungsstücke ist ein Skelett, dass „Luzia“ getauft wurde. Das Fossil des ältesten in Amerika gefundenen Homo sapiens ist 12.500 bis 13.000 Jahre alt. Weitere Highlights waren das Skelett eines im Bundesstaat Minas Gerais entdeckten Dinosauriers und der größte in Brasilien gefundene Meteorit namens „Bendego“ mit einem Gewicht von 5,3 Tonnen. Das 1831 angelegte Herbarium beherbergte 550.000 Pflanzen. Die Bibliothek umfasste 537.000 Werke, von denen 1.560 hohen Seltensheitswert hatten.

„200 Jahre Arbeit sind verloren gegangen“

Die anderen Ausstellungsstücke decken einen Zeitraum von fast vier Jahrhunderten ab – von der Ankunft der portugiesischen Kolonisatoren auf dem Territorium des heutigen Brasilien im Jahr 1500 bis zur Ausrufung der Republik 1889. Das neoklassizistische Gebäude war von 1889 bis 1891 Sitz der verfassungsgebenden Versammlung, die Brasiliens erste Verfassung ausarbeitete.

„200 Jahre Arbeit, Forschung und Wissen sind verloren gegangen“, schrieb der brasilianische Präsident Michel Temer auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. „Es ist ein trauriger Tag für alle Brasilianer.“

Vizedirektor „enorm wütend“

Der Vizedirektor des Museums, Luiz Fernando Dias Duarte, fühlte sich nach eigenen Angaben „zutiefst entmutigt“, aber zugleich „enorm wütend“. Das gesamte historische Archiv sei zerstört. Den brasilianischen Behörden warf er vor, das Museum sträflich vernachlässigt zu haben. Eine Regierung nach der anderen habe sich geweigert, die für den Erhalt des Gebäudes dringend erforderlichen Mittel bereitzustellen.

Einer der bekanntesten Kolumnisten Brasiliens, Bernardo Mello Franco, verglich die Katastrophe mit einer „Art nationalen Selbstmords. Ein Verbrechen gegen unsere früheren und zukünftigen Generationen“, schrieb Franco in „O Globo“ (Onlineausgabe).

Ex-Ministerin: Tiefer Schnitt in die Erinnerung

Senator Lindbergh Faris von der Arbeiterpartei (PT) beklagte die im Zuge der Kürzungspolitik verfügte Streichung von Fördermitteln für das Museum. Die ehemalige Umweltministerin Marina Silva, die bei der Präsidentschaftswahl im Oktober antritt, nannte den Großbrand eine „Katastrophe“. Diese komme einem „tiefen Schnitt in die brasilianische Erinnerung“ gleich. Von der Museumskollektion, die zur „nationalen Identität“ beitrug, sei jetzt nur noch „Asche“ übrig.

Der seit Juli 2017 amtierende Kulturmininister Sa Leitao räumte später ein, dass die „Tragödie hätte vermieden werden können“. Die Probleme hätten sich im Lauf der Zeit angehäuft. Unter der Staatschefin Dilma Rousseff von der linken Arbeiterpartei sei das Museum 2015 „mangels Mitteln zu seinem Unterhalt“ zeitweise geschlossen gewesen. Unterdessen kündigte auch die UNESCO ihre Hilfe an. Die UNO-Kulturorganisation könne den Behörden ihre Expertise anbieten, insbesondere beim Schutz und bei der Bewahrung des kulturellen Erbes.

Bei vielen Brasilianern mischte sich in die Trauer über den Verlust zahlreicher unwiederbringlicher Kulturgüter Zorn über das schlechte Management. Lehrkräfte und Studierende der Bundesuniversität von Rio de Janeiro (UFRJ), die mit dem Museum verbunden ist, riefen für Montag zu einer Protestkundgebung vor dem zerstörten Gebäude auf.

Bis zu 10.000 Besucher monatlich

Mehrere Experten gingen aufgrund der dramatischen Fernsehbilder sogar davon aus, dass alle Ausstellungsstücke vernichtet sein könnten. Das Nationalmuseum ist das älteste Museum Brasiliens. Das Museum, 1818 vom portugiesischen König Joao VI. gegründet, feierte im Juni dieses Jahres sein 200-jähriges Bestehen. Monatlich kamen zuletzt zwischen 5.000 und 10.000 Besucher und Besucherinnen. Zuvor diente das repräsentative Gebäude seit 1802 als Wohnsitz der portugiesischen Königs- und später der brasilianischen Kaiserfamilie.