Pressekonferenz von Merkel und Erdodgan
Reuters/Fabrizio Bensch
Deutschland-Besuch

Eklat um Erdogans Pressekonferenz

Von einem Eklat ist der umstrittene Staatsbesuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan am Freitag in Berlin überschattet. Er forderte von Berlin die Auslieferung des bekannten Journalisten Can Dündar und von 68 weiteren von Ankara Gesuchten. Auch die gemeinsame Pressekonferenz mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel verlief turbulent.

„Das ist unser natürliches Recht“, sagte Erdogan später bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Kanzlerin Angela Merkel. Dündar sei ein „Agent“. Er habe Staatsgeheimnisse öffentlich gemacht und sei dafür zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt worden. Für den türkischen Staat sei er ein „Verbrecher“. Die regierungsnahe türkische Zeitung „Yeni Akit“ berichtete, Erdogan habe drei Tage vor seinem Besuch eine Liste geschickt, auf der auch der frühere „Cumhuriyet“-Chefredakteur Dündar stehen soll.

„Tausende Mitglieder der PKK-Terrororganisation“

Bei der Pressekonferenz forderte Erdogan von Deutschland einen entschlosseneren Kampf gegen den Terrorismus. Darüber habe er auch mit Merkel gesprochen, so Erdogan. Er äußerte aber zugleich seine Zufriedenheit über die Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus. In Deutschland hielten sich „Tausende Mitglieder der PKK-Terrororganisation“ auf, sagte Erdogan. Zudem seien „Hunderte“ Anhänger der Gülen-Bewegung in Deutschland.

Ein Fotograf wird während der Pressekonferenz von Merkel und Erdodgan von Sicherheitsleuten abgeführt
AP/Michael Sohn
Auch während der Pressekonferenz kam es zu einem Eklat – ein Journalist wurde abgeführt

Erdogan bestätigt Auslieferungsersuchen

Erdogan bestätigte Medienberichte, wonach am Montag eine Verbalnote beim deutschen Auswärtigen Amt eingegangen sei, in der die türkische Botschaft um die Festnahme und Auslieferung von Dündar wegen Spionage, Verrats von Staatsgeheimnissen und Propaganda bitte. Dündar war 2016 in der Türkei wegen eines Berichts über geheime türkische Waffenlieferungen an islamistische Rebellen in Syrien zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden.

Erdogan drohte wegen Dündar mit PK-Absage

Mit Spannung wurde unter anderem erwartet, ob Dündar unter den Journalistinnen und Journalisten sein würde. Unmittelbar davor gab es Gewissheit: „Ich habe entschieden, nicht daran teilzunehmen“, gab Dündar über sein eigenes Medienportal bekannt. Zuvor hatte die Türkei gedroht, die Pressekonferenz abzusagen, falls Dündar teilnimmt. Laut „Yeni Akit“ finden sich auf der Liste mutmaßliche Mitglieder der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen, die Ankara für den gescheiterten Staatsstreich von Juli 2016 verantwortlich macht.

Journalist Can Dündar
APA/AFP/Bulent Kilic
Nach dem Willen Erdogans soll der frühere „Cumhuriyet“-Chefredakteur Dündar ausgeliefert werden

So sollen auf der Liste frühere Staatsanwälte, die im Dezember 2013 eine führende Rolle bei den Korruptionsermittlungen gegen das Umfeld Erdogans hatten, der Theologiedozent Adil Öksüz, den Ankara als einen der Drahtzieher des Putschversuchs ansieht, und türkische Offiziere bei der NATO stehen. Diese enthält dem Bericht zufolge Adressdaten sowie Fotos der Verdächtigen, die sie an den genannten Orten zeigen.

Reporter abgeführt

Bei der Pressekonferenz kam es zu einem weiteren Eklat: Der Journalist Ertugrul Yigit, der ein T-Shirt mit der Aufschrift „Gazetecilere Özgürlük – Freiheit für Journalisten in der Türkei“ trug, wurde vor laufenden Kameras von Sicherheitsleuten abgeführt. „Ich habe nichts getan“, rief der Mann, der eine Akkreditierung für die Pressekonferenz hatte. Augenzeugen sagten, er habe vor dem Einsatz noch ruhig fotografiert.

Regierungssprecher Steffen Seibert verteidigte das Vorgehen der Ordner. „Wir halten es bei Pressekonferenzen im Kanzleramt wie der Deutsche Bundestag: keine Demonstrationen oder Kundgebungen politischer Anliegen“, twitterte Seibert. „Das gilt völlig unabhängig davon, ob es sich um ein berechtigtes Anliegen handelt oder nicht.“

Ungewöhnliche Sicherheitskontrollen

Generell mussten sich Journalisten und Journalistinnen ungewöhnliche Sicherheitskontrollen gefallen lassen. Ein AFP-Reporter, der für die Pressekonferenz akkreditiert war, wurde bei der Sicherheitskontrolle im Gebäude des Bundespresseamts detailliert zu seinen Absichten befragt. So wollte ein Sicherheitsmitarbeiter von dem Journalisten Auskunft darüber, ob dieser eine Frage bei der Pressekonferenz stellen wolle – und wenn ja, welche.

Der Sicherheitsmitarbeiter fragte zudem, ob der Journalist etwa auch eine Frage zu den Berichten stellen wolle, wonach „in der Türkei alle Journalisten im Gefängnis sitzen“. Des Weiteren wollte er von dem Berichterstatter wissen, ob dieser schon einmal in der Türkei war und ob er es dort wirklich „so schlimm“ fand, „wie in den Medien immer berichtet wird“? Der Sicherheitsmitarbeiter beklagte sich dann darüber, dass immer weniger Deutsche in der Türkei Urlaub machten, weil das Land in den Medien schlecht dargestellt werde.

Derartige Fragen an akkreditierte Journalisten, die an offiziellen Medienveranstaltungen der deutschen Regierung teilnehmen wollen, sind äußerst unüblich. Das Bundespresseamt wurde über den Vorfall informiert, äußerte sich zunächst aber nicht dazu. Der AFP-Reporter nahm schließlich an der Pressekonferenz teil.

Merkel: „Tiefgreifende Differenzen mit Türkei“

Merkel hatte Erdogan im Kanzleramt zu einem rund einstündigen Gespräch empfangen. Sie übte Kritik an der Lage in der Türkei: Es gebe weiterhin „tiefgreifende Differenzen“, sagte die CDU-Politikerin. Sie mahnte zu einer raschen Lösung für die in der Türkei inhaftierten deutschen Staatsbürger und Staatsbürgerinnen.

Pressekonferenz von Merkel und Erdogan
AP/Michael Sohn
Erdogan und Merkel bei der gemeinsamen Pressekonferenz

„Ich habe darauf gedrängt, dass auch diese Fälle möglichst schnell gelöst werden können“, sagte sie. Merkel betonte aber auch gemeinsame Interessen mit der Türkei. „Wir haben vieles, was uns eint“, sagte sie. Die Regierungschefin nannte die Partnerschaft in der NATO, Fragen der Migration und den Kampf gegen Terrorismus.

„Erdogan not welcome“

Der Staatsbesuch Erdogans und das für den Abend im Schloss Bellevue vorgesehene Staatsbankett für den türkischen Präsidenten sorgen wegen der Repressionen gegen Andersdenkende in der Türkei für heftige Kritik und Proteste. Menschen auf der Straße zeigten Erdogan in Berlin-Mitte den ausgestreckten Mittelfinger, wie ein AFP-Reporter beobachtete. Bei zahlreichen Veranstaltungen demonstrierten am Freitag Tausende Menschen gegen den Erdogan-Besuch. Allein zu einer Großdemonstration „Erdogan not welcome“ auf dem Potsdamer Platz erwarteten die Veranstalter am Nachmittag rund 10.000 Teilnehmer.