Bundeskanzler Sebastian Kurz, Präsident des Europäischen Rates Donald Tusk und der Präsident der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker
APA/AFP/Joe Klamar
Flüchtlingspolitik

EU-Gipfel verweist auf Pläne für Afrika

Der informelle EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Salzburg hat viele große Brocken zum Thema gehabt. Am Ende standen eher Migrationsthemen im Mittelpunkt als der zweite Großkomplex „Brexit“. Durchbrüche und entscheidende Fortschritte gab es in beiden Fällen nicht. Verwiesen wurde einmal mehr auf EU-Pläne für eine Zusammenarbeit mit afrikanischen Staaten.

Die Verteilung von Flüchtlingen innerhalb Europas sei auf dem Gipfel nur „ein Randthema gewesen“, so Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Es werde wie davor und jetzt auch nach der Ratspräsidentschaft „Dissens“ bei diesem Thema geben, prognostizierte der Ratsvorsitzende. Er verwies auf ein aus seiner Sicht wichtigeres Thema: So habe man sich darauf verständigt, eine vertiefte Zusammenarbeit mit Ägypten anzustreben.

Tusk will wieder mit Sisi sprechen

EU-Ratspräsident Donald Tusk fügte hinzu, diese Bemühungen seitens der EU hinsichtlich der Zusammenarbeit bei Wirtschaft und Migration verstärken zu wollen. Er werde schon in den nächsten Tagen erneut mit dem ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi sprechen. Auch die Idee eines Gipfels mit der Arabischen Liga im Februar in Ägypten habe bei den EU-Staaten Rückhalt gefunden, sagte Tusk.

Bundeskanzler Sebastian Kurz, Präsident des Europäischen Rates Donald Tusk und der Präsident der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker
APA/Barbara Gindl
Kurz, Tusk, Juncker unmittelbar nach der gemeinsamen Pressekonferenz

Kurz rief die EU-Staaten auf, die engere Zusammenarbeit mit Ägypten zu nutzen. Er machte deutlich, dass es dabei auch um die Möglichkeit gehe, Bootsflüchtlinge statt nach Europa nach Nordafrika zurückzubringen. Damit „lösen wir die Migrationsproblematik an der Außengrenze“, sagte Kurz. Auch mit anderen afrikanischen Ländern wolle man enger zusammenarbeiten, um die Migration über das Mittelmeer einzudämmen. „Ägypten und die nordafrikanischen Staaten können für uns ein wichtiger Partner sein“, sagte Kurz.

Pressekonferenz am Ende des Gipfels

Donald Tusk, Präsident des Europäischen Rates, Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Jean-Claude Juncker, Präsident der EU-Kommission, sprechen über die Ergebnisse des EU-Gipfels.

Stärkeres Frontex-Mandat noch heuer

Zwar sei von „Anlandeplattformen“ in afrikanischen Staaten wie Ägypten keine Rede mehr, aber es gehe letztlich darum, das Geschäftsmodell der Schlepperei zu bekämpfen, so Kurz. Tusk verwies auf einen geplanten Gipfel mit den afrikanischen Staaten. Sowohl Kurz als auch Tusk verwiesen darauf, bis Ende des Jahres eine Einigung zum Frontex-Ausbau erreichen zu wollen – dabei geht es um den Vorschlag von Juncker von vergangener Woche, die Grenzschutzagentur bis 2020 auf 10.000 Einsatzkräfte aufzustocken und ihr Mandat zu erweitern.

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sprach von einem „nützlichen und positiven Gipfel“. In Sachen Außengrenzschutz gebe es einen „Grundkonsens“, zeigte sich Juncker erfreut. Salzburg sei ein Garant für Gipfelerfolge, schließlich gebe es viele Gipfel rundherum, scherzte Juncker. „Alles war sehr gut, es wird aber noch besser werden“, schloss Juncker sein Statement ab.

Merkel: Abkommen mit Nordafrika wie mit Türkei

Nach den Worten der deutschen Kanzlerin Angela Merkel wird ein Flüchtlingsabkommen mit nordafrikanischen Staaten angestrebt – ähnlich wie mit der Türkei. Man sei sich innerhalb der EU-Mitglieder einig, den Dialog mit Ägypten, aber auch mit Tunesien, Marokko und Libyen zu intensivieren, sagte Merkel zum Abschluss des Gipfels. Letztlich seien Abkommen und Absprachen nötig, ähnlich wie mit Ankara, sagte sie.

Gruppenfoto der Teilnehmer und Teilnehmerinnen am EU-Gipfel in Salzburg
AP/Matthias Schrader
Familienfoto in Salzburg

Es sei auch deutlich geworden, dass man generell eine enge Partnerschaft mit den Staaten in Afrika wolle. Man müsse aber auch noch lernen, wie man Entwicklungszusammenarbeit und private Investitionen mit diesen Ländern besser hinbekomme. Auch eine Aufstockung von Frontex und eine mögliche Ausweitung des Mandats der Grenzschutzagentur sei positiv behandelt worden. Mit Fragen der Verteilung von Flüchtlingen in Europa habe man sich eher weniger befasst, da klar gewesen sei, dass es hier keine Resultate geben werde.

Sehr zurückhaltend äußerte sie sich zum Thema „flexible Solidarität“, wonach diejenigen Mitglieder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, stattdessen finanziell Leistungen erbringen sollen. Sie wolle sich „dazu nicht abschließend äußern“, sagte sie. Sie sei „mit dem Begriff auch nicht ganz zufrieden“. Bei den Ankunftszahlen sei man seit 2015 eine guten Schritt vorangekommen. Es gehe weiter um eine fairere Verteilung. Es könne nicht sein, dass jeder machen könne, was er gerne möchte, fügte sie hinzu.

Forderung aus Rom

Vor allem das Ankunftsland Italien hatte gefordert, ankommende Bootsflüchtlinge sofort in der EU zu verteilen. „Wenn sich nur einige Staaten beteiligen, können wir nicht von einem europäischen System sprechen“, sagte Regierungschef Giuseppe Conte am Donnerstag. Man arbeite an einem „Mechanismus, der wahrhaft europäisch ist“, so Conte. Derzeit passiert Verteilung nur von Fall zu Fall auf freiwilliger Basis, weil östliche EU-Länder die Aufnahme konsequent ablehnen.

Juncker hatte angedeutet, dass Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, künftig andere Beiträge leisten könnten, zum Beispiel finanzielle. Juncker stellte jedoch anschließend fest, es gebe „keine nennenswerten Fortschritte“.

„Wir reden über Menschen, nicht über Teppiche“

Luxemburgs Premierminister Xavier Bettel warnte davor, quasi einen Preis je Flüchtling festzulegen: „Wir sind nicht auf einem Markt. Wir reden über Menschen, nicht über Teppiche oder Waren.“ Der französische Präsident Emmanuel Macron berichtete immerhin, Juncker halte eine Einigung auf neue Asylregeln noch vor der Europawahl im Mai für möglich. Zumindest eine Spur einfacher scheint der Konsens beim „Schutz der EU-Außengrenzen“.

Teilnehmer des EU-Gipfels
ORF.at/Peter Prantner
Die Staats- und Regierungschefs rangen um Kompromisse

Er legte einen Vorschlag zu mehr nationaler Souveränität in Bezug auf Frontex vor. Ungarns Regierungschef Viktor Orban sprach sich konkret gegen jenen Passus des EU-Kommissionsvorschlags aus, wonach in Zukunft die Agentur im Notfall auch von sich aus tätig werden kann. Der Premier sagte laut der staatlichen ungarischen Nachrichtenagentur MTI, dass er der Ratspräsidentschaft einen Vorschlag unterbreitet habe, wonach „das Verteidigungsrecht bei den Mitgliedsstaaten verbleibt“.

EU erteilt Mays „Brexit“-Plan Absage

Unverändert festgefahren sind die Verhandlungen über den EU-Austritt Großbritanniens: Tusk erteilte dem Plan der britischen Regierung zur Ausgestaltung der künftigen Handelsbeziehungen mit der EU nach dem „Brexit“ eine Absage. Der Vorschlag von Premierministerin Theresa May „wird nicht funktionieren“, sagte Tusk. Die EU-Staats- und Regierungschefs seien der Ansicht, dass die britischen Vorschläge den gemeinsamen Binnenmarkt untergraben würden.

May hatte für die künftigen Wirtschaftsbeziehungen vorgeschlagen, dass beide Seiten ein Freihandelsabkommen schließen. Bei ihm soll es keine Zölle auf Waren geben – aus ihrer Sicht würde das auch das Problem mit der künftigen Grenze zwischen Irland und Nordirland regeln. Ausgenommen wären aber Dienstleistungen. Das lehnt die EU jedoch kategorisch ab, weil sie Wettbewerbsverzerrungen durch britische Anbieter fürchtet.

Vorschlag „in Kürze“ – kein zweites Referendum

May will „in Kürze“ einen neuen Vorschlag für die Lösung der Irland-Frage vorlegen – den Vorschlag der EU-Kommission, Nordirland solle im Notfall Teil der Zollunion bleiben, lehnte May erneut ab. Die Frage nach einer irischen Grenze gilt als schwierigstes Problem bei den Verhandlungen über den britischen EU-Austritt. Befürchtet wird, dass Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland den Konflikt in der ehemaligen Unruheregion wieder anfachen könnten.

Erneut betonte May, dass es kein zweites Referendum geben werde. Nach Angaben des maltesischen Regierungschefs Joseph Muscat seien beim Gipfel viele Staats- und Regierungschefs dafür eingetreten. May pochte zum Abschluss des Gipfels auf einen britischen EU-Austritt im kommenden Jahr: „Wir werden die EU verlassen.“