Der Künstler hinterließ mit 2.500 Bildern ein riesiges Oeuvre, in dem Wasser eine zentrale Rolle spielt. Heute kennt ihn jeder als den „Maler der Seerosen“: Monet schuf in seinem Spätwerk unzählige Bilder der Lotusblüten, die im Weiher seines Gartens in Giverny wuchsen. Über 500.000 Besucher und Besucherinnen strömen heutzutage zwischen März und Oktober durch die gepflegte Anlage, aber das war nicht immer so. Anfang der 1950er Jahre war der Eindruck desolat. Monets an Kunst desinteressierter Sohn Michel vernachlässigte sein Erbe sträflich.
Schätze vom Dachboden
Der Garten mit der japanischen Brücke – einst von sechs Gärtnern gepflegt – verwilderte, und die hinterlassenen Gemälde litten unter schlechter Lagerung. Eine gute Idee hatte der Künstlersohn allerdings: Michel vermachte seine Schätze vom Dachboden dem Pariser Musee Marmottan und sicherte so Monets Werk für die Öffentlichkeit. Ein Glück auch für die Albertina, die von dem Pariser Museum nun rund 40 Leihgaben für seine große Retrospektive erhielt.
In Österreich gibt es nur sieben Monets: Drei hängen als Dauerleihgaben des Finanztreuhänders Herbert Batliner in der Albertina, drei Gemälde besitzt das Belvedere, und ein Kinderporträt befindet sich in privater Hand. Aber warum überhaupt zum x-ten Mal Monet? So wirbt doch die Albertina ohnehin ganzjährig mit dessen Seerosen? Wer allerdings glaubt, die so häufig reproduzierten Gemälde schon zu kennen, den strafen die Originale von 35 Leihgeberinnen und Leihgebern Lügen.
Vor Armut kaum Holz zum Heizen
Um tiefer in Monets Werk einzutauchen, reicht schon das Studium seiner Wasseroberflächen. Die zwei Hafenbilder am Beginn der Schau laden zum Vergleich ein: Während das Meer beim „Handelshafen von Le Havre“ impressionistisch in Türkis-blau-weiß-Strichen erscheint, fährt der Pinsel bei den Schiffen im Bild daneben senkrecht in braunen und grauen Wellen herab.
„Es geht um das Wasser in all seinen Dimensionen“, sagt Albertina-Kurator Heinz Widauer. Das Element interessierte Monet zudem in unterschiedlichen Aggregatzuständen, hielt er doch Schnee und Eis ebenso häufig fest wie Dampf und Nebel. „Von den Impressionisten hat Monet die meisten Winterbilder gemalt“. so Widauer. Der Künstler, der vor Armut oft kaum Holz zum Heizen hatte, verstand sich auf die Darstellung von Schnee, der bei ihm aber selten pittoresk aussieht.
Leute als Kleckse
Wie zwei Augen leuchten die Scheinwerfer der „Lokomotive im Schnee“, die neben drei Wintermotiven hängt. Monet hat zwar Personen in seine Bilder integriert, aber er interessierte sich vor allem für Landschaften. Den Müßiggängerinnen und Müßiggängern, die er flanieren oder Boot fahren ließ, fehlt fast immer das Gesicht. Zu grafischen Kürzeln werden die Figuren in dem Hauptwerk „Boulevard de Capucines“, wo eine Menschenmenge zwischen Bäumen und Kutschen dahinströmt.
Monets Lieblingsmodell war seine früh verstorbene Frau Camille, die er in einem farbintensiven Gartenbild samt kleinem Kind festhielt. Mit den vielen Lichtakzenten nähert sich das Bild Monets Kollegen Auguste Renoir an, dessen Welt in der Regel rosiger als Monets Kosmos aussieht. Von Renoir stammt auch das Porträt seines Freunds am Beginn der Schau, das Monet mit 30 Jahren als Pfeifenraucher verewigt.
Smog über der Themse
Der frühe Monet fand seine Motive im modernen Paris und seinen Vorstädten. Vor dem deutsch-französischen Krieg flüchtete der Verehrer des Malers William Turner nach London, wo er die Massivität der Brücke Charing Cross mit Dampfschwaden und Smog festhielt. Setzte der Franzose als junger Künstler noch Technik und Bauten wie Bahnhöfe ins Bild, so wird in seinem pastosen Bildzyklus der Kathedrale von Rouen die Schwere der gotischen Architektur in Farbe verflüssigt.
Ausstellungshinweis
„Monet. Die Welt im Fluss“, bis 6. Jänner 2019; montags, dienstags, donnerstags, samstags und sonntags 9.00 bis 18.00 Uhr, mittwochs und freitags 10.00 bis 21.00 Uhr
Dabei verliert Monets Malerei die Tiefenperspektive und wird immer flächiger. „Ein Bild ist ein Bild und nicht das, was es darstellt“, beschreibt Albertina-Direktor Albrecht Schröder diese Entwicklung zur Flachheit. Als weiteres zentrales Moment nennt er die Bewegung: Zunächst veränderte Monet noch seinen Standpunkt, um etwa die normannische Felsküste einzufangen. Später malte er immer von derselben Position aus, etwa die berühmten Heuschober, zu verschiedenen Zeiten und Lichtbedingungen.
Der Eremit im Blumenmeer
Durch sein Haus in Giverny wurde der Künstler zum Gartenkünstler und schließlich immer mehr zum Eremiten. Geplagt vom Augenleiden des grauen Stars arbeitete er an seiner monumentalen Seerosenserie mit bis zu 17 Meter langen Leinwänden für die Pariser Orangerie. Die Albertina-Schau legt einen Schwerpunkt auf die letzten sechs Jahre, in denen Monet dank Augenoperationen eine enorme Menge an Gartenbildern schuf.
An prominenter Stelle hängt die schattige Allee mit den lila Schwertlilien aus dem Belvedere, die 1902 entstanden ist. Es ist ein „vollendetes“ Werk, was bei Monet nicht die Regel war. Immer wieder mussten ihn seine Galeristen dazu drängen, seine Leinwände doch fertig zu malen, sie also nach dem Geschmack der Zeit abzurunden. Im Finale der Schau offenbart sich der Ex-Impressionist als moderner denn je, gibt er doch dem reinen Farbgeschehen Vorrang vor der Abbildung.
Die Liebe zu Japan
Monets „unfertige“ Bilder wurden erst in den 1960er Jahren wiederentdeckt und hatten einen großen Einfluss auf den abstrakten Expressionismus in den USA. Die New Yorker Malerin Joan Mitchell zog sogar – wie ihre impressionistischen Landsmänner um 1900 – nach Giverny. Überall lösen sich hier die Formen auf, kaum dass sie entstanden sind. Ob Allee oder Brücke ist in dem dichten Bündel aus rot-gelb-grünen Strichen oft nicht mehr zu erkennen.
Jeden Tag musste einer von Monets Gärtnern mehrmals mit dem Netz die Teichoberfläche reinigen, denn der Meister wollte die Spiegelungen ungetrübt betrachten. Die meditative Einstellung zur Natur teilt er mit seinen japanischen Vorbildern, von denen er Farbholzschnitte sammelte. Als Ukiyo-E, übersetzt „Bilder der fließenden Welt“, werden diese Grafiken bezeichnet, von denen sich Monet auch in puncto Perspektive viel abschaute.
Ab 10. Oktober zeigt das Kunstforum die Ausstellung „Faszination Japan. Monet – Van Gogh – Klimt“, in der genauer auf den Japonismus in der europäischen Malerei eingegangen wird. In Monets Darstellung von Lotusblüten und der japanischen Brücke ist dieser Einfluss eindeutig, aber auch in seiner Herangehensweise an die Kunst. Die Albertina erweitert aktuell ihre Öffnungszeiten und sperrt bereits um 9.00 Uhr auf. Aber wie viel kontemplatives Einlassen auf die Wasserspiegelungen kann ein Blockbuster, zu dem 450.000 Besucherinnen und Besucher erwartet werden, schon bieten?