Polizisten tragen einen Aktivisten
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Deutsche Waldbesetzer

Tunnel bremsen Räumung

Bei der Räumung des besetzten Waldgebiets unweit der deutschen Stadt Köln bereiten unterirdische Gänge den Einsatzkräften Probleme. Nun werde darin nach Besetzern – Kohlegegnern und Umweltaktivisten – gesucht, heißt es. Die Polizei war mit ihrer Einschätzung, sie wisse nicht, was sie im Hambacher Forst erwartet, offenbar richtig gelegen.

Laut Berichten vom Samstag suchten Feuer- und Grubenwehr in unterirdischen Gängen mit Kameras nach Menschen, bestätigte die Feuerwehr der Stadt Kerpen. Experten hätten die „Stollen“ geprüft und für einsturzgefährdet erklärt, hieß es. Solange nun unklar sei, ob es weitere Gänge gebe und sich darin bzw. in „Erdlöchern“ Aktivistinnen bzw. Aktivisten versteckten, könne auch kein schweres Räumgerät eingesetzt werden.

Räumungsbefehl für „Gallien“

Die Polizei setzte inzwischen allerdings die Räumung Dutzender von Braunkohlegegnern errichteter Baumhäuser fort. In eine weiteren „Siedlung“ in der Nähe namens „Gallien“ seien die Bewohner Samstagfrüh per Lautsprecher aufgefordert worden, ihre Behausungen binnen 30 Minuten zu verlassen. Mehrere Personen wurden bisher von der Polizei in Gewahrsam genommen bzw. angezeigt.

Die Einsatzkräfte beschuldigten Besetzerinnen und Besetzer, sie mit Steinen, Exkrementen und brennenden Holzstücken beworfen zu haben. Am Samstag gab es laut Polizei an die 30 vorübergehende Festnahmen, es seien außerdem über 50 Platzverweise erteilt worden. Einige Besetzerinnen bzw. Besetzer seien leicht verletzt worden, hieß es.

Bagger in Kohlekraftwerk gekapert

Mehrere Personen hatten zuvor am Samatag laut Angaben der Polizei drei Bagger im nahen Braunkohlekraftwerk Niederaußem gekapert. Grund der aktuellen Auseinandersetzung ist, dass der deutsche Energiekonzern RWE AG das Waldstück für den Abbau von Braunkohle an Herbst abzuholzen plant.

Polizisten stehen im Baumhaus eines Aktivisten
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Die Bewohnerinnen und Bewohner wollen ihre Baumhäuser nicht freiwillig räumen

Am Freitag hatte die Polizei begonnen, die Baumhaussiedlung „Oaktown“ im Hambacher Forst zu räumen. Sie gilt als Zentrum des Aufstands. Insgesamt wird die Zahl der Baumhäuser in dem Waldgebiet auf 50 bis 60 geschätzt. Ihre Räumung rechtfertigen die Behörden unter anderem mit fehlendem Brandschutz.

Lange Geschichte des Protests

Ebenfalls am Freitag hatte es eine Demonstration von etwa 200 Personen gegen die Abholzung des Waldgebiets gegeben, am Sonntag sollen Hunderte junge Bäume gepflanzt werden. Von dem Waldgebiet im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen, auch Bürgewald genannt, ist nicht mehr viel übrig. Der größte Teil wurde für den Tagbau Hambach gerodet. In dem Wald stehen bisher noch jahrhundertealte Buchen und Eichen. Einige Bäume sollen bereits bei der Räumung des Areals gefällt worden sein. Die Baumhäuser befinden sich in 20 bis 25 Metern Höhe, was ihre Entfernung erschwert.

Verschanzt in den Baumkronen

Die Aktivisten und Aktivistinnen haben sich teils in den Baumkronen verschanzt.

Erster Widerstand gegen die Abholzung des Waldgebiets regte sich bereits in den 1970er Jahren, später kam es mehrfach zu Protesten und Besetzungsaktionen. Die Polizei rechnet aktuell mit einem langen Einsatz. Anfangs hatte es geheißen, die Beamten wüssten nicht, was sie erwarte. Aus ganz Deutschland wurden Einsatzkräfte zur Verstärkung in den Hambacher Forst geholt. Die Aktivisten kündigten als Reaktion auf den Polizeieinsatz „zivilen Ungehorsam“ und eine „bundesweite Massenmobilisierung“ an. Ein Eilantrag gegen die Räumung der Baumhäuser war vom Verwaltungsgericht Köln abgelehnt worden.

Polizisten im Wald vor den besetzten Baumhäusern
APA/AFP/dpa/Christoph Reichwein
Die Waldbewohner wollen die Abholzung für den Braunkohleabbau verhindern

Aus für Kohlestromproduktion in 20 Jahren?

Der Streit um den Hambacher Forst beschäftigt auch die von der deutschen Regierung eingesetzte Kohlekommission. Laut einem Bericht des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ hat sie sich prinzipiell auf einen Kohleausstieg geeinigt. Die letzten Kohlekraftwerke sollen zwischen 2035 und 2038 geschlossen werden, heißt es. Eine entsprechende Kompromisslinie habe der Vorsitzende des Gremiums, der Chef der Deutschen Bahn AG und frühere hochrangige CDU-Politiker Ronald Pofalla, nach einer Reihe von Gesprächen mit den anderen Mitgliedern der Kommission erarbeitet und diese im Umweltministerium sowie im Kanzleramt in Berlin vorgestellt.

Aktivisten hängen in Hängematten bei der Kohleanlage in Niederaussem
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„Umweltschutz ist kein Verbrechen“: Protest in Hängematten hoch in der Luft am Kraftwerk Niederaußem

Laut dem „Spiegel“-Bericht ist geplant, in einem Sofortprogramm Kraftwerke mit einer Leistung von insgesamt fünf bis sieben Gigawatt bis zum Jahr 2020 vom Netz zu nehmen und gegebenenfalls als Reserve zu behalten. Spätestens im Jahr 2027 soll geprüft werden, ob der Ausstiegspfad eingehalten werden kann.

Schwierige Umstellung für ganze Regionen

Auch Maßnahmen zur Bewältigung des Strukturwandels in den betroffenen Braunkohleregionen sollen in einem Bundesgesetz festgeschrieben werden. Dazu zählten neben dem Ausbau von Breitbandnetzen und der Zugsstrecke von Görlitz in Sachsen nach Berlin auch die Ansiedlung von Bundesbehörden.

Die Kohlekommission, die eigentlich „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ heißt, hatte im Juni ihre Arbeit aufgenommen. Sie soll bis Ende des Jahres eine Strategie zum Ausstieg aus der Kohleverstromung ausarbeiten und Vorschläge für die Finanzierung und Gestaltung des Strukturwandels in Tagbauregionen wie der Lausitz und dem Rheinischen Revier vorlegen.