Das abgesagte Treffen markiert den Höhepunkt der Spannungen zwischen den beiden Staaten, die bereits in den vergangenen Tagen deutlich zugenommen hatten. Hintergrund ist ein für das Wochenende geplanter Kosovo-Besuch Vucics. Dabei will er auch an den Gazivodasee fahren, den beide Seiten als strategisch wichtig erachten.
Der kosovarische Außenminister Behgjet Pacolli warnte Vucic vor Konsequenzen, sollte er an dem Plan festhalten. Der Präsident des kosovarischen Parlaments, Kadri Veseli, drohte Vucic offen mit Verhaftung. Der serbische Präsident hatte angekündigt, bei seinem Kosovo-Besuch am Sonntag seinen Vorschlag zur Kosovo-Frage zu präsentieren. Es dürfte sich womöglich um seine wichtigste Rede handeln, ließ er wissen. Ob die Reise noch zustande kommt, ist unklar.
„Lügen, Täuschungen, Drohungen“
Thaci und Vucic waren am Freitag in Brüssel einzeln zu Gesprächen mit der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini zusammengetroffen. Noch während der Sitzung teilte der Chef des serbischen Regierungsbüros für das Kosovo, Marko Djuric, mit, der serbische Präsident werde nicht mit seinem kosovarischen Amtskollegen sprechen.
Vucic habe die Entscheidung infolge „all der Täuschungen, Drohungen und Lügen durch die Kosovo-Albaner“ getroffen, sagte Djuric. Belgrad könne die Versuche, Vucic zu drohen und seinen Besuch im Kosovo zu verhindern, nicht akzeptieren. Inakzeptabel seien auch „Thacis Versuche, Presevo, Medvedja und Bujanovac als Teil des kosovarischen Territoriums darzustellen“, hieß es. Vucic kehrte noch am Freitag nach Serbien zurück.
Mogherini will neue Runde noch im September
Mogherini kündigte umgehend eine Fortsetzung des von der EU geführten Dialogs an. Sie werde die nächste hochrangige Sitzung in Brüssel noch vor der UNO-Generalversammlung im September einberufen, sagte die Italienerin am Freitagnachmittag.
„Ich habe mehrere Gesprächsrunden mit beiden im bilateralen Format zu allen auf dem Tisch liegenden Fragen durchgeführt. Schwierigkeiten bleiben bestehen“, sagte Mogherini. Sie vertraue jedoch voll und ganz auf die „Bereitschaft beider Präsidenten, den Prozess fortzusetzen und in den kommenden Monaten eine rechtlich bindende Vereinbarung zu einer umfassenden Normalisierung ihrer Beziehungen im Einklang mit internationalem Recht zu erzielen“.
Umstrittener Gebietstausch
Bei dem seit 2011 von der EU geleiteten Dialog zwischen Serbien und dem Kosovo war zuletzt immer wieder von einer endgültigen Vereinbarung in den kommenden Monaten die Rede. In diesem Zusammenhang wurden von den beiden Präsidenten Vucic und Thaci auch Überlegungen zu einem möglichen Gebietstauschs ins Spiel gebracht. Thaci nannte etwa die drei mehrheitlich albanischen südserbischen Gemeinden – Presevo, Bujanovac und Medvedja – für einen möglichen Gebietstausch. Auch Vucic hatte „Grenzkorrekturen“ in Erwägung gezogen.
EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn begrüßt die Überlegung eines Gebietstausches grundsätzlich. „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sollten wir aber beide Seiten über diese und andere Ideen reden und unter Begleitung der EU auch verhandeln lassen“, sagte Hahn der deutschen „Welt“ (Freitag-Ausgabe). Zustimmung kam auch aus den USA. Andere – allen voran Deutschland – und Fachleute warnten dagegen, dass eine derartige Lösung alte Konflikte und neue Begehrlichkeiten in anderen Staaten der fragilen Region – vor allem in Bosnien-Herzegowina und Mazedonien – wecken würde.
„Ethnisch homogene Räume“ als Relikt
Große Bedenken gegen eine Änderung der Grenzziehung zwischen Serbien und dem Kosovo und gegen einen Gebietstausch äußerte auch der frühere österreichische Spitzendiplomat Albert Rohan, ehemals Stellvertreter von UNO-Vermittler Martti Ahtisaari bei den Wiener Verhandlungen über eine dauerhafte Nachkriegslösung für das Kosovo. „Das habe ich immer schon für eine schlechte Lösung gehalten und halte es noch immer für eine schlechte Lösung“, sagte der 82-Jährige der APA.
„Ich glaube, dass ein Gebietsaustausch die Gefahr der Destabilisierung in sich trägt“, warnte Rohan. Außerdem basiere eine Grenzänderung auf dem Konzept, dass „Angehörige unterschiedlicher ethnischer Gruppen nicht in Frieden miteinander leben können und daher getrennt werden müssen, um ethnisch homogene Räume zu schaffen“. Das sollte im Europa des 21. Jahrhunderts keinen Platz haben.
Hürde für Serbiens EU-Beitritt
Serbien erkennt die 2008 ausgerufene Unabhängigkeit der früheren serbischen Provinz Kosovo bis heute nicht an. Die EU fordert von beiden Seiten eine Lösung ihres Konflikts als Bedingung für einen EU-Beitritt. Serbien verhandelt mit der EU seit 2014 über einen Beitritt zur Europäischen Union. Das Kosovo hat grundsätzlich eine europäische Perspektive, wird aber wegen des ungelösten Konflikts mit Serbien bisher von fünf EU-Staaten – Griechenland, Zypern, Spanien, Rumänien und Slowakei – nicht anerkannt.