Eklat bei Erdogans Staatsbesuch in Berlin

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan fordert von der deutschen Bundesregierung die Auslieferung des Journalisten Can Dündar und von 68 weiteren Aktivisten.

Die regierungsnahe türkische Zeitung „Yeni Akit“ berichtete heute, Erdogan habe drei Tage vor seinem Besuch in Berlin Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine Liste geschickt, auf der auch der frühere „Cumhuriyet“-Chefredakteur Dündar stehen soll.

Dündar und PKK-Mitglieder sollen auf Liste stehen

Mehrere deutsche Medien wie die „Süddeutsche Zeitung“ berichteten, am Montag sei eine Verbalnote beim deutschen Auswärtigen Amt eingegangen, in der die türkische Botschaft um die Festnahme und Auslieferung von Dündar wegen Spionage, Verrats von Staatsgeheimnissen und Propaganda bitte. Dündar war 2016 in der Türkei wegen eines Berichts über geheime Waffenlieferungen an islamistische Rebellen in Syrien zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden.

Recep Tayyip Erdogan, seine Frau Emine und Deutschlands Präsident Frank-Walter Steinmeier mit seiner Frau Elke Buedenbender
AP/Michael Sohn

Mit Spannung wurde unter anderem erwartet, ob Dündar unter den Journalistinnen und Journalisten sein würde. „Ich habe entschieden, nicht daran teilzunehmen“, sagte Dündar heute in seinem eigenen Medienportal. Zuvor hatte die Türkei gedroht, die Pressekonferenz abzusagen, falls Dündar teilnimmt.

Laut „Yeni Akit“ finden sich auf der Liste mutmaßliche Mitglieder der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen, die Ankara für den gescheiterten Staatsstreich von Juli 2016 verantwortlich macht.

So sollen auf der Liste frühere Staatsanwälte, die im Dezember 2013 eine führende Rolle bei den Korruptionsermittlungen gegen das Umfeld Erdogans hatten, der Theologiedozent Adil Öksüz, den Ankara als einen der Drahtzieher des Putschversuchs ansieht, und türkische Offiziere bei der NATO stehen. Diese enthält dem Bericht zufolge Adressdaten sowie Fotos der Verdächtigen, die sie an den genannten Orten zeigen.

Merkel: „Tiefgreifende Differenzen mit Türkei“

Merkel empfing Erdogan indes heute Mittag im Kanzleramt. Nach einem rund einstündigen Gespräch gab es eine gemeinsame Pressekonferenz, bei der Merkel Kritik an der Lage in der Türkei äußerte. Es gebe weiterhin „tiefgreifende Differenzen“, sagte die CDU-Politikerin.

Sie mahnte zu einer raschen Lösung für die in der Türkei inhaftierten deutschen Staatsbürger und Staatsbürgerinnen. „Ich habe darauf gedrängt, dass auch diese Fälle möglichst schnell gelöst werden können“, sagte sie. Merkel betonte aber auch gemeinsame Interessen mit der Türkei. „Wir haben vieles, was uns eint“, sagte sie. Die Regierungschefin nannte die Partnerschaft in der NATO, Fragen der Migration und den Kampf gegen Terrorismus.

Der Staatsbesuch Erdogans und das für den Abend im Schloss Bellevue vorgesehene Staatsbankett für den türkischen Präsidenten sorgen wegen der Repressionen gegen Andersdenkende in der Türkei für heftige Kritik und Proteste. Am Nachmittag ist auf dem Potsdamer Platz in Berlin eine Großdemonstration „Erdogan not welcome“ geplant, zu der die Veranstalter rund 10.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer erwarten.