Volksschüler beim Deutschunterricht
ORF.at/Carina Kainz
Schulstart

Feuerprobe für neue Deutschklassen

Viel wurde in den vergangenen Monaten über die Deutschförderklassen diskutiert, mit dem neuen Schuljahr wurden sie nun an den Schulen eingerichtet. Erst Mitte Mai hatte der Nationalrat sie beschlossen, seither waren viele Schulen damit beschäftigt, die umstrittene Maßnahme vorzubereiten.

Ganz so viel wie ursprünglich angekündigt hat sich an den Schulen dadurch allerdings nicht verändert. Denn Kinder, deren Deutschkenntnisse noch nicht ausreichen, um dem Unterricht zu folgen, können nach wie vor einer regulären Klasse angehören und – wie schon bisher – „nur“ für den Deutschförderunterricht aus dieser herausgenommen werden.

Ferienende auch im Westen

639.000 Schülerinnen und Schüler in Kärnten, Salzburg, Oberösterreich, der Steiermark, Tirol und Vorarlberg starteten am Montag ins neue Schuljahr. Für 475.000 war es in den anderen Bundesländern schon vergangene Woche so weit.

Das „nur“ hat es allerdings in sich: 15 von 20 Stunden etwa sind Volksschülerinnen und -schüler, die als außerordentlich eingestuft wurden, nicht in ihrer Stammklasse. Im bisherigen Deutschförderkurs waren es elf Stunden pro Woche. „Es ist schwierig“, sagt Schulleiterin Ilse Riesinger im Gespräch mit ORF.at: „Einerseits ist jede Stunde Deutschunterricht wichtig, andererseits sind nur fünf Stunden gemeinsam in der Klasse schon relativ wenig.“

Besuchen müssen die Deutschförderklasse nur Schülerinnen und Schüler der ersten Schulstufe und Kinder, die neu im österreichischen Schulsystem sind. Für alle anderen Kinder, die noch Unterstützung in der Unterrichtssprache brauchen, wurde die Deutschförderung von elf auf sechs Stunden pro Woche reduziert.

„Sanfter Einstieg“ in Wien

An Riesingers Volksschule in Wien-Brigittenau werden nach aktuellem Stand zwei Deutschförderklassen eingerichtet. Da es in Wien einen „sanften Einstieg“ in die neue Struktur gibt, wissen Kinder und Eltern erst Ende September, ob der Besuch einer Deutschförderklasse notwendig ist. Denn in den ersten drei Wochen des Schuljahres bleiben alle Kinder in ihrer Stammklasse. „Die Kinder haben so ein bisschen Zeit, sich zu orientieren“, so Riesinger. In diesen drei Wochen kommen die Sprachförderlehrerinnen immer wieder in die Klasse, um die Kinder zu screenen. „Dadurch lernen die Kinder sie schon kennen und können Vertrauen zu ihnen fassen.“

Viele Schulen betroffen

An 60 Prozent der Volksschulen und Neuen Mittelschulen (NMS) in ganz Österreich gibt es ab diesem Schuljahr Deutschförderklassen oder Deutschförderkurse, in Wien betrifft die Maßnahme 93 Prozent der Volksschulen und 80 Prozent der NMS.

„Chaotisch“ seien die ersten Tage des neuen Schuljahres dennoch gewesen. Über den Sommer hatte Riesinger nämlich damit gerechnet, nur eine Deutschförderklasse an ihrer Schule einzurichten. Zu Schulbeginn habe sich aber eine höhere Anzahl an Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger ergeben. Zu den etwa zehn Kindern aus der ersten Schulstufe kommen nun elf Quereinsteigende. 21 Schülerinnen und Schüler in einer Deutschförderklasse sei zu viel, so die Schulleiterin. Für eine zweite Klasse fehle aber der Raum.

Koordination der Quereinsteiger „schwierig“

Dass Quereinsteiger – Kinder, die nach der ersten Schulstufe neu ins österreichische Schulsystem einsteigen – auch die Deutschförderklasse besuchen müssen, wenn ihre Kenntnisse der Unterrichtssprache nicht ausreichen, stellt die Volksschule in Wien-Brigittenau vor ein weiteres Problem: Für die nicht sprachintensiven Fächer Sport, Musik und Werken kehren die Kinder aus den Deutschförderklassen in ihre Stammklasse zurück. Deshalb müssen viele Klassen aus allen Schulstufen diese Gegenstände zur gleichen Zeit haben. Bei zwei Turnsälen am Schulstandort, die mit einer NMS gemeinsam benutzt werden, „ist das vom Stundenplan her nicht machbar“.

Man habe mit den Deutschförderklassen also fast die gleiche Situation wie bisher, so Riesinger, mit dem Unterschied, dass die Kinder nun 15 statt elf Stunden aus ihren Klassen herausgenommen werden, „aber organisatorisch ist es schwieriger, weil das neue System starrer ist“. Drei Stunden reines Deutschlernen am Tag erfordere zudem sehr viel Konzentration. „Dazu kommt noch, dass viele Quereinsteiger traumatisiert sind. Diese Kinder verweigern auch das Sprechen in der Muttersprache.“

Lehrpläne noch nicht verpflichtend

Zumindest stellenweise positiv äußerte sich der Österreichische Verband für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (ÖDaF), der die Deutschförderklassen in den vergangenen Monaten mehrfach scharf kritisierte, in einem offenen Brief an ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann. Die neuen Lehrpläne würden einige Eckpunkte enthalten, die international etablierten Standards in der Sprachförderung entsprechen, etwa die Betonung der Wichtigkeit sprachsensiblen Unterrichts in allen Fächern und der Einbeziehung der Erstsprachen der Schülerinnen und Schüler.

Volksschülerin bei einer Deutsch-Übung
ORF.at/Carina Kainz
Höchstens vier Semester sollen Kinder in einer Deutschförderklasse bleiben

Die Lehrpläne wurden gerade noch rechtzeitig zum Schulstart vom Bildungsministerium veröffentlicht. Sie legen je nach Schultyp fest, welche Zielkompetenzen die Schülerinnen und Schüler in Bereichen wie mündlicher Kommunikation, Wortschatz, Sprachstrukturen, Aussprache und Selbstkompetenz erreichen müssen, um in eine reguläre Klasse zu wechseln. Verpflichtend sind sie aber erst ab dem Schuljahr 2019/20. Bis dahin kann der Unterricht auch wie bisher auf Basis der Lehrpläne für Deutsch als Zweitsprache erfolgen.

ÖDaF: Nach wie vor „tendenziell segregierend“

Trotz positiver Aspekte würden die Lehrpläne nichts daran ändern, dass die Deutschklassen in ihrer derzeitigen Form „weder aus sprachdidaktischer und pädagogischer noch aus schulorganisatorischer Sicht eine sinnvolle und zielführende Maßnahme zur Deutschförderung darstellen“, so der ÖDaF. Im Gegenteil: Sie wirkten „tendenziell segregierend“ und führten „nicht nachhaltig zu höherer Bildungsgerechtigkeit“.

Denn in der Praxis seien die Vorgaben aus den Lehrplänen unter den gegebenen Bedingungen „nicht umsetzbar“. Der ÖDaF verweist hier etwa auf die zu hohe Anzahl der Schülerinnen und Schüler in einer Deutschförderklasse. Bisherige Forschungsergebnisse und Erfahrungen mit ähnlichen Modellen würden zeigen, dass nicht mehr als zehn Schülerinnen und Schüler in einer Lerngruppe sein sollten, „um wirksam individuell fördern zu können“.

Darüber hinaus brauche es Unterstützung durch zusätzliche Lehrkräfte mit Kompetenzen und umfassender Aus- bzw. Fortbildung im Bereich Deutsch als Zweitsprache unter besonderer Berücksichtigung von Sprachförderung.

Unverständnis über Ideologievorwürfe

Unverständnis äußerte der ÖDaF darüber, dass Kritik von Experten und Expertinnen, „die auf der Basis internationaler wissenschaftlicher Ergebnisse zu Sprachförderung erfolgte“, vom Ministerium nicht berücksichtigt und als ideologisch motiviert abgewertet wurde. So sehe „kein ernst gemeinter Dialog zur Verbesserung der Deutschförderung an österreichischen Schulen aus, den wir angesichts der Ergebnisse bei internationalen Bildungsvergleichen und der eklatant hohen Bildungsungerechtigkeit dringend brauchen“.

Im Bildungsministerium sieht man die Debatte vom Tisch – auch weil wesentlich weniger Deutschförderklassen eingerichtet werden als ursprünglich angenommen. „Das war ein ideologischer Regenguss, kein Gewitter, und mit dem neuen Schuljahr gehen wir wieder zur Normalität über“, so Faßmann Ende August in einer Aussendung.

Nicht nur der ÖDaF, auch Schulleiterin Riesinger ist über Vorwürfe, Kritik an den Deutschförderklassen sei ideologisch motiviert, nicht erfreut: „Ob die Pläne von Rot, Schwarz, Grün oder Blau kommen, ist mir egal. So viel Verantwortungsgefühl kann man Lehrern zumuten, dass sie sich nicht ideologisch leiten lassen.“