Rechtsgesinnte Protestteilnehmer mit einem Plakat, auf dem das Wort „Terror“ zu lesen ist
AP/Jens Meyer
Studie

„Ängstliche Mitte“ zu wenig gehört

In Chemnitz in Deutschland haben rechtsextreme Gruppierungen Tausende Menschen zuletzt aus Wut auf Flüchtlinge auf die Straße getrieben. In Italien hantelt sich Innenminister Matteo Salvini mit seinem migrationsfeindlichen Kurs von einem Umfragehoch zum nächsten.

Italien und Deutschland sind nur zwei Beispiele für eine zunehmende Polarisierung und Spaltung in vielen Ländern. Die 2017 gegründete internationale Initiative More in Common führte bisher gemeinsam mit der Social Change Initiative in mehreren Ländern, darunter Deutschland und zuletzt Italien, Studien durch, wie die jeweilige Bevölkerung gegenüber nationaler Identität, Einwanderung und Flüchtlingen eingestellt ist.

Die Ergebnisse zeigen, warum Parteien am rechten Rand, die bis vor Kurzem noch nicht existierten oder nur eine bedeutungslose Rolle spielten, nun einen Aufstieg erleben. Zudem geben sie ein Abbild der unterschiedlichsten Facetten der öffentlichen Diskussion wieder.

Mehrheit hin- und hergerissen

Sowohl in Deutschland als auch in Italien zeigt sich in den Studien, dass die Menschen, die besonders stark gegen oder für Flüchtlinge sowie Migranten und Migrantinnen auftreten, lauter und aktiver sind. Die Mehrheit der Bevölkerung sei aber in der Mitte, die einmal in die eine, dann wieder in die andere Richtung tendiere, so Miriam Juan-Torres von More in Common gegenüber ORF.at.

Die „ängstliche Mitte“ werde aber zu wenig gehört, so die Analyse etwa aus der Studie über die Einstellungen in Deutschland. Diese Gruppe sei aber am ehesten bereit, ihre Meinungen zu ändern – etwa für oder gegen Flüchtlinge. Die klaren Contra-Einstellungen sind in der Minderheit. So machten etwa die radikalen Gegner und Gegnerinnen von Flüchtlingen rund 17 Prozent der deutschen Bevölkerung aus und stellen damit die Minderheit im Gegensatz zu 22 Prozent, die offen gegenüber Migration sind und 61 Prozent mit wechselnden Haltungen in der Mitte.

Die radikalen seien aber sehr präsent gewesen, etwa zuletzt bei den Ereignissen in Chemnitz, so Juan-Torres. Allein diese Größe der Antimigrationsproteste zeige, dass deren Erzählung (Narrativ) auch einige aus der mittleren Gruppe angezogen habe.

Frustration über fehlende EU-Hilfe

In Italien zeigt sich zudem etwa laut der im Sommer erschienen Studie, dass fast drei Viertel der Bevölkerung das Prinzip, Fremde willkommen zu heißen, als wichtig ansieht und damit im Gegensatz zu Salvinis Politik steht. Die meisten Italiener und Italienerinnen seien aber auch tief frustriert über die fehlende EU-Hilfe, Italien beim Umgang mit den Flüchtlingen zu helfen, analysierte Juan-Torres.

Einzigartig in Italien sei, dass selbst Gruppen, die sich offen gegenüber Flüchtlingen zeigen wie etwa katholisch geprägte Menschen, zugleich zu wichtigen Unterstützern von Salvinis rechtspopulistischer und migrationsfeindlicher Lega gehören. In Italien zeige sich zudem mehr als in anderen Ländern eine große Bedeutung eines starken Führers, der dem Status quo Paroli biete. „Der Aufstieg von Salvini in diesem Zusammenhang ist daher nicht überraschend“, erklärte Juan-Torres.