BVT-Verfahrensrichter Eduard Strauss beim Interview mit ORF.at
ORF.at/Roland Winkler
Eduard Strauss

„Will mich nicht auf Diskussionen einlassen“

Wer Strauss hört, hat für gewöhnlich Musik im Ohr. Doch wenn Eduard Strauss spricht, tönt juristische Erfahrung durch den Raum. Seit mehr als 30 Jahren ist er Richter, seit 2006 Senatspräsident am Wiener Oberlandesgericht, wo er derzeit dienstfreigestellt ist. Seinen Fokus legt der Urgroßneffe von Johann Strauß Sohn nämlich auf den BVT-U-Ausschuss.

ORF.at: Herr Strauss, seit Wochen wird die Hausdurchsuchung im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und vier Privatadressen untersucht. Als Verfahrensrichter: Sind Sie mit dem Ausschuss derzeit zufrieden?

Eduard Strauss: Wir sind auf einem guten Weg. Meine Aufgabe ist es, den Ausschuss am Laufen zu halten. Und ich habe den Eindruck, dass es mir bisher ganz gut gelungen ist. Die Abgeordneten versuchen, keine unzulässigen Fragen zu stellen, und sind in der Begegnung mit den Auskunftspersonen höflich. Nur sehr selten musste ich mich in die Befragungen einmischen. Das ist gut. Ich selbst will ja den Ausschuss nicht andauernd unterbrechen müssen. Das wäre kontraproduktiv.

ORF.at: Allerdings hat es schon ein paar Situationen gegeben, wo Sie sich zu Wort gemeldet haben.

Strauss: Grundsätzlich liegt ein Finger immer präventiv auf den Knopf, der das Mikrofon einschaltet. Besonders, wenn Suggestivfragen gestellt werden, ist das sehr heikel. Als jemand, der aus dem Gerichtsalltag kommt, verstehe ich, dass es manchmal sehr schwierig ist, etwas aus einem Zeugen herauszubekommen, ohne eine Suggestivfrage zu stellen.

Aber Fragen wie „War es nicht so, dass …?“ sind nicht zulässig. „Wie war es denn?“ muss es richtigerweise lauten. Und wenn ich darauf eine Antwort bekomme, die ich gerne hören möchte, dann darf ich mit mir zufrieden sein.

ORF.at: Als Peter Pilz Ihrer Meinung nach eine unzulässige Frage gestellt hat, haben Sie ihm gesagt, dass er in Ihrem Privatissimum lernen könne, wie man richtig fragt und trotzdem eine Antwort bekommt.

Strauss: Ich bin kein Lehrmeister, aber ich habe aufzupassen, dass der U-Ausschuss anständig läuft. Wenn notwendig, dann sage ich den Abgeordneten, wenn etwas nicht passt. Aber der Herr Abgeordnete Pilz, der ein Ausschussprofi ist, braucht freilich kein Privatissimum von mir. Der weiß ganz genau, worauf es ankommt.

BVT-Verfahrensrichter Eduard Strauss beim Interview mit ORF.at
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Eduard Strauss in seinem Büro, wo er sich auf die Befragungen des BVT-U-Ausschusses vorbereitet

ORF.at: Und worauf kommt es nun an?

Strauss: Schauen S’, ich blicke auf ein jahrzehntelanges richterliches Berufsleben zurück. Ich habe viele Einvernahmen gemacht und mir viele Fragen von Anwälten anhören müssen. So ähnlich ist es auch im U-Ausschuss. „Ist es so, dass …?“ ist unzulässig, weil ich der Auskunftsperson die Antwort unterstelle.

Oder „Wie bewerten Sie das?“. Was soll er oder sie denn sagen? Die Auskunftsperson soll über Tatsachen aussagen, nicht werten oder mutmaßen. Oder wenn ich schon „Erklären Sie mir …“ höre. Warum soll der Zeuge etwas erklären? Es ist nicht seine Aufgabe, etwas zu erklären.

ORF.at: Wenn es zum Beispiel um die Gebäudesicherheit des BVT geht?

Strauss: Die Gebäudesicherheit ist ohnehin von den medienöffentlichen Befragungen ausgenommen. Gewisse Unterlagen wurden mit einer Geheimhaltungsstufe und mit Bedingungen vorgelegt, unter Einhaltung derer die Urkunde in medienöffentlichen Sitzungen verwendet werden darf.

Beispielsweise dürfen interne Abläufe des BVT nicht thematisiert werden. Wurde eine Frage zur damaligen Situation während der Hausdurchsuchung Ende Februar gestellt, kann ich sie zulassen. Aber eine Frage über die heutige Situation ist unzulässig.

ORF.at: Als Verfahrensrichter achten Sie also sehr auf die Fragestellungen der einzelnen Fraktionen. Erkennen Sie ein Muster?

Strauss: Darauf möchte ich keine Antwort geben. Im Großen und Ganzen möchte ich aber sagen, dass sich alle bemühen, gute Fragen zu stellen. Ich muss zwar immer aufpassen wie ein Haftelmacher. Aber das ist machbar, weil die Abgeordneten auch korrekte Fragen stellen. Natürlich erkennt man, worauf eine Fraktion hinauswill, und eine andere vielleicht nicht. Aber alle sind um einen sachlichen Ton bemüht.

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Gelegentlich sorgt Strauss im Ausschuss auch für Heiterkeit, beispielsweise wenn er Fragestellungen zurechtstutzt

ORF.at: Würden Sie sich auf eine Diskussion mit den Abgeordneten einlassen?

Strauss: Nein, möglichst nicht. Ich will mich nicht auf Diskussionen einlassen, ich muss mich manchmal auf Diskussionen einlassen. Aber ich will es nicht. Ich möchte, dass der Ausschuss ruhig abläuft. Je weniger ich mich einmischen muss, umso angenehmer. Außerdem gibt es für Abgeordnete die Möglichkeit, die Sitzung durch die Vorsitzende unterbrechen zu lassen und bei ausgeschalteten Mikrofonen in einer „Stehung“ die umstrittene Sache, meist die Geschäftsordnung betreffend, zu klären.

ORF.at: Die Affäre rund um das BVT ist schon ziemlich verworren. Sie beschäftigen sich täglich damit. Würden Sie sagen, Sie kennen sich aus?

Strauss: Ich bin weit davon entfernt zu sagen, dass ich mich perfekt auskenne. Ich wachse genauso hinein wie alle anderen im U-Ausschuss auch. Ich habe ein fantastisches Team aus drei jungen Juristinnen und Juristen. Sie durchforsten alle Unterlagen und bereiten uns, mir und meinem Stellvertreter, Dossiers mit möglichen Fragestellungen vor. Ich habe am Anfang ja 15 Minuten Zeit, Fragen zu stellen, und die nütze ich. Und nach den ersten Wochen kann ich sagen, dass langsam ein Bild entsteht.

ORF.at: Und wie sieht dieses nun aus?

Strauss: So genau kann ich es Ihnen nicht sagen. Aber man hat schon das Gefühl, dass sich langsam ein Puzzle zusammenfügt. Am Ende des U-Ausschusses wird es einen Abschlussbericht geben. Wie genau wir diesen Bericht abfassen werden, müssen wir noch klären.

Mein Vorschlag wird ein Lebenssachverhalt sein, also eine Art Geschichte, wo die einzelnen Aussagen der Auskunftspersonen ineinander verwoben werden. Aber ich glaube, wir werden die erste Tranche, das Thema drei – Hausdurchsuchung –, abwarten und uns am Ende dieser Tranche Gedanken machen, in welche Form wir das gießen.

ORF.at: Haben Sie nicht die Befürchtung, dass das BVT-Bild am Ende keine klaren Konturen haben wird?

Strauss: Das Bild ist natürlich geprägt durch unterschiedliche Sichtweisen. Auf der einen Seite die betroffenen BVT-Mitarbeiter, auf der anderen Seite die operativ agierenden Beamten der EGS (Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität, Anm.) und die ermittelnde Staatsanwaltschaft. Wir hoffen freilich nicht, dass die Causa schlussendlich ausgefranst stehen bleibt. Das Bild muss in sich kongruent sein.

BVT-Verfahrensrichter Eduard Strauss beim Interview mit ORF.at
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Seite für Seite geht Strauss nach eigenen Angaben die Dossiers durch, die ihm seine Mitarbeiter zusammenstellen

ORF.at: Sie sind zum ersten Mal Verfahrensrichter in einem U-Ausschuss. Wie sind Sie dazu gekommen?

Strauss: Man muss wissen, dass das Amt des Verfahrensrichters an sich ein Amt für Pensionisten ist. Im Gesetz (Verfahrensordnung für parlamentarische Untersuchungsausschüsse, Anm.) steht, dass man sich als Richter entweder im dauernden Ruhestand befinden oder für die Dauer des U-Ausschusses dienstfrei gestellt sein muss. Ich habe mich auf eine Liste für das Amt setzen lassen, wobei klar war, dass einer Dienstfreistellung nichts im Wege steht. Wenn das nicht klar gewesen wäre, hätte ich mich gar nicht eintragen lassen. Ich trete meine Pension erst in zwei Jahren an.

Na gut, ich stand also auf der Liste. Ein paar Wochen später wurde ich angerufen und gefragt, ob ich das ernst meine. Immerhin sei ich ja noch aktiv. Aber natürlich meinte ich das ernst. Wenn ich mich schon auf diese Liste setzen lasse, dann mache ich das ja auch. Und wenn das Parlament auf mich zukommt und fragt, ob ich schon bereit für das Amt wäre, dann ist das eine Ehrensache. Ich bin nun dienstfrei gestellt, beziehe mein Gehalt als Richter weiter und darf die Funktionsgebühren zusätzlich auch noch haben. Aber im Grunde ist es laut Gesetz eine Aufgabe für erfahrene Pensionisten. Da kannst du dir in der Pension ein bisschen was dazuverdienen.

ORF.at: Verstehe ich Sie richtig: Das Parlament hat mit einem Jungspund gar nicht gerechnet?

Strauss: Das Parlament hat mich sehenden Auges als „Jungspund“ ausgewählt. Wenn du dann Nein sagst, ist das unglaubwürdig. Jetzt bin ich da, für maximal 20 Monate, länger ist ein U-Ausschuss gesetzlich nicht vorgesehen. Der Ausschuss hat sich am 20. April 2018 konstituiert, enden wird er, wenn wir von 20 Monaten ausgehen, spätestens am 20. Dezember 2019. Bis 1. Mai 2020 bin ich dann noch vier Monate Richter. Aber bis ich in die Pension diffundiere, werde ich noch fest arbeiten, ein paar Akten erledigen, damit sich alle auskennen. Der Senat muss wissen, dass der Vorsitzende noch da ist.

ORF.at: Wenn Sie in der Pension sind, dann waren Sie der erste Strauss, der seinen Lebensunterhalt nicht mit der Musik verdient hat.

Strauss: So ganz stimmt das nicht. Es gab bis zur Generation meines Vaters (Eduard Strauss II., 1910 bis 1969) in jeder Generation ab Johann Strauss Vater (1804 bis 1849) einen Berufsmusiker. In meiner Generation gibt es diesen eben nicht mehr. Ich habe mich für das Jusstudium entschieden. Der Bruder meines Vaters hat mir dazu geraten. „Wenn du nicht Musiker werden willst, dann lern was G’scheites.“ Dann habe ich halt Jus studiert und die Gerichtspraxis gemacht.

Der Richterberuf hat mich am meisten fasziniert, weil er eben nicht eine Sicht vertreten, sondern alle Interessen einfließen lassen muss. Wenn sich also Parteien nicht auf eine Lösung einigen können oder wollen, dann haben sie sich dem Richter ausgeliefert. Und dann dürfen sie sich nicht wundern, wenn etwas rauskommt, was ihnen nicht gefällt.

BVT-Verfahrensrichter Eduard Strauss beim Interview mit ORF.at
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Ein Strauss zu sein, sei auch eine große Bürde, sagt der langjährige Richter im Gespräch mit ORF.at

ORF.at: Fühlten Sie sich nicht verpflichtet, in die Fußstapfen Ihres Vaters, der letzte Berufsmusiker Ihrer Familie, zu treten?

Strauss: Man fühlt sich verpflichtet, etwas für die Musik und für die Familie zu tun. Und das tu ich als Obmann des Wiener Instituts für Strauss-Forschung. Aber wissen Sie, Musik machen und aus meiner Familie zu kommen, bedeutet, enorme Konkurrenz zu haben. Toppen Sie einmal als Komponist den Donauwalzer und die Fledermaus. Das ist für mich nicht machbar. Das ist eine geniale Musik.

Mein Vater hat mir, als ich zehn Jahre alt war, gesagt: „Wann du Musik machen willst, dann ganz oder goar ned.“ Und damals hat der zehnjährige Edi Strauss gesagt: „Donn goar ned.“ Es ist sehr mühsam. Du musst üben, üben und üben, und musst immer top sein. Mein Vater hat sehr unter dem Namen gelitten. „Nua wö er a Strauss ist, deswegen ist er nu long ka …“, das sind diese wunderbaren Konkurrenzfloskeln, die es gibt. Und ich habe mir gedacht: „Das tu ich mir nicht an.“

ORF.at: Könnte man behaupten, Sie haben sich für einen einfacheren Weg entschieden?

Strauss: Nein. In unserer Familie war es immer so, dass die, die Musik machen wollten, Musik machen mussten. Angefangen von Strauss Vater über meine Urgroßonkel Johann Strauss Sohn (1825 bis 1899) und Josef (1827 bis 1870) sowie meinen Uropa Eduard (1835 bis 1916) und meinen Vater hatten sie den inneren Drang, Musik zu machen, den ich nicht verspürt habe. Aber Musik ist ein wesentlicher Bestandteil meines Lebens, ich könnte ohne nicht leben. Ich singe in der Chorvereinigung Schola Cantorum, wo ich auch Obmann bin. Allerdings muss ich davon nicht leben, und das ist großartig.

Sie werden mich übrigens nie nur Johann Strauss sagen hören. Ich sage immer Johann Strauss Vater, Johann Strauss Sohn und Johann Strauss Enkel. Wir haben drei Johann Sträusse in der Familie. Und es tut mir immer weh, wenn im Radio gesagt wird, der Kaiserwalzer von Johann Strauss. Ja, welcher? Strauss Vater ist leider nur für den Radetzky-Marsch bekannt, obwohl er der erste Walzerkönig war und etwa 147 Walzer komponiert hat. Deshalb sage ich immer Vater dazu, um ihm Ehre zu erweisen. Der berühmte Sohn hatte nämlich einen Vater, nicht nur biologisch, sondern auch musikalisch.

ORF.at: Wie haben Sie Ihren Söhnen das Leben eines Strauss vorgelebt?

Strauss: Ich habe Ihnen gesagt, wenn sie unbedingt Musik machen wollen, dann wird das schon kommen. Mein älterer Sohn, der leider 2012 verstorben ist, war am besten Weg, ein talentierter Architekt zu werden. Mein Jüngerer sitzt gerade akribisch hinter seiner Diplomarbeit über die Frage, wie man Wissen an Schüler weitergeben kann. Das ist seine Berufung. Aber er singt auch im Chor, wie der ältere Sohn das auch tat.

ORF.at: Ironischerweise gelten Sie aber auch als prononcierter Strauss-Kritiker.

Strauss: Mit der Strauss-Forschung möchte ich die Kitschwölkchen vertreiben. Der goldene Johann Strauss Sohn steht im Wiener Stadtpark auf einem Podest. Die Leute sind mir böse, wenn ich meinen Urgroßonkel vom Podest runterstoße. Aber so goldig, wie er da steht, war er nicht. Er war ein genialer Musiker, aber menschlich war er kein Heros. In der Familie wurde auf Mord und Tod gestritten.

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Musik ist ein Hobby von Eduard Strauss. Er singt im Chor und betreibt auch die Strauss-Forschung.

Hätte sich die Familie besser organisiert, würde ich heute mehr Geld für die Strauss-Forschung haben, als ich habe. Ich habe nichts. Sie haben das nicht kanalisiert für spätere Generationen. Ich meine, sie haben nicht damit gerechnet, dass sich nach 150 Jahren noch jemand für die Familie interessiert. Gott sei Dank tun wir das. Aber wenn ich um Geld für eine anständige Strauss-Forschung bitte, wird mir immer gesagt: „Was wollen Sie denn? Strauss rennt eh.“ Ja, aber wie?

Mit dem Kitsch lässt sich halt sehr gut verdienen. Und ich muss vorsichtig sein, denn auch die kitschige Interpretation bringt Publikum. Das will ich ja nicht vergrämen, das kann nichts dafür. Ich will nicht sagen: „Du bist ein Böser, weil du dir kitschigen Strauss von Andre Rieu anhörst.“ Was der Mann macht, ist furchtbar. Aber er bringt mir andererseits Hunderttausende Leute wieder zur Strauss-Musik. Ganz verteufeln will ich das dann auch nicht.

ORF.at: Es klingt nach einer inneren Zerrissenheit.

Strauss: Es ist eher eine schwierige Bürde. Aber ich habe ja einen anständigen Beruf gelernt. Und der ist so anständig gewesen, dass ich Senatspräsident des Oberlandesgerichts Wien werden durfte und dass ich einstimmig zum Verfahrensrichter im BVT-U-Ausschuss gewählt wurde.