Lehrling in Werkstätte
ORF.at/Carina Kainz
Lehrlingsabschiebung

Wirtschaft und Teile der ÖVP enttäuscht

Ausnahmeregelungen für Asylwerber in der Lehre wird es künftig nicht mehr geben. Die Regierung teilte am Mittwoch mit, bei einem negativen Entscheid auch während der Ausbildung abzuschieben. Kritik daran kommt nicht zuletzt aus der Wirtschaft – diese wird mit einer Regionalisierung der Mangelberufsliste und einer Modernisierung der „Rot-Weiß-Rot-Karte“ besänftigt.

Am Mittwoch bereitete die Regierung dem „Hundstorfer-Erlass“ aus dem Jahr 2012 endgültig und offiziell ein Ende. Mit der Regelung ermöglichte der damalige Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) Asylwerbern, eine Lehre in Mangelberufen zu absolvieren.

Schon Ende August hatte die ÖVP-FPÖ-Koalition ein Ende des Erlasses, gleichzeitig aber eine Prüfung von Ausnahmen für jene angekündigt, die bereits in Ausbildung sind. „Jene Asylwerber, die jetzt schon eine Lehre machen, können diese fortsetzen, im Fall eines negativen Bescheids sind die rechtlichen Möglichkeiten zu prüfen, ob er die Lehre fertig machen kann, bevor er das Land verlässt“, hieß es damals.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ)
APA/Robert Jaeger
Bundeskanzler Kurz und Vizekanzler Strache bestätigten die Pläne vor dem Ministerrat

Präzedenzfälle sollen vermieden werden

Nun will die Regierung abgelehnten Asylwerbern das doch nicht ermöglichen, wie Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) am Mittwoch noch vor dem Ministerrat bestätigten.

Das Innenministerium habe Ausnahmeregelungen in einer internen Stellungnahme abgelehnt: „Jede Sonderlösung für Lehrlinge, die ein gesichertes Bleiberecht bis zum Ende des Lehrverhältnisses enthält, wäre ein Präzedenzfall, der weitere Forderungen für Ausnahmen nach sich ziehen würde“, hieß es darin.

Kurz bekräftigte diese Linie: Es wäre schwierig, eine Ausnahme für Lehrlinge zu schaffen, nicht aber für Schüler. Sowohl er als auch Strache spielten den Ball weiter an die Gerichte und meinten, diese könnten im Fall der Ablehnung von Asyl die Möglichkeit der Gewährung eines humanitären Bleiberechts prüfen.

Auf Trennung von Asyl und Arbeitsmarkt bedacht

Der Kanzler sagte, die Regierung habe eine „akkordierte Regelung“ gefunden, Asyl von der Zuwanderung in den Arbeitsmarkt zu trennen. Das betonten wiederholt auch Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) und Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) im Pressefoyer nach dem Ministerrat. Die Möglichkeit für jugendliche Asylwerber, noch vor Abschluss des Asylverfahrens eine Lehre zu beginnen, wird laut Kickl „mit dem heutigen Tag“ auslaufen.

Wirtschaftskammerpräsident Karl-Heinz Kopf
ORF.at/Roland Winkler
Wirtschaftskammer-Generalsekretär Kopf zeigte sich „überrascht und enttäuscht“

Bedauern in der Wirtschaftskammer

Enttäuscht zeigte sich dagegen der Generalsekretär der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), Karlheinz Kopf. „Wir sind überrascht von dieser Entscheidung und bedauern sie natürlich sehr“, sagte er im Ö1-Mittagsjournal – Audio dazu in oe1.ORF.at. Die Entscheidung scheine vonseiten des Innenministeriums aber unumkehrbar zu sein. Die Wirtschaftskammer werde sich nun darauf konzentrieren, sowohl betroffene Betriebe als auch die Lehrlinge bei der Beeinspruchung von negativen Bescheiden zu beraten.

Rudi Anschober, grüner Landesrat aus Oberösterreich, hatte sich mit seiner Initiative „Ausbildung statt Abschiebung“ für eine Regelung im Sinne der Flüchtlinge starkgemacht. Am Mittwoch sagte er, die „Flucht“ der Regierung aus der Verantwortung sei „feig und ein Wortbruch“. Eine „bösartige Ideologie“ gehe vor eine „Lösung der Vernunft“. Die Initiative werde genau kontrollieren, was mit den Betroffenen geschieht.

ÖVP-Landeschefs enttäuscht

Neben Kopf zeigten sich auch andere ÖVP-Vertreter enttäuscht. So etwa Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner, sein Salzburger Amtskollege Wilfried Haslauer sowie Oberösterreichs Thomas Stelzer. Sie hatten sich bisher zuversichtlich gezeigt, dass in der Sache noch nicht das letzte Wort gesprochen sei und weiter verhandelt werde. Bis dato sei „keine Lösung mit Hausverstand gefunden“ worden, so Stelzer.

„Das ist offenbar am Innenministerium gescheitert. Ich verstehe diesen Kurs nicht, denn alle Unternehmen, die ich besuche, suchen händeringend nach Mitarbeitern. In Oberösterreich geht es um rund 430 junge Menschen in Lehre, die davon betroffen sind“, sagte Oberösterreichs Landeshauptmann – mehr dazu in ooe.ORF.at.

„Pure Ideologie“

„Wirklich pure Ideologie“ sieht die neue Direktorin der evangelischen Diakonie, Maria Katharina Moser, hinter der Entscheidung des Innenministeriums, Asylwerber in einer Lehre abzuschieben. Die Maßnahme schade den betroffenen Betrieben sowie der Wirtschaft allgemein. Sie verwies auf Deutschland, wo mit der „3+2“-Regel – drei Jahre Ausbildung und zwei Jahre im Job – auch eine Lösung im Sinne der Betroffenen gefunden wurde.

Auch NEOS schlug vor, sich an das deutsche Modell zu halten. „Die Regierung schafft es weder schnellere Asylverfahren zu gewährleisten, noch eine akzeptable Nachfolgeregelung zur Beschäftigung von Asylwerbenden zu finden“, kritisierte Wirtschaftssprecher Sepp Schellhorn. Man verdamme Asylwerber „endgültig zum Nichtstun". „Leider keine Überraschung“, kommentierte die integrationspolitische Sprecherin der Liste Pilz, Alma Zadic, die Entscheidung.

Lehrling im Gastrobereich
ORF
Koch gilt nicht als Mangelberuf – trotz großen Bedarfs im Westen des Landes

Mangelberufsliste wird regionalisiert

Den Forderungen der Wirtschaft kommt die Regierung dagegen in anderen im Ministerrat besiegelten Beschlüssen nach. So soll die Mangelberufsliste regionalisiert und die Zuwanderung über die „Rot-Weiß-Rot-Karte“ erleichtert werden.

Die Mangelberufsliste legt fest, für welche Jobs Unternehmen Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Staaten nach Österreich holen dürfen. Derzeit ist das nur möglich, wenn im jeweiligen Bereich in ganz Österreich Fachkräftemangel herrscht. Die Wirtschaft fordert seit Längerem eine Regionalisierung, weil derzeit etwa ein Mangel an Köchen in Tirol nicht durch ausländische Arbeitskräfte ausgeglichen werden dürfe, wenn es in Wien zu viele arbeitslose Köche gebe.

Außerdem Teil der „Joboffensive“ der Regierung: Bis Jahresende soll die Zuwanderung über die „Rot-Weiß-Rot-Karte“ „entbürokratisiert“ werden. So soll etwa das Alter der Antragsteller weniger stark gewichtet werden, eine Unterkunft soll nicht schon bei der Antragstellung nachgewiesen werden müssen.

Industrie und Tourismus erfreut

„Mit der Reform der ‚Rot-Weiß-Rot-Karte‘ wird eine langjährige Empfehlung aus der Praxis umgesetzt“, freute sich Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung (IV). Und Petra Nocker-Schwarzenbacher, Obfrau der Bundessparte Tourismus und Freizeitwirtschaft, hielt fest: „Gerade durch die Regionalisierung der Mangelberufsliste wird den Bundesländern, in denen eklatanter Fachkräftemangel herrscht, geholfen.“

Weiters plant die Regierung einen eigenen Aufenthaltstitel für Lehrlinge – und zwar für jene ausländischen Schüler, die im Anschluss an die Pflichtschule eine Ausbildung anhängen wollen. Zudem kündigte Schramböck an, 10.000 Asylberechtige unter 25 Jahren in die Lehre bringen zu wollen. Schramböck kündigte an, dafür bis zu 20 Millionen Euro bereitstellen zu wollen. Alle drei Maßnahmen – Regionalisierung, Reform der „Rot-Weiß-Rot-Karte“ und Aufenthaltstitel für Lehrlinge – finden sich schon im Regierungsprogramm. Ein „Jobgipfel“ mit den Sozialpartnern soll kommende Woche stattfinden.