Pieter Bruegel Turmbau zu Babel, nach 1563
Museum Boijmans Van Beuningen/Studio Tromp
Der ganze Bruegel

Wimmelbilder der Superlative

Beschwingte Bauernfest-Darstellungen, gruselige Skelett-Wimmelbilder und Landschaftsbilder, die von Licht und Kälte erzählen: Pieter Bruegel der Ältere verstand es brillant, bis ins kleinste Detail bedeutungsbeladene Kompositionen zu schaffen. Im Wiener Kunsthistorischen Museum (KHM) ist nun die weltweit erste große Einzelausstellung zu sehen – eine Schau der Superlative.

Die Faszination für den oft missverstandenen Alten Meister ist aktueller denn je. Und nun hängen sie wieder nebeneinander, nach ganzen 400 Jahren der Trennung: Das monumentale Meisterwerk und sein nicht minder beeindruckendes kleineres Pendant, der Wiener und der Rotterdamer „Turmbau zu Babel“ (beide vermutlich 1563). Hier der Monarch im Bildvordergrund, der dem Scheitern des größenwahnsinnigen Projekts nicht ins Auge blicken will, dort nur die düstere, schroffe Konstruktion, auf der sich winzige, erst bei genauerem Hinschauen erkennbare Figürchen tummeln.

Die zwei so detailreichen Versionen des biblischen Symbols ziehen die Betrachterin und den Betrachter in das Bildgeschehen und führen unweigerlich dazu, dass man sich bei der Erkundung verliert – eine ausklügelte Idee des Meisters, das Scheitern des waghalsigen Turmprojekts in der Bildbetrachtung selbst zu spiegeln. Das Faszinierende an Bruegels Meisterwerken bestehe darin, „uns in seine Kompositionen zu involvieren und einen Spiegel vorzuhalten. Er zeigt jedem seine Grenzen auf“, beschreibt KHM-Kuratorin Sabine Penot die Genialität des Vaters der flämischen Malerdynastie.

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Pieter Bruegel d. Ä. Triumph des Todes, 1562/63
Museo Nacional del Prado
Das gruselige Bild „Triumph des Todes“ (1532/1563) ist die radikalste und düsterste Komposition in Bruegels Oeuvre
Pieter Bruegel d. Ä. Dulle Griet, 1562
Museum Mayer van den Bergh
Nicht minder unheimlich: „Tolle Grete“ (um 1562) – eine Frau in Rüstung schreitet plündernd an der Hölle vorbei
Pieter Bruegel d. Ä. Jäger im Schnee, 1565
KHM-Museumsverband
„Jäger im Schnee“ (1565): Das Jahreszeitenbild begründete das beliebte Genre der Winterlandschaft in der flämischen Malerei
Pieter Bruegel d. Ä.  Heimkehr der Herde, 1565
KHM-Museumsverband
„Heimkehr der Herde“ (1565): Auch dieses Bild ist Teil von Bruegels berühmtem Jahreszeitenzyklus
Pieter Bruegel d. Ä. Bauerntanz, ca. 1568
KHM-Museumsverband
„Bauerntanz“: Eines der Bilder, auf denen der Mythos des „Bauern-Bruegel“ gründet (um 1568)
Pieter Bruegel d. Ä. Kampf zwischen Fasching und Fasten, 1559
KHM-Museumsverband
„Kampf zwischen Fasching und Fasten“: Das Wimmelbild vereint die Bräuche des Faschings und der Fastenzeit (1559)
Pieter Bruegel d. Ä. Der Hafen von Neapel, um 1563
Galleria Doria Pamphilj
Wurde erst kürzlich Bruegel zugeordnet: „Der Hafen von Neapel“ (um 1563)
Pieter Bruegel d. Ä. Die Imker, um 1568
Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin/Preußischer Kulturbesitz/P. Anders
Federzeichnung „Die Imker“: Friedliche Landschaft, unheimliche Gestalten (um 1568)
Pieter Bruegel d. Ä. Bauer und Vogeldieb, 1568
KHM-Museumsverband
„Bauer und Vogeldieb“: Zwei unlautere Gestalten im für das Spätwerk typischen Großformat (1568)

So viel Bruegel wie noch nie

Das Motiv des Turmbaus passt auch auf das Projekt dieser Ausstellung – nur dass dieser Turm tatsächlich steht. Zu Recht feiert man die schlicht mit „Bruegel“ betitelte Sonderschau mit Superlativen, denn mit 90 Arbeiten, also allen transportfähigen Werken des Meisters – darunter mit 28 Gemälden gleich drei Viertel seiner Malereien – zeigt man so viel Bruegel wie noch nie. Die Schweiz hat sogar Gesetze geändert für diese „Once in a lifetime“-Ausstellung.

Sensationelle Bruegel-Schau im KHM

Museumsdirektorin Sabine Haag ist mit der weltweit ersten monografischen Schau über Pieter Bruegel den Älteren ein Coup gelungen.

Dementsprechend hochkarätig auch die Eröffnung: Für diese reiste am Montag das belgische Königspaar Philippe und Mathilde nach Wien. Dem König zufolge bringe die wunderbare Ausstellung nicht nur zwei Länder, die eine vielfältige gemeinsame Geschichte hätten, erneut nahe zusammen und gebe tiefen Einblick in das Leben der Vergangenheit, sondern zeige auch, wie sehr Kunst und Kultur das Verständnis für einander förderten. Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen rühmte die enge Zusammenarbeit vieler internationaler Institutionen. „Es wäre wunderbar, wenn Kooperationen in anderen Bereichen so erfolgreich wären wie bei Kunst und Kultur.“

Fotostrecke mit 5 Bildern

Königin Mathilde von Belgien, König Philippe von Belgien, Bundespräsident Alexander Van der Bellen und seine Frau Doris Schmidauer
APA/Georg Hochmuth
Königin Mathilde von Belgien, König Philippe von Belgien, Bundespräsident Alexander Van der Bellen und dessen Frau Doris Schmidauer neben dem „Turmbau zu Babel“
Königin Mathilde von Belgien, König Philippe von Belgien, Bundespräsident Alexander Van der Bellen und seine Frau Doris Schmidauer
APA/Georg Hochmuth
„Belgier fühlen sich in diesem wunderbaren Museum wie zu Hause“, meinte König Philippe. Schließlich treffe man in der Gemäldegalerie auf Schritt und Tritt auf Werke, die in seiner Heimat entstanden seien.
Königin Mathilde von Belgien, König Philippe von Belgien, Bundespräsident Alexander Van der Bellen und seine Frau Doris Schmidauer
AP/Ronald Zak
„Wir sind nicht nur beeindruckt, wir sind fasziniert. Wir kommen wieder!“, kommentierte Van der Bellen die Ausstellung
König Philippe von Belgien und Bundespräsident Alexander Van der Bellen
AP/Ronald Zak
Vor der Eröffnung wurde das Königspaar in der Hofburg mit militärischen Ehren empfangen
Königin Mathilde von Belgien und Bundespräsident Alexander Van der Bellen
AP/Ronald Zak
Auf dem Programm standen neben einem Gespräch mit Van der Bellen auch ein Besuch in der Nationalbibliothek sowie im Rathaus

„Hoffentlich die letzte Ausstellung“

Wenn es nach dem Direktor des königlichen Kunstmuseums in Brüssel geht, ist die große Bruegel-Schau jedenfalls auch „hoffentlich die letzte“, wie er im Vorfeld der Ausstellung – so zu lesen in der „Presse am Sonntag“ – dem KHM ausrichtete. Dass man sich derart empfindlich zeigt, hat damit zu tun, dass Bruegels Gemälde zu den kostbarsten und fragilsten Beständen der Kunstmuseen zählen. Hinter den vermeintlich massiven Gemälden verbergen sich nämlich hauchdünne, aus baltischen Eichen angefertigte Tafeln – was man im KHM anhand des Bildes der „Kreuztragung Christi“ anschaulich macht: Die Fragilität des christlichen Wimmelbildes, das, wie so oft bei Bruegel, das eigentliche Sujet im Getümmel versteckt, ist hier in einer Vitrine vom Rahmen befreit zu sehen.

Pieter Bruegel Turmbau zu Babel, 1563
KHM-Museumsverband
Einheit und Zwietracht, Macht und Sprachverwirrung: „Turmbau zu Babel“, hier in der Wiener Version des Meisters (1563)

Wien als logischer Standort

Das Bild ist eines der gleich zwölf Gemälde aus dem KHM-eigenen, in der Habsburger Zeit angelegten Sammlungsbestand – was Wien zum einzig denkbaren Standort dieser Ausstellung machte. Dass viele der bisher noch nie verliehenen Holztafeln überhaupt anreisten, verdankt man einem großen Forschungsprojekt, das die amerikanische Getty-Stiftung mitfinanzierte und das so die erstmalige technologische Untersuchung der Bilder möglich machte.

In den Nebenräumen des KHM kann man dem Maler jetzt sozusagen genau auf die Finger schauen – und sehen, mit welchen Werkzeugen und in welchen Arbeitsschritten seine Meisterwerke entstanden. Und man kann erfahren, dass die Kompositionen oft anders angelegt waren, als man sie heute sieht. Nicht nur der Meister selbst griff ein, sondern auch die Sammlerinnen und Sammler: Fast alle Gemälde wurden beschnitten.

Biografische Mythenbildung

Für die brutale Behandlung ist nicht die einstige Unterschätzung Bruegels verantwortlich: Schon zu Lebzeiten war der Künstler außerordentlich erfolgreich. Für seine Bilder, die sich über humanistische Netzwerke verbreiteten, soll Kaiser Rudolf II sogar angeboten haben, sie dem genauen Gewicht nach mit Gold aufzuwiegen. So besagt es zumindest ein Mythos, von denen es über Bruegel Dutzende gibt.

Tatsächlich weiß man über den 1527 oder 1528 geborenen Künstler nicht viel. Gesichert ist, dass er seine Hauptwirkungsstätte im brodelnden, boomenden Antwerpen hatte, der damals reichsten Stadt Europas. Inspiration für seine atmosphärisch dichten Landschaften fand der Flame nicht nur in den umliegenden Ländereien, sondern auch in einer nachhaltig beeindruckenden Reise über die Alpen.

Pieter Bruegel Turmbau zu Babel, nach 1563
Museum Boijmans Van Beuningen/Studio Tromp
Einst zusammen in der Sammlung Kaiser Rudolfs II, nun wiedervereint: Der Wiener und – hier – der düstere Rotterdamer Turm

Erfundene Traumlandschaften

Schroffe Felsen zierten fortan seine oft realistisch aussehenden, tatsächlich aber konstruierten Landschaftsgemälde, unter anderem das berühmte „Jäger im Schnee“ (1565) aus dem monumentalen Jahreszeitenzyklus, von dem man für die Ausstellung vier der sechs Bilder versammeln konnte. „Eine Weltlandschaft in 3-D“, zeigt sich Kuratorin Penot beeindruckt, „ein Werk, in dem sich Bruegel programmatisch mit der Malerei auseinandersetzte, chromatisch, rhythmisch.“

In der Rezeptionsgeschichte wurde Bruegel bisher oft als „Bosch-Bruegel“ oder „Bauern-Bruegel“ verkannt. Der unbestreitbare Einfluss seines Vorläufers Hieronymos Bosch (1462 bis 1516) zeigt sich am stärksten im apokalyptisch-gruseligen „Der Triumph des Todes“ (1562/63): Ein Heer von Sensenmännern fällt über das Volk her und rafft vom Bettelmann bis zum König alle dahin. Vom Altmeister unterscheiden sich aber Bruegels Bilder, dass sie sozusagen eine säkularisierte Hölle zeigen – Eine Hölle nicht im Jenseits, sondern im Hier und Jetzt.

Bis ins kleinste Detail

Was Bruegel und Bosch auch verbindet, ist das Drollige, Humorvolle, das eben auch das Bild des „Bauern-Bruegel“ auszeichnete, auf das man Bruegel lange reduzierte. Eine bäuerliche Herkunft wurde ihm zugeschrieben oder zumindest, dass er sich oft, als Bauer verkleidet, in ländliche Hochzeitsfeste einschmuggelte und dort als entfernter Verwandter ausgab. Alles Mythen. Was man weiß, ist, dass er der Erste war, der Bauern ins Zentrum seiner Bilder stellte. Wobei man im KHM jetzt in Zusammenarbeit mit einer Kostümexpertin eruieren konnte, dass viele Figuren keine Bauern, sondern Bürger sind. „Man sieht viele Stände.“

Gerade die zahlreichen Details rückten im Zuge des Forschungsprojektes in den Fokus. In der Ausstellung kann man das eindrucksvoll nachziehen – und seit Montag auch auf der begleitenden Website, auf der man sich bis ins kleinste Detail in die Bilder hineinzoomen kann. Dort bekommt man vorgeführt, was der amerikanische Kunsthistoriker Joseph Leo Koerner kürzlich meinte: „An jedem Bild von Bruegel kann man sich ein Leben lang nicht sattsehen.“