Aktivist hält eine EU-Britische Fahne
APA/AFP/Daniel Leal-Olivas
Umfragen

Briten würden gegen „Brexit“ stimmen

Die Briten und Britinnen würden mehreren Umfragen zufolge in einem neuen Referendum nicht mehr für den „Brexit“ stimmen, wurde am Freitag bekannt. Ausschlaggebend wären bei einer weiteren Abstimmung vor allem Menschen, die nicht zum ersten Referendum gegangen waren, so die Fachleute.

Eine Auswertung von sechs seit dem 21. August durchgeführten Erhebungen ergab eine knappe Mehrheit von 52 zu 48 Prozent für einen Verbleib des Landes in der Europäischen Union. 2016 hatte eine knappe Mehrheit für den Austritt gestimmt. Forscher sagten, der Umfragevorsprung der „Brexit“-Gegner beruhe vor allem auf den Stimmen derjenigen, die 2016 gar nicht abgestimmt hätten.

London und Brüssel verhandeln hart über die Modalitäten der Trennung. Die konservative Premierministerin Theresa May hatte unlängst einen Plan vorgelegt, der sowohl von der EU als auch von ihren innerparteilichen Gegnern kritisiert wird. Tory-Chefin May schloss ein zweites Referendum aus – anders als die oppositionelle Labour-Partei, die sich dafür offen zeigt. Auch gibt es vermehrt Spekulationen über ein vorgezogene Neuwahl, durch welche die Karten überhaupt neu gemischt werden könnten.

Johnson legt eigenen „Brexit“-Plan vor

Unterdessen kritisierte der britische Ex-Außenminister Boris Johnson den „Brexit“-Kurs von May scharf und legte einen alternativen Plan vor. Johnsons Vorstoß in einem Gastbeitrag für den „Daily Telegraph“ (Freitag-Ausgabe) kommt kurz vor Beginn des Parteitags der Konservativen ab Sonntag und dürfte als Herausforderung im Kampf um den Posten des Premiers gedeutet werden.

May will am Parteitag ihre Linie in den Verhandlungen mit der EU verteidigen und Stärke demonstrieren. Nach dem EU-Gipfel in Salzburg, bei dem es vorige Woche keine Annäherung gab, sah sie sich allerdings heftiger Kritik der konservativen britischen Presse ausgesetzt. Die EU wiederum gab seitdem wiederholt zu verstehen, dass May ihre Pläne so nicht durchbringen wird.

„Moralische und intellektuelle Erniedrigung“

Den „Chequers-Plan“, mit dem May Grenzkontrollen zwischen Großbritannien und der EU nach dem „Brexit“ verhindern will, bezeichnete Johnson als „moralische und intellektuelle Erniedrigung“ für sein Land. Die Verhandlungsführung sei „rückgratlos“. Als Alternative schlug Johnson vor, einen erweiterten Freihandelsvertrag mit Brüssel nach dem Vorbild des Abkommens zwischen der EU und Kanada abzuschließen.

Die im Juli auf dem Regierungslandsitz Chequers nach langen internen Auseinandersetzungen vereinbarten Pläne der Regierung umfassen unter anderem ein Freihandelsabkommen mit der EU für Waren, nicht aber für Dienstleistungen. Zudem soll die EU-Gerichtsbarkeit nicht mehr auf den britischen Inseln gelten, in einigen wichtigen Bereichen die EU-Regeln aber beibehalten werden.

May will zudem den Zuzug von EU-Bürgern stoppen, was gegen das EU-Prinzip der Personenfreizügigkeit verstößt. Umstritten ist zudem der Umgang mit der Landgrenze zwischen dem zur EU gehörenden Irland und der britischen Provinz Nordirland. Die EU und Großbritannien wollen dort eine feste Grenze mit dauerhaften Kontrollen verhindern – wie das erreicht werden soll, ist bisher unklar.

Corbyn bei Barnier

Der „Brexit“-Chefverhandler der EU, Michel Barnier, betonte indes erneut, dass die EU einen „geordneten Rückzug“ Großbritanniens aus der Union anstrebt. Nach einem Treffen mit dem Chef der oppositionellen Labour-Partei, Jeremy Corbyn, in Brüssel schrieb Barnier auf Twitter: „Wir hören uns weiterhin alle Meinungen zum ‚Brexit‘ an und erklären unsere Position.“ Corbyn hält sich auch nach seinem Besuch bei Barnier bedeckt, wie er den „Brexit“ gestalten will. Er sei leider nicht in der Regierung und führe nicht die Verhandlungen mit der EU, sagte der Labour-Chef am Donnerstag nach dem Gespräch mit Barnier.

Corbyn wiederholte lediglich, dass Labour auch nach dem britischen EU-Austritt Industriejobs und Lieferketten auf beiden Seiten des Ärmelkanals sichern, die Position von EU-Bürgern in Großbritannien schützen und eine harte Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland verhindern wolle. Auch auf Nachfragen gab Corbyn keine Details preis.

May braucht die Opposition

Labour ist in der „Brexit“-Frage gespalten. Corbyn hatte unlängst gesagt, die Partei halte sich die Option für ein zweites Referendum offen. Die EU will spätestens bis Mitte November eine Einigung mit London über den Austrittsvertrag erzielen. Um diesen Vertrag im britischen Parlament durchzubringen, dürfte May auch auf Stimmen der Sozialdemokraten angewiesen sein.

Einer Umfrage zufolge wünschen sich 86 Prozent der Labour-Mitglieder ein Referendum zum finalen „Brexit“-Abkommen, nur acht Prozent wären dagegen. 90 Prozent würden heute für einen Verbleib Großbritanniens in der EU stimmen, ergab eine YouGov-Befragung von 1.000 Labour-Mitgliedern im Auftrag der Zeitung „The Observer“, die am Montag veröffentlicht wurde.