Kunstwerk am Ars Electronica Festival
ORF.at/Christian Öser
Ars Electronica

So dumm ist künstliche Intelligenz

Das Ars Electronica Festival hat sich heuer den Bruchlinien zwischen Technologie und Gesellschaft gewidmet. Meredith Broussard ist Datenjournalistin und weiß, wie wenig Computer wissen. Sie findet, dass Technologie oft Männerfantasien entspringt und nicht der Gesellschaft dient. Künstliche Intelligenz? Eher nicht.

Es ist schön, dass sich gerade die Ars Electronica des Themas „Error – the Art of Imperfection“ annimmt. Früher war es ein Running Joke, dass beim Festival immer die Hälfte der präsentierten Installationen nicht funktioniert. Das ist besser geworden – ein bisschen. „Der liegt a scho wieder“, sagt ein junger Techniker seufzend über einen jener Roboter, die Besucher programmieren dürfen, wenn sie gerade funktionieren. Ein paar Meter weiter ist ein Mars-Rover-artiges Gefährt von einem Podest gestürzt, weil der WLAN-Router für die Fernbedienung nicht optimal positioniert war.

Kunstwerk am Ars Electronica Festival
ORF.at/Christian Öser
Ein Roboter, den sogar Kids mit ein wenig Hilfe programmieren können. K. o. war dieser hier nur kurz, er konnte wieder repariert werden; eine Kooperation der HTL Leonding und der IT-Kindervermittlung CoderDojo.

Faszination Roboter

Ums Eck sitzt ein blondes Mädchen im Vorschulalter, alleine, und weint. Nein, sie sucht nicht ihre Eltern, im Gegenteil, sie ist angefressen. Da drüben kann man über einen Touchscreen Dinos auf einer Leinwand hochschieben, aber es hat nicht funktioniert. Bei der Frage, was ihr hier am besten gefällt, huscht doch noch ein Lächeln über ihr Gesicht: „Die Roboter.“

Broussard ist ein bisschen älter, sie ist eine Mittvierzigerin. Sie programmiert, seit sie elf ist, und arbeitet als Datenjournalistin. Sie lässt nicht nur Programme Datensätze auslesen, um daraus Storys zu machen, sondern programmiert entsprechende Software selbst und unterrichtet das an der New York University, wenn sie nicht gerade für „The Atlantic“, die „Washington Post“ oder „Slate“ schreibt.

Datenjournalistin Meredith Broussard
ORF.at/Simon Hadler
Broussard glaubt zwar nicht an den Roboterbutler, hat aber viel Spaß mit ihren vier Armen, von denen sie zwei mit Sensoren bewegt, die an den Beinen befestigt sind. Roboterkunstwerk: „MetaLimbs“ von Tomoya Sasaki aus Japan und MHD Yamen Saraiji aus Syrien.

Technikfantasien und patscherte Autos

Unlängst hat sie ein in den USA gefeiertes Buch geschrieben, „Artificial (Un)Intelligence. How Computers Misunderstand the World“, und nun war sie bei der Ars Electronica eine der Vortragenden im Rahmen der Konferenz. Broussards These: Wir reden über Artificial Intelligence, über selbstfahrende Autos, über Drohnen, die die Pizza liefern, und über den Roboterbutler, der für uns arbeitet und mit uns plaudert – obwohl all das noch völlig unausgereift ist. Lieber sollten wir unsere Energie daran setzen, dass die aktuelle IT besser funktioniert und den Menschen wirklich dient, damit man sich nicht dauernd über halbgare Betriebssysteme und Web-Anwendungen ärgern müssen.

Am Beispiel der selbstfahrenden Autos erklärt sie, was sie meint. Bereits drei Menschen seien von solchen Vehikeln getötet worden, und das, obwohl seit Jahrzehnten intensiv geforscht und entwickelt wird. Das Problem: Computer können immer nur auf das vorbereitet sein, was ihnen davor von Menschen eingelernt wurde. Aber es gibt so viele mögliche Situationen, dass unmöglich alle im Vorhinein bedacht werden können. Seit den 1990er Jahren heiße es, dass selbstfahrende Autos kurz vor der Serienreife stehen. Sie hat einige ausprobiert – und versichert, dass alle noch recht patschert sind.

Kunstwerk am Ars Electronica Festival
ORF.at/Christian Öser
Das Problem bei Robotern, die wie Menschen aussehen sollen, ist oft der unnatürliche Blick. Dafür hat der Japaner Takayuki Todo eine simple Lösung gefunden: Die Augen müssen zur Mitte schauen, nicht jeweils geradeaus. Es wirkt.

Des Kaisers neue Kleider

Ähnlich ist das auch mit dem sprechenden Roboterbutler und seiner kleinen Schwester Siri. Von einem gehaltvollen Gespräch ist man so weit entfernt wie vom bemannten Flug zum Mars. Man kennt das von TV-Dokus über Roboter: Begeisterte Reporterinnen und Reporter sprechen mit Technikerinnen und Technikern, die mit vor Stolz berstender Brust ihre neuesten Modelle präsentieren, die mit ruckeligen Bewegungen (die so etwas wie Mimik darstellen sollen) und mit blutleerer Stimme Standardantworten geben. Man sitzt vor dem TV-Schirm und denkt sich: des Kaisers neue Kleider.

Auch hier dasselbe Problem, so Broussard: Die menschliche Kommunikation birgt einen so unglaublichen Variantenreichtum, dass Computer noch lange völlig damit überfordert sein werden. Man stelle sich künstliche Intelligenz immer vor wie einen mysteriösen „ghost in the machine“, der sich von selbst weiterentwickelt und plötzlich menschenähnlich vor uns steht. Doch das stimmt nicht. Seit dem Programm „Eliza“ im Jahr 1966 basiert das Prinzip nach simplen Wenn-dann-Beziehungen, die vorher von Menschen eingetippt werden. Wenn X dies und jenes sagt, dann antworte so und so. Computer entwickeln keine Persönlichkeit.

Kunstwerk am Ars Electronica Festival
ORF.at/Christian Öser
So kennt man Roboter als Kinderspielzeug schon seit den 1970er Jahren. Dieser hier ist Teil einer Installation des deutschen Künstlers Jonathan Meese.

Im Zeitalter des „Technochauvinismus“

Und warum glauben wir dann so naiv an die Verheißungen moderner Technologien? Weil dafür unfassbare Marketingbudgets eingesetzt würden, so Broussard, und zwar von einer kleinen Elite, die sich zum Großteil aus weißen Männern rekrutiert. Ihnen gehe es darum, Gelder zu lukrieren, und außerdem hätten sie sich einen kindlichen Glauben an die Technik erhalten. „Technochauvinismus“ nennt sie das. Broussard kehrt wieder zu den selbstfahrenden Autos zurück, genauer gesagt, zur Fantasie, wie sie es nennt, dass man kein eigenes Auto mehr hat, sondern mit Gemeinschaftstaxis ohne Fahrer unterwegs ist.

Sie als Frau würde nicht mit irgendjemand Fremdem im Auto sitzen wollen, ohne einen Fahrer oder einer Fahrerin mit Blick auf das, was auf der Rückbank vor sich geht. Frauen, sagt Broussard, würden nie auf so eine Idee kommen. Wegen solcher Beispiele sei es wichtig, dass viel mehr Programmiererinnen in den Entwicklerteams sitzen. Ihr Buch schließt sie mit dem Satz: „Es sind Menschen, denen all diese Technologie helfen soll, und nicht nur eine kleine Elite – wir sollten alle in ihre Entwicklung einbezogen werden und alle davon profitieren.“

Datenjournalistin Meredith Broussard
ORF.at/Simon Hadler

Meredith Broussard: Datenjournalistin, Programmiererin, Autorin

Statistik auf Steroiden

Dabei ist Broussard keineswegs eine Gegnerin von künstlicher Intelligenz (KI). Sie entscheidet zwischen genereller KI und spezifischer KI. Generelle KI, also menschenähnliche Roboter, seien reine Fantasie. Aber spezifische KI könne sehr nützlich sein, im Sinne etwa von Einzelanwendungen im Maschinenbau. Das sei eben nicht so spektakulär zu verkaufen. Spezifische KI gebe jede mögliche Antwort, die sich als Zahl darstellen lasse, und könne große Datenmengen bewältigen: „Spezifische KI ist wie Statistik auf Steroiden.“

Das trifft in gewisser Weise auch auf den Algorithmus von Google zu. Das Internet, sagt Broussard, sei immer nur so gut wie die Menschen, die etwas damit tun. Algorithmen wie jene von Google würden jedoch nicht das Gute zutage fördern, sondern nur das Populäre. Als Beispiele führt sie an: Rassismus und Ramen-Burger.

Zur Ehrenrettung der Ars Electronica sei gesagt, dass natürlich nicht nur kaputte Technik in der Post City herumlag. Eine Virtual-Reality-Installation von Jonathan Meese war herzerwärmend, die vielen jungen Künstlerinnen und Künstler, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler waren enthusiastisch und kommunikativ, das Panel bei der Konferenz wie immer hochkarätig besetzt. Ein Besuch zahlte sich aus.