Sitzung im Europäischen Parlament in Straßburg
APA/AP/Jean-Francois Badias
EU-Parlament

Kritikpunkte an Ungarn

Die niederländische grüne Europaabgeordnete Judith Sargentini hat dem EU-Parlament einen Bericht über Ungarn vorgelegt. Die darin enthaltenen Kritikpunkte waren die Basis für die Abstimmung über das Rechtsstaatsverfahren im EU-Parlament.

Verfassungssystem: Der Bericht beklagt die „Undurchschaubarkeit“ der ungarischen Verfassungsgesetzgebung. Die derzeit geltende Verfassung („Grundgesetz Ungarns“) wurde im Jahr 2012 unter der Regierung von Premier Viktor Orban verabschiedet. Seitdem wurde der Text bereits sechsmal geändert. Sargentini kritisiert, dass es keine breiten gesellschaftlichen Konsultationen über den Verfassungstext gegeben habe und auch die Zivilgesellschaft nicht eingebunden gewesen sei. Sie verweist auch auf die Einschränkung der Kompetenzen des Verfassungsgerichtshofs und damit die „Schwächung der Gewaltenteilung“.

Unabhängigkeit der Justiz: Bald nach Erlangung ihrer ersten Zweidrittelmehrheit im Jahr 2010 hatte die FIDESZ-Regierung eine umfassende Justizreform eingeleitet, die bereits damals heftige Kritik nach sich zog. Der Bericht erwähnt, dass mehrere Kritikpunkte – etwa der übergroße Einfluss des vom Parlament gewählten Oberhaupts des Landesjustizrates (OBH) – bereits behandelt wurden. Nach einer Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) 2012 hatte das Parlament zudem das Pensionsantrittsalter für Richterinnen und Richter reformiert.

Medienfreiheit: Ebenfalls bereits in der ersten Legislaturperiode wurde die auch international sehr umstrittene Medienreform durchgeführt, die unter anderem eine mächtige Medienbehörde schuf und die öffentlich-rechtlichen Medien de facto unter Regierungskontrolle stellte. Der Bericht verweist etwa auf die starke Medienkonzentration in den Händen politiknaher Akteure, die problematische rechtliche Situation der Medien und den schwierigen Zugang der Bürger und Bürgerinnen zu unabhängiger Information, insbesondere im jüngsten Wahlkampf im heurigen Frühjahr.

Freiheit der Universitäten: Ein Gesetz aus dem Jahr 2017 hat insbesondere die vom US-Milliardär George Soros gegründete Central European University (CEU) ins Visier genommen. Die angesehene, in Ungarn und den USA akkreditierte Institution musste einen Campus in den Vereinigten Staaten nachweisen, um weiter tätig sein zu können. Auch derzeit ist die langfristige Lage der Universität nicht geklärt. Die CEU plant nun die Errichtung eines weiteren Campus in Wien-Penzing. Der liberale ungarischstämmige Philanthrop Soros gilt seit einigen Jahren als der erklärte Hauptfeind der Orban-Regierung. Sie wirft ihm etwa vor, Millionen Flüchtlinge in Europa ansiedeln zu wollen.

Situation für NGOs: In diesem Zusammenhang verweist der Bericht vor allem auf das Gesetz über die „aus dem Ausland finanzierten“ Nichtregierungsorganisationen, aber auch auf das „Stop-Soros-Paket“. Dieses nimmt insbesondere NGOs ins Visier, die sich der Unterstützung von Flüchtlingen widmen. Der Bericht sieht in derartigen Maßnahmen das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit bedroht.

Lage für Flüchtlinge: Der Bericht verweist auf wiederholte Kritik etwa des EU-Menschenrechtsrats bezüglich des Umgangs Ungarns mit Asylwerbern und -werberinnen. Nachdem in der Flüchtlingskrise im Sommer 2015 Zehntausende Menschen durch das Land in Richtung Österreich und Deutschland weitergezogen waren, errichtete die Regierung einen Grenzzaun an der serbischen und kroatischen Grenze.

Hier können in Transitzonen täglich einige wenige Personen einen Asylantrag stellen und dürfen den Ort während ihres Verfahrens nicht verlassen außer Richtung Serbien bzw. Kroatien. Sargentini zitiert auch Berichte über die Misshandlung von Asylsuchenden, die mangelnde Betreuung von unbegleiteten Minderjährigen und die automatische Abschiebung von irregulär ins ungarische Staatsgebiet gelangten Migranten und Migrantinnen nach Serbien.