EU-Parlament
APA/AFP/Frederick Florin
EU-Kommissionschef

„Direktwahl“ mit Fragezeichen

Über Jahrzehnte haben die EU-Staats- und Regierungschefinnen und -chefs die Besetzung des Postens des Präsidenten der Europäischen Kommission in Hinterzimmerdeals ausgehandelt. Durch den Reformvertrag von Lissabon wurde dem EU-Parlament ein Mitspracherecht eingeräumt.

Die dortigen Parteien hatten deshalb bei der Europawahl 2014 erstmals „Spitzenkandidaten“ aufgestellt. Das führte zur Ernennung des konservativen Luxemburgers Jean-Claude Juncker zum Chef der EU-Kommission.

In Artikel 17 des EU-Vertrags heißt es: „Der Europäische Rat“ – also die EU-Staats- und Regierungschefs – „schlägt dem Europäischen Parlament einen Kandidaten für das Amt des Präsidenten der EU-Kommission vor; dabei berücksichtigt er das Ergebnis der Wahl zum Europäischen Parlament.“ Das Parlament muss den vorgeschlagenen Kandidaten dann „mit der Mehrheit seiner Mitglieder“ wählen.

Umstrittenes Verfahren

Die Änderung sollte den Europawahlkampf angesichts stetig sinkender Wahlbeteiligung lebhafter und interessanter machen. Unumstritten war das Verfahren aber schon 2014 nicht. Junckers Europäische Volkspartei (EVP) war damals stärkste Kraft geworden, Großbritanniens Premier David Cameron wollte den Luxemburger nach der Europawahl zunächst noch mit allen Mitteln verhindern.

Der Brite drohte dabei sogar mit dem EU-Austritt. Auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zögerte mehrere Tage, bevor sie Juncker unterstützte, und gilt bis heute nicht als begeisterte Unterstützerin des Spitzenkandidatenprozesses.

„Kein Automatismus“

Skeptisch ist auch Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron: Seine für die Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr gegründete Bewegung La Republique en Marche (REM) ist zu klein, um im Europaparlament alleine Gewicht zu haben. Und die Suche nach Verbündeten unter Europas Parteien hat bisher nicht zu Allianzen geführt. Macron muss deshalb fürchten, dass er in der Frage des künftigen Kommissionschefs nicht mitreden kann.

Die EU-Staats- und Regierungschefs stellten bei ihrem Gipfel im Februar bereits klar, dass es auch 2019 „keinen Automatismus“ in der Frage der Ernennung des Kommissionschefs geben werde. Sie pochten auf die EU-Verträge, wonach sie das alleinige Vorschlagsrecht haben. Ist ihr Kandidat aber kein „Spitzenkandidat“, müssen sie fürchten, dass er im Europaparlament keine Mehrheit bekommt.

Die notwendige mehrheitliche Zustimmung der EU-Abgeordneten bedeutet auch, dass nicht unbedingt der Spitzenkandidat der stärksten Parteienfamilie auf den Posten des Kommissionschefs gesetzt ist. Denn keine Fraktion wird nach den Wahlen über 50 Prozent der Abgeordneten stellen. Bündnisse gegen den Spitzenkandidaten des Wahlsiegers haben also durchaus Chancen, den Kommissionschef zu stellen.